VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 14.12.2007 - 11 TG 2475/07 - asyl.net: M13435
https://www.asyl.net/rsdb/M13435
Leitsatz:

Ein Aufenthaltsverbot gegenüber einem Unionsbürger kann durchgesetzt werden, auch wenn die zugrundeliegende bestandskräftige Ausweisung möglicherweise rechtswidrig erfolgt ist. Dies gilt auch, solange ein Antrag auf Aufhebung bzw. Befristung des Aufenthaltsverbots noch nicht beschieden ist.

 

Schlagwörter: D (A), Ausweisung, Unionsbürger, Ausreiseaufforderung, Abschiebungsandrohung, Unionsbürgerrichtlinie, Freizügigkeit, Überprüfung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: FreizügG/EU § 11 Abs. 2; AufenthG § 50 Abs. 1; AufenthG § 58 Abs. 1; AufenthG § 58 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; AufenthG § 59; RL 2004/38/EG Art. 32; VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 123 Abs. 1
Auszüge:

Ein Aufenthaltsverbot gegenüber einem Unionsbürger kann durchgesetzt werden, auch wenn die zugrundeliegende bestandskräftige Ausweisung möglicherweise rechtswidrig erfolgt ist. Dies gilt auch, solange ein Antrag auf Aufhebung bzw. Befristung des Aufenthaltsverbots noch nicht beschieden ist.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Aufgrund des Beschwerdevorbringens, auf dessen Überprüfung der erkennende Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), kann nicht festgestellt werden, dass es das Verwaltungsgericht zu Unrecht abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 10. Juli 2006 gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 28. Juni 2006 anzuordnen oder hilfsweise dem Antragsgegner aufzugeben, keine aufenthaltsbeendende Maßnahmen vor der Entscheidung über den Widerspruch zu ergreifen.

Die Verfügung des Antragsgegners vom 28. Juni 2006 ist offensichtlich rechtmäßig und im Hinblick darauf überwiegen unter den gegebenen Umständen die öffentlichen Interessen am Sofortvollzug die privaten Interessen des Antragstellers an einem vorläufigen Verbleib im Bundesgebiet. Die in der Verfügung vom 28. Juni 2006 enthaltene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig auf der Grundlage der §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 59 AufenthG ergangen.

Das Aufenthaltsgesetz ist für die Regelung der Rechtsverhältnisse des Antragstellers, eines italienischen Staatsangehörigen, in entsprechender Anwendung von § 11 Abs. 2 Freizügigkeitsgesetz heranzuziehen. Der Antragsteller genießt derzeit kein Freizügigkeitsrecht, weil er bestandskräftig durch die Verfügung vom 21. Mai 2002 ausgewiesen worden ist und diese sog. "Altausweisung" gegenüber einem Unionsbürger unbeschadet ihrer möglichen materiellen Rechtswidrigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 21.07) einschließlich des damit verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots wirksam geblieben ist.

Auch der Hilfsantrag mit dem sinngemäßen Inhalt, dem Antragsgegner aufzugeben, keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vor der Entscheidung über den Widerspruch (gemeint wohl: vom 10. Juli 2006) zu ergreifen, kann keinen Erfolg haben. Denn der Antragsteller kann keinen Anordnungsanspruch (§ 123 VwGO) glaubhaft machen. Insbesondere ergeben sich aus seinem Vortrag keine Vollstreckungshindernisse.

Allerdings weist der Antragsteller zu Recht auf den seit 29. April 2006 unmittelbar anwendbaren Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 hin (bzw. jetzt: § 7 Abs. 2 Satz 4 Freizügigkeitsgesetz). Hiernach hat ein EU-Bürger, der derzeit im Bundesgebiet nicht freizügigkeitsberechtigt ist, spätestens drei Jahre nach Vollzug einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme in Deutschland Anspruch auf Überprüfung, ob die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbots weiterhin gerechtfertigt ist oder ob das Aufenthaltsverbot aufgehoben werden muss. Über einen solchen Antrag muss die zuständige Behörde - hier der Antragsgegner - nach Art. 32 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2004/38 binnen sechs Monaten entscheiden. Daher rügt der Antragsteller zu Recht, dass eine Entscheidung bisher nicht ergangen ist. Denn die Ausweisungsverfügung wurde offenbar am 21. November 2003 vollstreckt, so dass spätestens (je nach den gegebenen Umständen auch früher) am 21. November 2006 ein Anspruch auf eine Entscheidung über die weitere Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbots bestand. Diesem Anspruch hat der Antragsgegner nicht binnen der vorgegebenen Frist von sechs Monaten (21. Mai 2007) genügt.

Hieraus ergibt sich entgegen der Auffassung der Beschwerde jedoch kein Vollstreckungshindernis für die erneute Durchsetzung der Ausreisepflicht, sondern ein gegebenenfalls mit Untätigkeitsklage vom Ausland aus einklagbarer Bescheidungsanspruch. Dies folgt aus Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38.