VG Darmstadt

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Zitieren als:
VG Darmstadt, Beschluss vom 28.03.2008 - 7 G 1447/07 (3) - asyl.net: M13419
https://www.asyl.net/rsdb/M13419
Leitsatz:

Die mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) eingeführte Bestimmung des § 27 Abs. 1 a Nr. 1 AufenthG steht der von der obergerichtlichen Rechtsprechung bisher als gültig angesehenen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bei der Frage, ob eine eheliche Lebensgemeinschaft besteht, nicht entgegen.

 

Schlagwörter: D (A), Ehegattennachzug, Verlängerung, Aufenthaltserlaubnis, eheliche Lebensgemeinschaft, Scheinehe, Beweislast, Glaubwürdigkeit, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AufenthG § 28 Abs. 1; AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; GG Art. 6 Abs. 1; AufenthG § 27 Abs. 1; AufenthG § 27 Abs. 1a Nr. 1
Auszüge:

Die mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) eingeführte Bestimmung des § 27 Abs. 1 a Nr. 1 AufenthG steht der von der obergerichtlichen Rechtsprechung bisher als gültig angesehenen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bei der Frage, ob eine eheliche Lebensgemeinschaft besteht, nicht entgegen.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Der Antrag auf vorläufigen Rechtschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO ist aber unbegründet.

Er erfüllt weder die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 27 AufenthG, der die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG regelt, noch erfüllt er die Voraussetzungen des § 31 AufenthG, mit dem ein eigenständiges Aufenthaltsrecht des Ehegatten geschaffen wird.

Die Voraussetzungen dieser Normen sind nicht gegeben, weil die eheliche Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner Ehefrau D. nicht besteht und auch nicht zwei Jahre lang bestanden hat.

Bei der Prüfung, ob eine eheliche Lebensgemeinschaft besteht, folgt das Gericht den Grundsätzen, die von der obergerichtlichen Rechtsprechung aufgestellt wurden, inzwischen ständige Rechtsprechung sind und die der Hessische Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 16.01.2007 - 7 TG 2879/06 -, AuAS 2007, 134 = NVwZ-RR 2007, 491, wie folgt zusammengefasst hat: ...

Wird die Erteilung eines Aufenthaltstitels begehrt, trifft dabei den Ausländer die objektive Beweislast (Feststellungslast) für das Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft, d.h. er hat die nachteiligen Folgen der Nichterweislichkeit einer ehelichen Lebensgemeinschaft zu tragen (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 16.09.2007, a.a.O.; v. 09.08.2004 - 9 TG 1179/04 -, FamRZ 2005, 989; Beschl. v. 01.07.2005 - 9 TG 1210/05 -).

Diese zu §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der Fassung vom 30.07.2004 (BGBl. I S. 1950) entwickelten Grundsätze gelten auch bei der Anwendung des neuen Aufenthaltsrechts. Die Kammer kann der Auffassung des Antragsteller-Bevollmächtigten nicht folgen, wonach die mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) eingeführte Bestimmung des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG der oben dargelegten Beweislastverteilung entgegenstehe (wie hier auch: VG Berlin, Urt. v. 25.01.2008 - 3 V 12.07 -, juris; v. 19.12.2007 - VG 5 V 22.07 -; v. 09.10.2007 - 9 V 1.07 -; Urt. v. 05.09.2007 - 9 V 10.07 -, juris; a. A. VG Berlin, Urt. v. 30.01.2008 - 7 V 35.07 -, juris; v. 12.12.2007 - VG 1 V 66.06 -; VG Sigmaringen, Beschl. v. 12.01.2008 - 6 K 2712/07 -, juris). Nach der genannten Vorschrift wird ein Familiennachzug nicht zugelassen, wenn feststeht, dass die Ehe oder das Verwandtschaftsverhältnis ausschließlich zu dem Zweck geschlossen oder begründet wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das Bundesgebiet oder den Aufenthalt hier zu ermöglichen. Aus dieser Bestimmung folgt schon nicht, dass eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug nur dann versagt werden darf, wenn erwiesen ist, dass die Ehe ausschließlich zu dem Zweck geschlossen wurde, dem Nachziehenden die Einreise zu ermöglichen. Der Wortlaut enthält keinen ausdrücklichen Hinweis auf eine abschließende Regelung für die Versagung des Familiennachzugs (etwa: "Ein Familiennachzug wird nur dann nicht zugelassen, wenn..."). Auch die systematische Stellung des Abs. 1a spricht gegen eine solche Interpretation. Der Grundsatz des § 27 Abs. 1 AufenthG, wonach die Aufenthaltserlaubnis zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG erteilt wird, gilt unverändert fort und wird durch die neue Vorschrift des Abs. 1a nicht eingeschränkt. Eine Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast würde auch dem Willen des Gesetzgebers und der Zwecksetzung des neuen Absatzes 1a nicht gerecht werden. Die Neufassung des Aufenthaltsgesetzes erfolgte zur Umsetzung u.a. der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22.09.2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung gemäß der Familiennachzugsrichtlinie (ABl. EU Nr. L 251 S. 12). Die Familiennachzugsrichtlinie dient der Herstellung und Wahrung des Familienlebens auf der Grundlage tatsächlicher Bindungen zwischen den Ehepartnern, wie sich sowohl aus der Definition des Ausdrucks "Familienzusammenführung" in Art. 2d, als auch aus den Erwägungsgründen 4 und 6 ergibt. Nach Art. 16 Abs. 1b Familiennachzugsrichtlinie können die Mitgliedsstaaten einen Antrag auf Einreise und Aufenthalt zum Zwecke der Familienzusammenführung u. a. dann ablehnen, wenn zwischen dem Zusammenführenden und dem Familienangehörigen keine tatsächlichen ehelichen oder familiären Bindungen bestehen. In Art. 16 Abs. 2b Familiennachzugsrichtlinie heißt es, dass die Mitgliedsstaaten einen Antrag auf Einreise und Aufenthalt zum Zwecke der Familienzusammenführung "auch" ablehnen können, wenn feststeht, dass die Ehe oder Lebenspartnerschaft nur zu dem Zweck geschlossen wurde, um der betreffenden Person die Einreise in einen Mitgliedsstaat oder den Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat zu ermöglichen. Nach den genannten Bestimmungen eröffnet die Familiennachzugsrichtlinie demnach die Möglichkeit, einen Familiennachzug sowohl dann zu verweigern, wenn keine tatsächlichen ehelichen oder familiären Bindungen bestehen, als auch dann, wenn eine Ehe nur zu dem Zwecke geschlossen worden ist, um der betreffenden Person die Einreise zu ermöglichen. Diesen Vorgaben entspricht § 27 Abs. 1 AufenthG, mit dem der allgemeine Grundsatz aufgestellt wird, dass ein Familiennachzug zum Schutz von Ehe und Familie erfolgen darf, während in § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG ein besonderer Versagungsgrund für eine bestimmte Fallkonstellation geschaffen wird (VG Berlin, Urt. v. 05.09.2007 - 9 V 10.07 -, juris). Entgegen der Ansicht des Antragsteller-Bevollmächtigten lässt sich den Gesetzesmaterialien auch nicht entnehmen, dass § 27 Abs. 1a AufenthG eine Ausnahme von dem Grundsatz des Abs. 1 darstellen soll. Der Gesetzesbegründung zufolge sollte ein Ausschlussgrund für den Familiennachzug bei Scheinehen ausdrücklich geregelt werden, um dem Missbrauch eines Aufenthaltsrechts entgegenzuwirken (vgl. BT-Drs. 16/5065 S. 3 und S. 170; vgl. VG Berlin, Urt. v. 05.09.2007, a.a.O.); dieser Zweck erfordert es aber nicht, zugleich eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast einzuführen.

Nach alledem bleibt festzuhalten, dass die Ausländerbehörde vorliegend nicht den Nachweis für das Vorliegen einer Scheinehe erbringen muss, sondern der Antragsteller den Nachweis für das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft unter dem (erschwerenden) Aspekt, dass die Eheleute zumindest an den Werktagen nicht zusammenwohnen. An den Nachweis der beruflichen Notwendigkeit für verschiedene Wohnungen der Eheleute sind strenge Anforderungen zu stellen (Bay. VGH, Beschl. v. 20.08.2003 - 10 ZB 03.1598 -, NVwZ-RR 2004, 150). Wenn der Betreffende auf die Bedeutung einzelner Umstände für die Feststellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft bereits einmal aufmerksam gemacht wurde, ist er unter Umständen gehalten, diese substantiiert darzulegen (B. in: GK-AufenthG, Stand: Dezember 2005, II - § 27 Rdnr. 117) und im Eilverfahren glaubhaft zu machen. Dies ist dem Antragsteller nicht gelungen.