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LG Stuttgart

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Zitieren als:
LG Stuttgart, Beschluss vom 26.06.2008 - 19 T 259/08 - asyl.net: M13517
https://www.asyl.net/rsdb/M13517
Leitsatz:

§ 62 AufenthG ist auf Unionsbürger nur anwendbar, wenn die Ausländerbehörde das Nichtbestehen oder den Verlust der Freizügigkeit festgestellt hat.

 

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Unionsbürger, Rechtsgrundlage, Anwendbarkeit, Aufenthaltsgesetz, Freizügigkeit, Verlust der Freizügigkeit, Feststellung, Ausländerbehörde
Normen: AufenthG § 62; FreizügG/EU § 11 Abs. 1; FreizügG/EU § 11 Abs. 2; FreizügG/EU § 6 Abs. 1
Auszüge:

§ 62 AufenthG ist auf Unionsbürger nur anwendbar, wenn die Ausländerbehörde das Nichtbestehen oder den Verlust der Freizügigkeit festgestellt hat.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners ist gem. §§ 7 Abs. 1, 3 FEVG i.V.m. §§ 22 Abs. 1 und 16 Abs. 3 FGG zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Für die Haftanordnung gibt es keine - nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG für die Freiheitsentziehung erforderliche - gesetzliche Grundlage, § 62 AufenthG ist nicht anwendbar.

Zutreffend legt der Antragsgegner dar, dass die Vorschriften des AufenthG auf ihn - als ungarischer Staatsangehöriger Unionsbürger - nicht unmittelbar gelten. Für den Aufenthalt und die Freizügigkeit von Staatsangehörigen von Mitgliedstaaten der Europäischen Union gilt vielmehr das FreizügG/EU; dieses enthält keine Vorschriften über die Anordnung von Abschiebungshaft gegen ausreisepflichtige EU-Bürger. Die Vorschriften des AufenthG sind auf EU-Bürger nur dann anwendbar, wenn sie - § 11 FreizügG/EU - in Bezug genommen werden.

In der in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU enthaltenen Liste ohne Weiteres auch für EU-Bürger geltender Vorschriften des AufenthG findet sich § 62 AufenthG nicht.

Ansonsten findet das AufenthG erst dann auch auf EU-Bürger Anwendung, wenn die Ausländerbehörde das Nichtbestehen oder den Verlust der Freizügigkeit festgestellt (§ 6 Abs. 1 FreizügG/EU) hat (§ 11 Abs. 2 FreizügG/EU). Einen solchen Feststellungsbescheid gibt es vorliegend nicht, es bleibt somit dabei, dass nur die in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU genannten Vorschriften, nicht jedoch § 62 AufenthG, auf den Antragsgegner anwendbar sind.

Das von der Antragstellerin und dem Amtsgericht in Bezug genommene Urteil des BVerwG vom 04,09.2007 (1 C 21.07; Abdruck BI. 54ff. d.A.) ändert an dieser Beurteilung nichts: Das BVerwG hat sich zur materiell-rechtlichen Wirkung einer so genannten "Altausweisung" geäußert, genauer zu der Frage, ob ein Unionsbürger, gegen den eine vollziehbare "Altausweisung" besteht, von Gesetzes wegen Freizügigkeit gem. § 2 Abs. 1 FreizügG/EU genießt oder die Sperrwirkung der Ausweisung fortgilt. Diese Frage hat das BVerwG in letzterem Sinne entschieden, weswegen offenbar die Antragstellerin den Erlass eines Feststellungsbescheids gem. §§ 6 Abs. 1, 11 Abs. 2 FreizügG/EU für nicht veranlasst gehalten hat.

Selbst wenn man diese Auffassung teilt, ist jedoch weiter zu prüfen, ob gegen den - bei dieser Sichtweise - vollziehbar ausreisepflichtigen und unerlaubt eingereisten Antragsgegner die Haft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet werden kann. Zu dieser Frage hat sich das BVerwG in dem zitierten Urteil nicht geäußert, sie fällt nach der Rechtswegzuweisung in § 3 FEVG ohnehin in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit; die Rechtswegzuständigkeit der Verwaltungsgerichte bezieht sich auf materiell-ausländerrechtliche Fragen, die für die Prüfung der Ausreisepflicht von Bedeutung, für das hier in Rede stehende rechtliche Problem jedoch ohne Belang sind.

Nach Auffassung der Kammer, die sich der von dem Pfälzischen OLG Zweibrücken (Beschl. v. 21.11.2007 - 3 W 239/07 - Abdr. Bl. (35ff.) und dem LG Freiburg (Beschl. v. 10.06.2008 - 4 T 147/08 - Abdr. Bl. 40f.) in ihren den Antragsgegner betreffenden Entscheidungen vertretenen Rechtsmeinung anschließt, lag - wie oben ausgeführt - eine gesetzliche Grundlage für eine Abschiebungshaftanordnung nicht vor, da mangels Feststellungsbescheids gem. § 11 Abs. 2 FreizügG/EU i.V.m. § 6 Abs. 1 FreizügG/EU § 62 AufenthG keine Anwendung findet.