VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 24.04.2008 - 10 A 430/07 - asyl.net: M13389
https://www.asyl.net/rsdb/M13389
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Todesstrafe, Totschlag, Doppelbestrafung, Auslandsstraftaten, Blutgeld
Normen: AufenthG § 60 Abs. 3
Auszüge:

Die Klage hat Erfolg.

1. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 3 AufenthG liegen hinsichtlich des Iran vor. Dem Kläger droht im Iran die Verhängung der Todesstrafe.

a) Wegen der Neufassung des § 60 Abs. 3 AufenthG im Zuge der Umsetzung des Art. 15 lit. a der Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) ist nicht vorausgesetzt, dass über eine Verhängung der Todesstrafe hinaus auch deren Vollstreckung droht. Dabei werden im Iran ausgesprochene Todesstrafen nicht immer vollstreckt, wenn auch nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen im Jahr 2007 immerhin mindestens 297mal (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18.03.2008, S. 31).

b) Das Gericht legt seiner Einschätzung einer drohenden Verhängung der Todesstrafe folgende Maßstäbe zugrunde:

aa) Es ist nach iranischem Recht zulässig, einen Iraner, der im Ausland eine auch im Iran strafbare Handlung begangen hat und dort verurteilt wurde, nach Rückkehr einem erneuten Strafverfahren zu unterziehen; in diesem Sinne besteht kein Verbot der Doppelbestrafung. Nach Art. 7 des Gesetzes über islamische Strafen wird jeder Iraner, der sich im Ausland strafbar gemacht hat und im Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden Gesetzen der Islamischen Republik Iran bestraft (Lagebericht, a.a.O., S. 24). Konkrete Fälle einer Doppelbestrafung in dem vorgenannten Sinne sind nach der Auskunftslage zwar nicht bekannt geworden (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 31.10.2007, vormaliger Lagebericht vom 04.07.2007, S. 21). Doch misst das Gericht diesem Umstand keine in jedem Fall ausschlaggebende Bedeutung zu. Nur vor dem Hintergrund, dass es erneut zu einer Bestrafung kommen kann, ist auch die Auskunft verständlich, dass eine eventuell im Ausland verbüßte Strafe nach Aussagen von Vertretern der Justiz bei der Strafzumessung im iranischen Verfahren Anrechnung finden soll (Lagebericht vom 18.03.2008, S. 24).

Es kann, wenn die iranischen Behörden von dem Delikt Kenntnis erhalten, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der erneuten Verfolgung nach bisheriger Erfahrung in Fällen gegeben sein, die aus iranischer Sicht von besonderer Bedeutung sind (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 14.11.2003 – 1 Bf 21/98 –; VG Hamburg, Urteil vom 12.04.2005 – 10 K 2189/04 –). Dies gilt beispielsweise dann, wenn ein iranischer Staatsangehöriger Opfer der Straftat ist und er selbst oder seine Familie diese im Iran zur Anzeige bringt (Auskunft vom 31.10.2007) oder bei schwerwiegenden Fällen, die in der deutschen Öffentlichkeit besonders Aufsehen erregt und daher aus iranischer Sicht das Bild Irans im Ausland beschädigt haben (Lagebericht, a.a.O., S. 24).

bb) Die Todesstrafe kann nach iranischem Recht für eine große Zahl von Delikten verhängt werden (Lagebericht, a.a.O., S. 30). Insbesondere kann nach Art. 204-268 des Gesetzes über islamische Strafen eine vorsätzliche, quasi-vorsätzliche oder fahrlässige Tötung mit dem Tode bestraft werden (Auskunft vom 31.10.2007). Es besteht allerdings nach Art. 612 des Gesetzes über islamische Strafen die Möglichkeit, dass die Hinterbliebenen oder sonst Berechtigten Vergebung üben und auf die Vollstreckung, d. h. die Hinrichtung, verzichten (Auskunft vom 31.10.2007).

Das iranische Strafrecht kennt für die Tatbestände Mord und Körperverletzung die körperliche Vergeltung (Qisas, ius talionis) durch entsprechende Leibesstrafen (Lagebericht, a.a.O., S. 22). Bei diesen Delikten können der Geschädigte oder seine Familie selbst bestimmen, ob auf Vergeltung bestanden oder eine Entschädigung (Diyeh, Blutgeld) i.H.v. umgerechnet mindestens 24.000 EUR angenommen wird (Lagebericht, a.a.O., S. 22). In Vergeltung der Tötung einer Frau kann die Tötung eines Mannes allerdings nur gegen Zahlung der Hälfte dessen Blutgeldes durchgesetzt werden (Lagebericht, a.a.O., S. 28).

b) In Anlegung dieser Maßstäbe kommt das Gericht in Berücksichtigung der vorliegenden Umstände zu folgenden Ergebnissen:

aa) Die vorliegenden Umstände sprechen für eine von den iranischen Behörden dem Delikt beigemessene besondere Bedeutung und damit für eine erneute Bestrafung. Die iranischen Behörden haben ausweislich der zahlreichen Schreiben des Generalkonsulats Kenntnis von dem Delikt erlangt. Es ist ein Tötungsdelikt, d.h. eine auch nach der iranischen Rechtsordnung besonders schwerwiegende Straftat, begangen worden. Das Opfer war iranischer Staatsangehörigkeit.

Der Fall hat auch besondere Aufmerksamkeit erregt.

Die iranischen Behörden haben von sich aus mehrfach Interesse an dem Fall bekundet.

bb) Es besteht auch eine für die Gewährung von Abschiebungsschutz hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass das Strafverfahren zur Verhängung der Todesstrafe führt. Der Kläger hat eine vorsätzliche Tötung und damit eine Tat verübt, die nach der abstrakten Strafdrohung des iranischen Strafrechts mit dem Tode bedroht ist. Die Strafbarkeit nach iranischem Strafrecht besteht ungeachtet der Tatbegehung in Deutschland und knüpft nach Art. 7 des iranischen Strafgesetzbuches bereits an die iranische Staatsangehörigkeit des Klägers als Täter an. Auch die in Deutschland vorgenommene Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren, die der Kläger z.Z. verbüßt, steht einer Strafverfolgung wegen eben dieser Tat im Iran nicht entgegen.

Auch wenn die Auskünfte des Auswärtigen Amtes (Lagebericht, a.a.O., Auskunft vom 31.10.2007) dahingehend verstanden würden, dass eine von der Familie des Opfers akzeptierte Zahlung von Blutgeld nicht erst die Vollstreckung sondern bereits die Verhängung der Todesstrafe hindert, so liegen hier keine Umstände vor, die eine solche einvernehmliche Regelung erwarten lassen. Da der Getötete männlichen Geschlechts war, bedarf es zur Durchsetzung einer Tötung des Klägers auch nicht umgekehrt der Zahlung der Hälfte des Blutgeldes durch die Familie des Getöteten. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger auch nur den Minimalsatz eines Blutgeldes von 24.000 EUR aufbringen könnte.

Auch spricht das bisherige Verhalten der iranischen Verwandten gegen die Akzeptanz eines Blutgeldes.