OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.06.2008 - 18 E 471/08 - asyl.net: M13407
https://www.asyl.net/rsdb/M13407
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, Aufenthaltserlaubnis, Ausreisehindernis, Passlosigkeit, Passbeschaffung, Identität ungeklärt, Mitwirkungspflichten, Beweislast, Verschulden
Normen: VwGO § 166; ZPO § 114; AufenthG § 25 Abs. 5; AufenthG § 3 Abs. 1; AufenthG § 5 Abs. 1
Auszüge:

Die gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren gerichtete Beschwerde des Klägers ist nicht begründet.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG weiterhin nicht zu.

Der Kläger erfüllt jedenfalls nicht die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG. Zwar ist dem Kläger - wie es § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG in seiner zweiten Alternative erfordert - wegen fehlenden Besitzes eines Passes oder Passersatzpapiers gegenwärtig eine freiwillige Ausreise tatsächlich nicht möglich. Es ist jedoch weiterhin davon auszugehen, dass bei ernsthafter Mitwirkung des Klägers mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit zu rechnen wäre. Daraus folgt wegen der insoweit gegebenen Verschränkung des Satzes 1 mit den Anforderungen nach den Sätze 3 und 4 zugleich, dass der Kläger nicht unverschuldet an seiner freiwilligen Ausreise gehindert ist (§ 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG). Der Kläger, dessen Identität ungeklärt ist, hat nicht alle ihm in diesem Zusammenhang möglichen und zumutbaren Anstrengungen zur Beschaffung eines Passes bzw. Passersatzpapieres unternommen.

Insoweit gilt Folgendes: Es ist die ureigene Angelegenheit eines Ausländers, seine Identität aufzuklären und sich bei der für ihn zuständigen Auslandsvertretung um die Ausstellung eines Ausweispapiers zu bemühen.

Deshalb hat ein ausreisepflichtiger Ausländer - wie der Kläger - alle zur Erfüllung seiner Ausreisepflicht erforderlichen Maßnahmen, und damit auch die zur Beschaffung eines gültigen Passes oder Passersatzpapiers, grundsätzlich ohne besondere Aufforderung durch die Ausländerbehörde unverzüglich einzuleiten. Dabei hat er - nicht die Ausländerbehörde - sich gegebenenfalls unter Einschaltung von Mittelspersonen in seinem Heimatland um erforderliche Dokumente und Auskünfte zu bemühen, wobei es grundsätzlich auch zumutbar ist, einen Rechtsanwalt im Herkunftsstaat zu beauftragen.

Erwartet werden muss in diesem Zusammenhang, dass mit der größtmöglichen Sorgfalt in nachvollziehbarer Weise Nachforschungen angestellt werden. Deren Art und Umfang bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Zum Beweis solcher Nachforschungen sind schon wegen ihres geringen Beweiswertes regelmäßig beispielsweise einfache Briefe zwischen Privatpersonen ebenso weitgehend ungeeignet wie eine Korrespondenz, die ausschließlich per E-Mail geführt worden ist. Zudem ist es durchaus naheliegend, dass Behörden im Herkunftsland eines Ausländers zur Vermeidung eines Missbrauchs von Identitätspapieren auf derartige relativ anonyme Kommunikationsträger nicht oder ablehnend reagieren. Deshalb ist es jedenfalls nach dem Fehlschlagen sonstiger Anstrengungen zum Nachweis der Ernsthaftigkeit solcher Bemühungen aus Gründen der Seriosität grundsätzlich unerlässlich, insoweit letztlich bereits in Deutschland einen Rechtsanwalt in Deutschland zu beauftragen. In Einzelfällen mag auch die unmittelbare Beauftragung einer amtlichen Stelle des Herkunftslandes durch den Ausländer ausreichen, sofern dies nachprüfbar belegt ist und auf Grund der Erkenntnislage eine ernsthafte Bearbeitung der Anfrage erwarten werden darf. Dabei gehört es zu den naheliegenden und deshalb regelmäßig zu nutzenden Möglichkeiten, die Adressen dieser Stellen und der Rechtsanwälte im Herkunftsland gegebenenfalls über die Botschaft des Herkunftslandes in Deutschland oder über die dortige deutsche Auslandsvertretung zu erfragen. Klargestellt sei, dass es dem Ausländer unbenommen ist, vor der Einschaltung von Rechtsanwälten andere, möglicherweise kostengünstigere Bemühungen und Nachforschungen durchzuführen, und er dadurch bis zum Feststehen ihres Fehlschlagens seine Mitwirkungspflichten erfüllen kann.

Zweifel in Bezug auf die Identitätsaufklärung und die Unmöglichkeit einer Passbeschaffung gehen zu Lasten des Ausländers, weil er generell und damit insbesondere auch - wie hier - im Verfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für die ausschließlich seinem Einflussbereich unterliegenden, ihm günstigen Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig ist und dies auch in Ansehung einer für ihn möglicherweise schwierigen Beweissituation gilt. Davon abzusehen gebieten nicht die Regelungen in § 25 Abs. 5 Sätze 3 und 4 AufenthG, auch wenn es sich bei ihnen um anspruchsvernichtende Voraussetzungen handeln mag, für die prinzipiell die Ausländerbehörde die Feststellungslast trägt. Entscheidend ist insoweit, dass es hier zunächst um das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen des § 25 Abs. 1 AufenthG [gemeint: Abs. 5] geht, für die die Darlegungs- und Beweislast beim antragstellenden Ausländer liegt, und dass zudem - bezogen auf § 25 Abs. 5 Sätze 3 und 4 AufenthG - aus den oben aufgezeigten Gründen im Vordergrund die Erfüllung von Obliegenheiten und Mitwirkungspflichten des Ausländers steht (vgl. §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1, 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG), hinsichtlich derer der Ausländerbehörde mangels eigener Wahrnehmungsmöglichkeiten regelmäßig auch keine Darlegung und kein Beweisantritt möglich sein wird. Erst wenn ein Ausländer die aufgezeigten (üblichen) Mitwirkungshandlungen erfüllt hat, trägt die Ausländerbehörde die Darlegungs- und Beweislast dafür, welche konkreten weiteren und nicht von vornherein aussichtslosen Mitwirkungshandlungen der Betroffene zur Beseitigung des Ausreisehindernisses noch unternehmen kann.

Ausländer, die den aufgezeigten Obliegenheiten und Mitwirkungsverpflichtungen nicht nachkommen, haben die sich aus ihrem Verhalten ergebenden Nachteile grundsätzlich hinzunehmen und können nicht darauf vertrauen, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Dies gilt erst recht, wenn sie - wie der Kläger - ohne Reisedokumente nach Deutschland eingereist sind und damit gezielt die Umstände herbeigeführt haben, die nun ihrer freiwilligen Ausreise und ihrer Abschiebung entgegen stehen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Beschlüsse vom 30. April 1997 - 1 B 74.97 -, juris, und vom 15. Juni 2006 - 1 B 54.06 -; Senatsurteil vom 9. Februar 1999 - 18 A 5156/96 -, DVBl. 1999, 1222 = AuAS 1999, 159; Senatsbeschlüsse etwa vom 25. Juli 2005 - 18 E 687/05 -, vom 12. Oktober 2005 - 18 B 1526/05 -, vom 14. März 2006 - 18 E 924/04 -, NWVBl 2006, 260 = InfAuslR 2006, 322 = EZAR NF 28 Nr. 5, und 17. April 2008 - 18 E 301/07 -).

Dies zugrunde gelegt kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger seinen Mitwirkungsobliegenheiten bei der Klärung seiner Identität und Passbeschaffung genügt hat.