VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.05.2008 - 13 S 136/08 - asyl.net: M13416
https://www.asyl.net/rsdb/M13416
Leitsatz:

Beruft sich ein Ausländer gegenüber der Verkürzung seiner aus Familiennachzugsgründen erteilten Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG verteidigungsweise auf eine zielstaatsbezogene Härte im Sinn des § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, die materiell einen spezifischen Asylgrund im Sinn des § 60 Abs. 1 AufenthG darstellt (hier: Verfolgung in Ägypten wegen Konversion zum christlichen Glauben), so ist dies im asylrechtlichen Statusverfahren und nicht im ausländerrechtlichen Aufenthaltserlaubnisverfahren geltend zu machen; ein "Wahlrecht" zwischen den Verfahren besteht insoweit nicht (Fortentwicklung von BVerwG, Beschluss vom 3.3.2006 -1 B 126/05 -, NVwZ 2006, 830).

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, nachträgliche Befristung, Ehegattennachzug, Ermessen, eigenständiges Aufenthaltsrecht, besondere Härte, Asylantrag, Konversion, Apostasie, Prüfungskompetenz, Ausländerbehörde, Bundesamt
Normen: AufenthG § 7 Abs. 2 S. 2; AufenthG § 31 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 13 Abs. 1
Auszüge:

Beruft sich ein Ausländer gegenüber der Verkürzung seiner aus Familiennachzugsgründen erteilten Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG verteidigungsweise auf eine zielstaatsbezogene Härte im Sinn des § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, die materiell einen spezifischen Asylgrund im Sinn des § 60 Abs. 1 AufenthG darstellt (hier: Verfolgung in Ägypten wegen Konversion zum christlichen Glauben), so ist dies im asylrechtlichen Statusverfahren und nicht im ausländerrechtlichen Aufenthaltserlaubnisverfahren geltend zu machen; ein "Wahlrecht" zwischen den Verfahren besteht insoweit nicht (Fortentwicklung von BVerwG, Beschluss vom 3.3.2006 -1 B 126/05 -, NVwZ 2006, 830).

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die nach der Zulassung durch den Senat zulässige, insbesondere rechtzeitig begründete (siehe § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) Berufung der Beklagten hat sachlich Erfolg; die mit der Klage angegriffene Verfügung der Beklagten vom 26.10.2006 i.d.F. des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 24.5.2007 ist im Sinn des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO rechtlich nicht zu beanstanden, so dass das stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen ist.

Zu Recht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der in formell-rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstandenden Verfügung der Beklagten nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gegeben sind. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht auch ausgeführt, dass im Rahmen einer derartigen "Verkürzungsverfügung" zu prüfen ist, ob dem Betroffenen - u.U. zwischenzeitlich - ein eigenes Aufenthaltsrecht zusteht oder ob sonstige Gründe der Verkürzung entgegenstehen; im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG sind nämlich die privaten Interessen des Ausländers am Verbleib im Bundesgebiet mit dem öffentlichen Interesse an der Befristung seines weiteren Aufenthalts abzuwägen (siehe dazu Hailbronner, AuslR, Rn 30 zu § 7 m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Vorgängervorschriften; siehe auch Bay. VGH, Beschluss vom 18.3.2008 - 19 ZB 08.259 -, juris; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.11.2007 - 11 S 1702/07 -, ZAR 2008, 66; OVG Münster, Beschluss vom 21.2.2007 - 18 B 690/06 -, juris).

Anders als das Verwaltungsgericht angenommen hat kann der Kläger gegen die in der angefochtenen Verfügung getroffene Ermessensausübung allerdings nicht einwenden, es bestehe ein eigenständiges Aufenthaltsrecht aus § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, da ihm "wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange" drohe (siehe § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Weder inlandsbezogene (§ 31 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. AufenthG) noch zielstaatsbezogene (§ 31 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. AufenthG) Gründe ergeben, dass die Beklagte in der angefochtenen Verfügung bzw. das Regierungspräsidium Stuttgart im Widerspruchsbescheid (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) bei der Ermessensausübung von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist oder dass ein sonstiger Ermessensfehler im Sinn des § 114 Satz 1 VwGO vorliegt.

Anhaltspunkte für das Vorliegen inlandsbezogener Hinderungsgründe haben weder die beteiligten Behörden noch das Verwaltungsgericht gesehen; sie sind auch vom Kläger nicht substantiiert geltend gemacht worden. Aber auch sog. zielstaatsbezogene Gründe im Sinn des § 31 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. AufenthG (zu dieser Unterscheidung s. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.2.2006 - 11 S 1066/05 -, LS in FamRZ 2006, 1534 und BVerwG, Urteil vom 21.9.1999 - 9 C 12.99 -, BVerwGE 109, 305 f.) kann der Kläger gegenüber der angefochtenen Verfügung zu seinen Gunsten nicht geltend machen. Insbesondere kann er eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange im Sinn dieser Vorschrift nicht daraus herleiten, dass ihm nach seinen Angaben bei einer Rückkehr in sein Heimatland eine (mittelbare oder unmittelbare) staatliche Verfolgung wegen seines Religionswechsels drohe.

Der Senat kann dabei offenlassen, ob im Rahmen des § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nur solche "Härten" zu berücksichtigen sind, die sich unmittelbar auf die Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft zurückführen lassen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7.4.1997 - 1 B 118/96 -, DÖV 1997, 835 und BayVGH, Beschluss vom 24.1.2005 - 24 ZB 04.2182 -, juris), oder ob es - was näher liegt - nach dem AufenthG anders als möglicherweise nach der früheren Rechtslage auf alle aus der Auflösung der Lebensgemeinschaft folgenden Rückkehrverpflichtung sich ergebenden Beeinträchtigungen ankommt (siehe dazu Hailbronner, a.a.O., Rn 22 zu § 31; Storr/Wenger, Zuwanderungsrecht, 2008, Rn 27 zu § 31; Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 2007, § 5 Rn 199, je m.w.N.). Auch bei Zugrundelegung der zuletzt genannten - großzügigeren - Betrachtungsweise kann nämlich im vorliegenden Fall von einer zugunsten des Klägers anzunehmenden besonderen Härte aus zielstaatsbezogenen Gründen nicht ausgegangen werden. Die konkret von dem Kläger in diesem Zusammenhang genannten Gründe - eine Gefährdung wegen seiner Konversion zum christlichen Glauben - sind nämlich als zielstaatsbezogene spezifisch asylrechtliche Abschiebeverbote dem asylrechtlichen Verfahren zugewiesen und dort geltend zu machen; die Ausländerbehörde darf damit im ausländerrechtlichen Verkürzungsverfahren nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG jedenfalls ohne positive asylrechtliche Entscheidung mit entsprechender Bindungswirkung nach § 42 AsylVfG nicht positiv von einer entsprechenden zielstaatsbezogenen Gefährdungssituation ausgehen, sondern hat diese bis dahin aus ihrem Prüfprogramm auszuklammern (s. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.2.2006 a.a.O. und vom 6.4.2005 - 11 S 2779/04 -, juris). Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Bei der von dem Kläger geltend gemachten "erheblichen Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange", aus der er nach § 31 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 AufenthG das Vorliegen einer „besonderen Härte“ und damit die Entstehung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts nach § 31 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 AufenthG und damit einen behördlichen Ermessensfehler bei der Verkürzung des eheabhängigen Aufenthaltsrechts nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ableitet, handelt es sich um zielstaatsbezogene Gründe, die als solche speziell einem bestimmten - hier: asylrechtlichen - Verfahren zugewiesen sind; es geht hier insbesondere nicht um die Geltendmachung "sonstiger" zielstaatsbezogener Gründe, die asylverfahrensirrelevante Beeinträchtigungen betreffen (vgl. dazu Marx, a.a.O., § 5 Rn 205 f. m.w.N.). Indem der Kläger behauptet, aufgrund seines auch vom Senat als glaubhaft unterstellten Übertritts zum christlichen Glauben in Ägypten Repressalien ausgesetzt zu sein, macht er im wesentlichen außer familiären Schwierigkeiten (siehe dazu unten) die Befürchtung zum Streitgegenstand, seitens des ägyptischen Geheimdienstes "angegangen"fc zu werden; er befürchtet unmittelbare staatliche Verfolgung als Konvertit, und er geht - wie später auch das Verwaltungsgericht in dem hier angefochtenen Urteil - zusätzlich davon aus, der ägyptische Staat könne ihm gegenüber familiären ernsthaften Nachstellungen wegen seiner Hinwendung zum christlichen Glauben keinen Schutz gewähren. Damit macht der Kläger explizit Gründe geltend, die asylrechtlicher Art sind; er beruft sich der Sache nach zur Begründung der besonderen Härte nach § 31 Abs. 2 AufenthG darauf, es liege ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 4 lit. a und c AufenthG vor. Konversion ist gerade bei islamischen Ländern ein typischer Fluchtgrund (siehe dazu etwa Marx, a.a.O. § 10 Rn 354 f.; Bay. VGH, Urteil vom 23.10.2007 - 14 B 06.30315 -, AuAS 2008, 20), betreffend unmittelbare Gefahren für Leben und körperliche Unversehrtheit, die auf der Zugehörigkeit des Betroffenen zu einer bestimmten Religion beruhen. Die Zuordnung dieses spezifischen Verfolgungsvortrags zum asylrechtlichen Verfahren nach § 60 Abs. 1 AufenthG wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass es sich hier um eine Konversion erst im Bundesgebiet, also um einen sog. Nachfluchtgrund handelt; es ist nämlich eine Frage des asylrechtlichen Verfahrens, insbesondere des Zusammenwirkens von § 60 Abs. 1 AufenthG mit der sog. Qualifikationsrichtlinie (RL 2004/38/EG, Art. 5), die Relevanz solcher Gründe als Abschiebeverbote festzustellen (siehe dazu Bay. VGH a.a.O.; Storr/Wenger, a.a.O. Rn 14 zu § 60; Marx a.a.O. Rn 355).

Was solche typischen zielstaatsbezogenen Feststellungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG (nicht: § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) angeht, so sind diese als aufenthaltserlaubnisbegründende Umstände nach der gesetzlichen Konzeption (s. §§ 60 Abs. 1 Satz 6, 25 Abs. 1 und 2 AufenthG) jedoch jedenfalls als Statusfeststellungen der Entscheidung im asylrechtlichen Verfahren vorbehalten. In der Entscheidung vom 3.3.2006 (1 B 126/05, NVwZ 2006, 830) hat das Bundesverwaltungsgericht zur materiellen Berufung auf Asylgründe in einem ausländerrechtlichen Duldungsverfahren entschieden, dass über die Prüfung solcher Schutzersuchen das besonders sachkundige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig ist und dass ein "Wahlrecht" des Ausländers zwischen asylrechtlichem oder ausländerrechtlichem Schutz vor Verfolgung im Heimatland nicht bestehe. Das Gericht geht davon aus, es sei gerade der Sinn des § 13 Abs. 1 AsylVfG, denjenigen Schutzsuchenden, der sich materiell auf Asylgründe beruft, zwingend auf das alle Schutzersuchen und Schutzformen erfassende (siehe BVerwG, Urteil vom 18.1.1994 - 9 C 48.92 -, BVerwG 95, 42) Asylverfahren zu verweisen und hiermit ausschließlich das besonders sachkundige Bundesamt zu befassen. Die Vorschrift sei zur Konzentration und zur Beschleunigung des Verfahrens und auch zum Ausschluss von Verfahrensverzögerungen durch nachgeschaltete Asylanträge geschaffen worden. Diese Grundsätze gelten nach Auffassung des Senats auch bei der hier vorliegenden Fallkonstellation.

Dem Kläger ist zuzugeben, dass der vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fallkonstellation keine nachträgliche Verkürzung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zugrunde lag, bei der sich im Rahmen der Härtefallprüfung nach § 31 Abs. 2 AufenthG materiell asylrechtliche Fragen stellen, sondern ein Duldungsbegehren nach § 60a Abs. 2 AufenthG; dies ändert aber nichts daran, dass materiell dem Klagebegehren ein inhaltlich zu prüfendes asylrechtliches Schutzgesuch im Sinn des § 13 Abs. 1 AsylVfG zugrunde liegt. Allerdings wird im vorliegenden Fall das Schutzgesuch des Klägers nicht im Rahmen einer Verpflichtungsklage auf eine positive Entscheidung über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG geltend gemacht, sondern als Einwendung einer behördlichen Aufenthaltserlaubnisverkürzung entgegengehalten; insofern handelt es sich aber lediglich um eine andere prozessuale "Einkleidung" des materiell geltend gemachten Schutzbegehrens.