Maßgeblicher Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde ist derjenige des Erlasses des Verwaltungsaktes. Dies gilt auch für den Fall, dass die Behörde durch rechtskräftiges Verpflichtungsurteil zum Erlass des Verwaltungsaktes formell verpflichtet ist. Für die Frage der Nachträglichkeit einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse kommt es auf das Wirksamwerden des Anerkennungsbescheides an (Abweichung von BVerwG, Urteil vom 08.05.2003 - 1 C 15.02 -, BVerwG E 118,174).
Maßgeblicher Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde ist derjenige des Erlasses des Verwaltungsaktes. Dies gilt auch für den Fall, dass die Behörde durch rechtskräftiges Verpflichtungsurteil zum Erlass des Verwaltungsaktes formell verpflichtet ist. Für die Frage der Nachträglichkeit einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse kommt es auf das Wirksamwerden des Anerkennungsbescheides an (Abweichung von BVerwG, Urteil vom 08.05.2003 - 1 C 15.02 -, BVerwG E 118,174).
(Amtlicher Leitsatz)
Die Klage hat Erfolg.
1. Die Rechtsgrundlage für den Widerruf der Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG findet sich in § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Diese Ermächtigung erstreckt sich über den ausdrücklich geregelten Fall einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG hinaus auch auf den Widerruf einer nach der Vorgängervorschrift des § 51 Abs. 1 AuslG getroffenen Feststellung.
a) Allerdings steht der Rechtmäßigkeit des Widerrufs nicht schon die durch das Urteil des VG Bayreuth vom 31.05.2001 der Beklagten auferlegte Verpflichtung entgegen, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG zugunsten des Klägers festzustellen.
aa) Aus der formellen Funktion des Urteils des VG Bayreuth, als Vollstreckungstitel einer Verpflichtung auf Erlass eines Verwaltungsaktes zu dienen, leitet sich nichts her. Die formelle Titelfunktion des Hauptsachetenors ist mit Erfüllung der ausgesprochenen Verpflichtung durch Erlass des begehrten Verwaltungsaktes erloschen (vgl. § 362 Abs. 1 BGB).
Die Erfüllungswirkung hinsichtlich der Titelfunktion ist mit Erlass des die Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG enthaltenden Bescheids vom 28.12.2001 ungeachtet dessen eingetreten, dass die Beklagte in der Begründung des Bescheids lediglich auf das ergangene Verpflichtungsurteil Bezug nimmt, ohne eigene Ausführungen zur Sach- und Rechtslage zu erbringen. Die in einem Verpflichtungsurteil nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO ausgesprochene Verpflichtung zielt nur auf den Erlass eines Verwaltungsaktes mit einem bestimmten Regelungsgehalt ab, nicht auf den Erlass eines Verwaltungsaktes mit einer bestimmten Begründung. Dies folgt auch daraus, dass der Betroffene mit der Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 2 Alt. 2 VwGO nur geltend machen kann, durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsaktes, nicht aber durch die Ablehnung oder Unterlassung eines in bestimmter Weise begründeten Verwaltungsaktes, beschwert zu sein. Der durch Verpflichtungsurteil titulierte Anspruch eines Bürgers auf Erlass eines begünstigenden Verwaltungsaktes ist auch dann vollständig erfüllt, wenn sich die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes weiterer Ausführungen zur Sach- und Rechtslage enthält.
bb) Auch die materielle Funktion des Urteils des VG Bayreuth, mit Rechtskraft zwischen den Beteiligten über die Verpflichtung der Beklagten zu einer Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG zu befinden, führt noch nicht zur Unzulässigkeit eines Widerrufs der Feststellungen.
Die Rechtskraftwirkung eines Urteils nach § 121 VwGO endet, wenn nach dem für das rechtskräftige Urteil maßgeblichen Zeitpunkt neue für die Streitentscheidung erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den damals gegebenen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eine erneute Sachentscheidung gerechtfertigt ist (BVerwG, Urteil vom 18.09.2001 – 1 C 7/01 –, BVerwGE 115, 118). Das Gericht entscheidet auf Grundlage der Sach- und Rechtslage in dem für seine Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt. Maßgeblich für die Entscheidung des VG Bayreuth war gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylVfG die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 31.05.2001. Dem Urteil des VG Bayreuth kommt spätestens ab Anfang Dezember 2001 keine materielle Bindungswirkung mehr zu. Mit dem Sturz des Talibanregimes entfiel die Grundlage der auf die Verfolgung durch das Talibanregime gestützten Verpflichtung zu einer Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG.
b) Indessen steht der Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG entgegen, dass es an einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse seit Erlass des Bescheides vom 28.12.2001 fehlt.
bb) In zeitlicher Hinsicht ist dabei eine dem Erlass des Anerkennungsbescheids der Beklagten vom 28.12.2001 nachfolgende Änderung der Verhältnisse vorausgesetzt. Auf eine dem Erlass des Bescheides vom 28.12.2001 vorausgegangene Änderung der Verhältnisse seit Ergehen des Urteils des VG Bayreuth vom 31.05.2001 kann der Widerruf nicht gestützt werden.
(1) Zwar wurde die Auffassung vertreten, dass für die Prüfung der Voraussetzungen des Widerrufs von Asylanerkennungen, die in Erfüllung eines rechtskräftigen Verpflichtungsurteils ergangen sind, nicht der Zeitpunkt des Ergehens des Anerkennungsbescheids sondern des rechtskräftig gewordenen Verpflichtungsurteils maßgeblich sei (BVerwG, Urteil vom 08.05.2003 − 1 C 15.02 −, BVerwGE 118, 174, m.w.N.). Auch für den nachfolgenden Anerkennungsbescheid komme es insoweit auf den für die gerichtliche Entscheidung nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung an. Alle späteren Tatsachenlagen seien von dem rechtskräftigen Verpflichtungsurteil und "demzufolge" auch von dem in Erfüllung eines solchen Urteils ergehenden Bescheids regelmäßig nicht erfasst. Dem entspreche auch die Begründung des zu widerrufenden Anerkennungsbescheids,
wenn ausschließlich darauf abgestellt werde, dass die Anerkennung in Erfüllung des rechtskräftigen Urteils ergehe. Mit diesem "Erklärungsinhalt" werde ein solcher Anerkennungsbescheid bestandskräftig.
(2) Doch kann dieser Auffassung nicht gefolgt werden.
Dabei wird von den Vertretern der vorbezeichneten Auffassung eingeräumt, dass es für die Frage der Nachträglichkeit einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zumindest dann auf das Wirksamwerden des Anerkennungsbescheides ankommt, wenn das Bundesamt die Anerkennung "von sich aus" ausspricht (BVerwG, Urteil vom 08.05.2003, a.a.O.). Dies muss aber auch dann gelten, wenn dem Anerkennungsbescheid eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung vorausgegangen ist (so auch VGH München, Beschluss vom 16.11.2000 – 20 ZB 00.32237 –, BayVBl. 2001, 534; ohne Beschränkung auf eine "von sich aus" ausgesprochene Anerkennung auch BVerwG, Urteil vom 19.09.2000, a.a.O.). Eine Differenzierung verbietet sich schon deshalb, weil die Behörde es auch im Falle einer rechtskräftigen Verpflichtung in der Hand hat, die Vollstreckung abzuwenden und den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, wenn es zu einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage kommt.
Die Anerkennung als Flüchtling erfolgt nach deutschem Recht durch Verwaltungsakt (jetzt: Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG, vormals: Feststellungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG, § 51 Abs. 1 AuslG). Dabei besteht keine Notwendigkeit dafür, dass, wenn nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG alle späteren Tatsachenlagen von dem rechtskräftigen Verpflichtungsurteil nicht erfasst sind, dies "demzufolge" auch für den in Erfüllung eines solchen Urteils ergehenden Bescheid gilt. Der Rechtsschutz auf Erlass eines begünstigenden Verwaltungsaktes ist nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO grundsätzlich kondemnatorisch ausgestaltet, so dass zwischen dem vom Gericht erlassenen Verpflichtungsurteil und dem von der Behörde zur Erfüllung des Verpflichtungsurteils erlassenen Verwaltungsakt unterschieden werden muss. Nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG sind vollziehende Gewalt und rechtsprechende Gewalt eigenständige Staatsfunktionen. Die Verwaltung übt mithin bei Erlass eines Verwaltungsaktes, auch eines solchen, zu dem sie gerichtlich verpflichtet ist, eigenverantwortlich Staatsgewalt aus. Die Beklagte hat mit Erlass des Bescheides vom 28.12.2001 als Verwaltungsakt gemäß § 35 VwVfG einen exekutiven Rechtsakt gesetzt. Regelungsgehalt dieses Rechtsaktes ist es, die Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG zu treffen. Die behördliche Feststellung ist gegenüber dem Urteil des VG Bayreuth vom 31.05.2001 als judikativem Rechtsakt gemäß § 107 VwGO nicht akzessorisch, sondern in Entstehen und Fortbestand unabhängig.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Entscheidung der Behörde ist derjenige des Erlasses des Verwaltungsaktes. Die Behörde hat auf Grundlage der bei Erlass vorfindlichen Sach- und Rechtslage eine Regelung für die Zukunft zu treffen und hat dabei die Sach- und Rechtslage eigenverantwortlich zu prüfen. Die gebotene Prüfung ist durch ein vorausgegangenes Verpflichtungsurteil nur in den zeitlichen Grenzen der Rechtskraft präjudiziert. Hat sich die Sach- oder Rechtslage seit dem für die Entscheidung des Gerichts maßgeblichen Zeitpunkt wesentlich geändert, dass die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft überschritten sind, so geht von dem Urteil keine materielle Bindungswirkung mehr aus. Eine Änderung der Sach- oder Rechtslage kann die Behörde vor Erfüllung im Wege der Vollstreckungsabwehrklage nach § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 767 ZPO geltend machen, um auf diese Weise die formell zunächst fortbestehende Vollstreckbarkeit des Titels zu beseitigen (insoweit auch BVerwG, Urteil vom 08.05.2003, a.a.O.). Geht die Behörde diesen Weg nicht, so schafft sie einen Verwaltungsakt, zu dessen Erlass sie materiell von Anfang an nicht verpflichtet war. Da die materielle Bindungswirkung des Urteils bereits bei Erlass des Verwaltungsaktes nicht mehr bestand, ist auch insoweit keine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage inmitten, auf die ein Widerruf gestützt werden könnte. Denn eine bloße Änderung der Erkenntnislage oder deren abweichende Würdigung genügen für einen Widerruf nicht (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 19.09.2000, a.a.O.).
Es kann auch nicht darauf ankommen, ob das Bundesamt im Einzelfall den Feststellungsbescheid erlässt, ohne zu prüfen, ob die materiellen Voraussetzungen noch vorliegen (so aber OVG Lüneburg, Beschluss vom 21.02.2002 – 8 LB 13.02 –, AuAS 2002, 90). Die von der Behörde von Rechts wegen zugrunde zu legenden Entscheidungsmaßstäbe bestehen unabhängig davon, ob die Behörde die Entscheidungsmaßstäbe tatsächlich zugrunde legt. Es liegt in der alleinigen Verantwortung der Behörde, den materiellen Fortbestand des formell titulierten Anspruchs zwischen dem für das Gericht maßgeblichen Zeitpunkt und dem für die Behörde maßgeblichen Zeitpunkt zu überprüfen. Insoweit kann sich die Behörde nicht auf die gerichtliche Entscheidung zurückziehen, da das Gericht gehindert ist, die dem gerichtlich maßgeblichen Zeitpunkt nachfolgende tatsächliche und rechtliche Entwicklung zu berücksichtigen. Im öffentlichen Interesse obliegt der Behörde die Prüfung, ob der Verwaltungsakt, zu dessen Erlass sie formal verpflichtet ist, aus materiell-rechtlicher Sicht noch ergehen darf. Um den Erlass eines materiell nicht gerechtfertigten Verwaltungsaktes zu vermeiden, bleibt der Behörde in dem Fall nur der Weg der Vollstreckungsabwehrklage.
Auch handelt es sich, wenn die Behörde zur Begründung eines Anerkennungsbescheides sich ausschließlich darauf stützt, ein rechtskräftiges Urteil zu erfüllen, nicht um einen der Bestandskraft fähigen Erklärungsinhalt sondern um ein bloßes Begründungselement. Würde der Regelungsgehalt des Anerkennungsbescheids dadurch beeinträchtigt, dass die Behörde sich weiterer Ausführungen zur Sach- und Rechtslage enthält, träte keine vollständige Erfüllung des durch Verpflichtungsurteil titulierten Anspruchs auf Erlass eines Verwaltungsaktes mit dem begehrten begünstigenden Regelungsgehalt ein und der Ausländer könnte nach wie vor aus dem Verpflichtungsurteil als Vollstreckungstitel vorgehen. Dies ist aber ersichtlich nicht der Fall (s. o. a aa). Auch der im Hinblick auf ein Verpflichtungsurteil erlassene Verwaltungsakt enthält eine vollgültige Vergünstigung.
cc) Nach diesen Maßstäben ist vorliegend für eine wesentliche Änderung der Verhältnisse nichts ersichtlich. Dabei ist aufgrund des Urteils des VG Bayreuth vom 31.05.2001 von einer Vorverfolgung des Klägers auszugehen. Dem Urteil kommt materielle Bindungswirkung zwar nicht in Anbetracht der Zeit nach dem Sturz des Talibanregimes, aber doch für die vorausliegende Zeit zu (s.o. a bb). Eine Befriedung des Landes unter einer Zentralgewalt steht seit Erlass des Anerkennungsbescheids vom 28.12.2005 weiterhin aus. Die Sicherheitslage hat sich in letzter Zeit verschlechtert, wovon fast alle Landesteile betroffen sind (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 07.03.2008, S. 10). Den Taliban kommt heute kein wesentlich geringeres Bedrohungspotenzial zu als Ende 2001, als ihre Vorherrschaft bereits gebrochen war. Eher ist von einem Wiedererstarken dieser Kräfte auszugehen (vgl. Lagebericht, a.a.O., S. 10).