VG Chemnitz

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Zitieren als:
VG Chemnitz, Urteil vom 28.01.2008 - A 5 K 509/07 - asyl.net: M13372
https://www.asyl.net/rsdb/M13372
Leitsatz:

Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG für Angehörige der Roma wegen psychischer Erkrankung; kein Zugang zur staatlichen Gesundheitsfürsorge.

 

Schlagwörter: Serbien, Roma, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, menschenrechtswidrige Behandlung, Krankheit, psychische Erkrankung, Diskriminierung, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Existenzminimum, Registrierung, Sozialhilfe, Woiwodina
Normen: AufenthG § 60 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG für Angehörige der Roma wegen psychischer Erkrankung; kein Zugang zur staatlichen Gesundheitsfürsorge.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG vorliegt.

Soweit der Klägerin wegen ihrer psychischen Erkrankung bei einer Rückkehr in ihr Heimatland konkrete Gefahren für Leib und Leben drohen, unterfallen derartige Gefahren nicht der Regelung des § 60 Abs. 2 AufenthG, sondern werden allenfalls vom Geltungsbereich der Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst.

Der Klägerin droht auch wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma bei einer Rückkehr in ihr Heimatland keine unmenschliche Behandlung i.S.v. § 60 Abs. 2 AufenthG. Die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung ist nur dann gegeben, wenn der dem Opfer drohende Übergriff einen besonderen Schweregrad oder ein Element der Menschenwürdeverletzung aufweist. Eine derartige unmenschliche Behandlung muss von ihren Auswirkungen her mit den Auswirkungen einer Foltermaßnahme zumindestens vergleichbar sein. Derartige Maßnahmen bzw. Übergriffe drohen der Klägerin jedoch wegen ihrer Volkszugehörigkeit bei einer Rückkehr nach Serbien nicht. Nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Lageberichten des Auswärtigen Amtes vom 23.04.2007 und vom 28.02.2006 sind Angehörige der Volksgruppe der Roma in Serbien nicht systematischen staatlichen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt. Auch in dem zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaft "Serbia 2007 Progress Report" vom 06.11.2007 wird ausgeführt, dass zwar in Serbien Angehörige von Minderheiten, wie zum Beispiel der Volksgruppe der Roma, weiterhin Diskriminierungen ausgesetzt seien, dass es aber in Serbien nur wenige ernsthafte ethnisch motivierte Zwischenfälle, wie zum Beispiel Aufwiegelung und anstößige Ausdrucksweise in einigen Teilen der Medien, gegenüber ethnischen Minderheiten gebe. Von gewaltsamen Übergriffen auf Angehörige der Volksgruppe der Roma wurde in dieser Stellungnahme nicht berichtet.

Ebenso droht der Klägerin bei einer Rückkehr nach Serbien auch keine erniedrigende Behandlung i.S.v. § 60 Abs. 2 AufenthG. Eine erniedrigende Behandlung i.S.v. § 60 Abs. 2 AufenthG ist nur dann gegeben, wenn bei dem Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht werden, die geeignet sind, zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise den psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen. Auch hierbei muss es sich von der Schwere der Beeinträchtigung her um krasse Fälle handeln. Wie vorstehend ausgeführt wurde, hat die Klägerin jedoch nicht mit derartig schwerwiegenden Beeinträchtigungen bei einer Rückkehr in ihr Heimatland zu rechnen.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.

Im vorliegenden Fall besteht bei einer Abschiebung der Klägerin nach Serbien für diese erhebliche Existenzgefährdung und damit eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben.

Wie sich aus dem Beschluss des Amtsgerichts Freiberg vom 12.09.2006 ergibt, war es wegen einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung der Klägerin notwendig, diese für einen Zeitraum von sechs Wochen in einer geschlossenen Anstalt unterzubringen.

Dabei verkennt das Gericht nicht, dass, wie zutreffend in dem Schriftsatz des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 09.10.2007 ausgeführt wurde, die psychische Erkrankung der Klägerin in Serbien grundsätzlich behandelbar ist. Das Gericht geht auch davon aus, dass Angehörige der Volksgruppe der Roma, wenn sie denn einmal in das staatliche Gesundheitssystem integriert sind, bei einer medizinischen Behandlung keine Diskriminierungen erleiden. Für die psychisch schwer erkrankte Klägerin, die in ihrem Heimatland keine Verwandten hat, die sie unterstützen könnten, dürfte es jedoch nahezu unmöglich sein, überhaupt Zugang zur staatlichen Gesundheitsfürsorge und zu anderen notwendigen Sozialleistungen, wie zum Beispiel Sozialhilfe, zu erhalten. Nach dem zum Gegenstand gemachten Bericht der Europäischen Gemeinschaft "Serbia 2007 Progress Report" vom 06.11.2007 leben Roma in Serbien weiterhin unter sehr schwierigen Bedingungen und werden weiterhin diskriminiert. Angehörige der Volksgruppe der Roma würden auf beträchtliche Schwierigkeiten beim Erhalt personalbezogener Dokumente stoßen, was ihren Zugang zum Sozialversicherungssystem, zum Bildungs- und Beschäftigungssystem und zu anderen Leistungen behindere. Damit übereinstimmend wird in den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Lageberichten des Auswärtigen Amtes vom 23.04.2007 und vom 11.05.2006 ausgeführt, dass für Angehörige der Volksgruppe der Roma die Registrierung am ständigen Wohnsitz in der Praxis ein ernsthaftes Hindernis bei der Ausübung grundlegender Rechte wie des Zugangs zu Sozialleistungen, Gesundheitsfürsorge, Bildungseinrichtungen und Wohnraum darstellt. Eine Registrierung setzt voraus, dass der Antragsteller eine Reihe von Identitätsunterlagen (z.B. Geburtsurkunden) vorlegen könnte. Dies stelle im Falle der im Inneren von Serbien geborenen und dort weiter ansässigen Roma üblicherweise kein Problem dar. Im Gegensatz dazu spreche der UNHCR von 13 bis 16 verschiedenen Dokumenten, die von Roma aus Regionen außerhalb Innerserbiens als Voraussetzung für eine Registrierung vorzulegen seien. Viele der aus Serbien geflüchteten Roma würden nicht über die notwendigen Dokumente verfügen und hätten deshalb bisher auch nicht registriert werden können. Im Einklang damit wird in der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Stellungnahme des UNHCR vom 11.05.2006 ausgeführt, dass die Inanspruchnahme grundlegender Rechte auf Fürsorge in Serbien - beispielsweise der Zugang zum Versicherungs- und Gesundheitssystem - eine Anmeldung mit ständigem Wohnsitz oder eine Registrierung als Binnenvertriebener voraussetzt. Für die Anmeldung mit ständigem Wohnsitz hätten Personen unabhängig von der Volkszugehörigkeit eine Adresse und die erforderlichen persönlichen Dokumente nachzuweisen. Das Fehlen einer Adresse bzw. der entsprechenden Dokumente könne grundsätzlich zu Schwierigkeiten führen. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass ein Angehöriger der Volksgruppe der Roma beim Abschluss einer Krankenversicherung bzw. der Bewältigung des dazu erforderlichen verwaltungsrechtlichen Aufwands (wie z.B. der Anmeldung am Wohnort oder der Registrierung als arbeitslos bei der zuständigen Behörde) erheblichen Schwierigkeiten begegnen. Alle diese Auskünfte und Stellungnahmen lassen einzig und allein den Schluss zu, dass eine Angehörige der Volksgruppe der Roma, die wie die Klägerin an einer schweren und dauerhaften psychischen Krankheit leidet, kaum in der Lage sein wird, sich in Serbien am ständigen Wohnort registrieren zu lassen und damit die Voraussetzungen für den Zugang zum Gesundheits- und Sozialsystem zu schaffen. Wie sich aus den beiden zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Lageberichten des Auswärtigen Amtes ergibt, sind gerade in der Provinz Woiwodina, aus welcher die Klägerin stammt, höhere Anforderungen bei einer Registrierung zu bewältigen, als dies bei einer Registrierung in Innerserbien der Fall ist. Selbst wenn es für die Klägerin möglich wäre, Zugang zum Sozialsystem und Gesundheitssystem zu erhalten, würde die Klägerin jedenfalls aufgrund ihrer schweren psychischen Krankheit nicht in der Lage sein, die niedrigen Sozialhilfeleistungen so zu verwenden, dass der Lebensunterhalt für sie und ihre Kinder gesichert wäre. Nach dem zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Gutachten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe - Länderanalyse - vom 29.08.2005, welches von der Klagepartei vorgelegt wurde, seien die monatlichen Sozialbeträge niedrig. Diese würden unregelmäßig ausgezahlt werden. Die Sozialhilfe sei in keiner Weise geeignet, zusätzlich zum Lebensunterhalt auch weitere mit einer Behinderung im Zusammenhang stehende Aufwendungen zu finanzieren.

Sollte sich die Krankheit der Klägerin derart verschlimmern, dass sie dauerhaft auf eine Unterbringung in einer Anstalt angewiesen wäre, so könne in Serbien eine derartige Behandlung nicht erfolgen, da nach der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Belgrad vom 05.04.2007 in Serbien für eine psychisch erkrankte Person eine adäquate Dauerunterkunft in einem Heim nicht gewährleistet werden kann.