VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 09.06.2008 - 5 E 4801/05.A (2) - asyl.net: M13478
https://www.asyl.net/rsdb/M13478
Leitsatz:
Schlagwörter: Afghanistan, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Konversion, Christen, Apostasie, Islamisten, Glaubwürdigkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist, soweit er noch angegriffen ist, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO). Nach der Überzeugung des Gerichtes ist davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wegen seiner Konversion zum christlichen Glauben dort in eine ausweglose und Leib und Leben bedrohende Situation gerät. Denn wenn verlässlich festgestellt werden kann, dass eine Konversion auf einer glaubhaften Zuwendung zum christlichen Glauben im Sinne einer ernsthaften Gewissensentscheidung, auf einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung und nicht lediglich auf bloßen Opportunitätsgründen beruht, kann davon ausgegangen werden, dass ein Verschweigen, Verleugnen oder die Aufgabe der neuen Glaubenszugehörigkeit zur Vermeidung staatlicher oder nicht staatlicher Repressionen im Heimatland den Betroffenen grundsätzlich und in aller Regel unter Verletzung seiner Menschenwürde existentiell und in seiner sittlichen Überzeugung treffen und ihn in eine ausweglose Lage bringen würde und ihm deshalb nicht zugemutet werden kann (vgl. hierzu HessVGH, Urt. v. 12.07.2007 - Az.: 8 UE 3140/05 - m.w.N.). Angesichts der in das Verfahren eingeführten Auskünfte und Unterlagen, insbesondere dem letzten Lagebericht des Auswärtigen Amtes zur Situation in Afghanistan vom 07.03.2008 und der von dem Klägervertreter in das Verfahren eingeführten Stellungnahme der IGFM zur Situation christlicher Konvertiten in Afghanistan vom 27.02.2008 ist das Gericht der Überzeugung, dass eine solche erhebliche Gefährdung für Leib und Leben bei afghanischen Staatsangehörigen, die aus Überzeugung zum christlichen Glauben konvertiert sind, bei einer Rückkehr in ihr Heimatland besteht. Das Auswärtige Amt hat in seinem oben erwähnten Lagebericht deutlich gemacht, dass Konvertiten - insbesondere auf dem Lande, aber auch in den Städten, wenn sie sich zu ihrem christlichen Glauben bekennen - erhebliche Gefahren drohen; dabei ist es hier unerheblich, ob diese Gefahren unmittelbar von staatlichen Stellen ausgehen oder von moslemischen afghanischen Staatsangehörigen, die eine solche Verhaltensweise - Konversion - nicht billigen. Auch der weltweit beachtete Fall des Abdul Rahman, der 1990/91 in einem Flüchtlingslager in Pakistan bei einer christlichen Organisation gearbeitet, sich dort hat taufen lassen und nach seiner 2003 erfolgten freiwilligen Rückkehr aus Deutschland oder Belgien Mitte März 2006 in Kabul wegen Apostasie angezeigt, angeklagt und dann wegen der drohenden Todesstrafe nach internationalem Druck Ende März 2006 freigelassen und in Italien aufgenommen worden ist zeigt, welche Gefährdungen für aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertierten Afghanen dadurch entstehen, dass sie ihren neuen Glauben in ihrem Heimatland beibehalten und dort auch praktizieren wollen (vgl. hierzu auch die Ausführungen in dem Urteil des HessVGH vom 12.07.2007, a.a.O.).

Das Gericht ist nach Durchführung der mündlichen Verhandlung und Einvernahme der Zeugin ... davon überzeugt, dass die Konversion des Klägers auf einer glaubhaften Zuwendung zum christlichen Glauben im Sinne eines ernst gemeinten religiösen Einstellungswandels mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung und nicht lediglich auf bloßen Opportunitätsgründen beruht.

Es ist allerdings zunächst festzustellen, dass das bis November 2007 gezeigte Verhalten des Klägers geeignet ist, Zweifel an einer solchen Änderung der religiösen Überzeugung des Klägers zu begründen. Erst nachdem das Amtsgericht Weilburg mit am 30.10.2007 verkündetem Urteil die Klage des Klägers auf Feststellung der Vaterschaft für dieses Kind abgewiesen hat und den Kläger nunmehr die Abschiebung nach Afghanistan drohte, hat er mit Schriftsatz vom 13. November 2007 seine Hinwendung zum christlichen Glauben als Abschiebungshindernis vorgetragen.

Die diesbezüglich bestehenden Zweifel wurden jedoch durch die Anhörung des Klägers und die Einvernahme der Zeugin ... überzeugend ausgeräumt.

Die Zeugin hat dargetan, dass sie selbst den Kläger darauf hingewiesen hat, dass er wegen seines Übertrittes zum christlichen Glauben - der dann durch die am 28.01.2008 vollzogene Taufe dokumentiert wurde - nicht nach Afghanistan zurückkehren könne, weil ihm dort erhebliche Gefahren drohten. Sie hat dargetan, dass der Kläger selbst nicht auf die Idee gekommen ist, diesen Sachverhalt in seinem Asylverfahren vorzutragen, sondern dass dieser Umstand erst durch ihre Intervention und Kontaktaufnahme mit seinen Anwälten dann auch diesen bekannt geworden ist.

Diese Überzeugung hat das Gericht auch durch die Anhörung und Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung gewonnen. Dies nicht allein, weil der Kläger über die wesentlichen Inhalte des christlichen Glaubens unterrichtet ist, seine Motive zum Übertritt zum christlichen Glauben nachvollziehbar und überzeugend begründet hat und auch überzeugend das christliche Glaubensbekenntnis vorgetragen hat. Maßgeblich für die Überzeugung des Gerichtes sind hierbei auch Haltung, Körpersprache und die Art, wie der Kläger seine innere religiöse Überzeugung geäußert hat.