VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.04.2008 - 11 S 683/08 - asyl.net: M13370
https://www.asyl.net/rsdb/M13370
Leitsatz:

1. Ein ausdrücklich allein auf eine Anordnung der obersten Landesbehörde i. S. des § 23 AufenthG gestützter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erstreckt sich nach Inkrafttreten des § 104 a AufenthG zwar auch auf diese Anspruchsgrundlage, nicht jedoch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen nach anderen Anspruchsgrundlagen des fünften Abschnitts des Aufenthaltsgesetzes, soweit der der Behörde unterbreitete Lebenssachverhalt dies nicht nahelegt.

2. Wird im Wege der Klageerweiterung ein neuer Streitgegenstand (hier: Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG) in das Verfahren eingeführt, ist die Zulässigkeit der Klage insoweit an § 75 VwGO zu messen.

 

Schlagwörter: D (A), Verfahrensrecht, Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, Streitgegenstand, Antrag, Aufenthaltserlaubnis, Bleiberechtsregelung 2006, Altfallregelung, Ausreisehindernis
Normen: VwGO § 166; ZPO § 114; AufenthG § 23; AufenthG § 104a Abs. 1; AufenthG § 25 Abs. 5; VwGO § 75
Auszüge:

1. Ein ausdrücklich allein auf eine Anordnung der obersten Landesbehörde i. S. des § 23 AufenthG gestützter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erstreckt sich nach Inkrafttreten des § 104 a AufenthG zwar auch auf diese Anspruchsgrundlage, nicht jedoch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen nach anderen Anspruchsgrundlagen des fünften Abschnitts des Aufenthaltsgesetzes, soweit der der Behörde unterbreitete Lebenssachverhalt dies nicht nahelegt.

2. Wird im Wege der Klageerweiterung ein neuer Streitgegenstand (hier: Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG) in das Verfahren eingeführt, ist die Zulässigkeit der Klage insoweit an § 75 VwGO zu messen.

(Amtliche Leitsätze)

 

Die Beschwerden sind jedoch nicht begründet.

Zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen hat das Verwaltungsgericht die Erfolgsaussichten der Klagen verneint.

Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens besteht kein Anlass für eine abweichende Beurteilung der Erfolgsaussichten, soweit hilfsweise die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 VwGO begehrt wird. Insoweit ist die Klage, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, mangels vorheriger Antragstellung bei der Behörde unzulässig. Die anwaltlich vertretenen Kläger haben am 21.12.2006 ausdrücklich die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach der Anordnung des Innenministeriums vom 20.11.2006 beantragt. Nur dieser Antrag wurde vom Beklagten beschieden. Im Widerspruchsverfahren haben die Kläger an diesem Streitgegenstand festgehalten.

Der Heranziehung des nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) in das Aufenthaltsgesetz eingefügten § 104 a als neue Anspruchsgrundlage im gerichtlichen Verfahren stehen deshalb keine prozessualen Hindernisse entgegen, weil § 104 a AufenthG in vielen Punkten an die früheren Erlassregelungen angelehnt ist und den gleichen Zweck verfolgt (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 26.11.2007 – 13 S 2438/07 – InfAuslR 2008, 85 = VBlBW 2008, 152; vgl. entsprechend zum Verhältnis der Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG 1990 zur Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 AufenthG BVerwG, Urt. v. 27.06.2006 – 1 C 14.05 – BVerwGE 126, 192 = NVwZ 2006, 1418).

Der Auffassung der Kläger, bei Beantragung einer bestimmten Aufenthaltserlaubnis nach dem Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes seien grundsätzlich alle in diesem Abschnitt enthaltenen Anspruchsgrundlagen zu prüfen, weil es sich um einen einheitlichen Streitgegenstand handele, vermag der Senat nicht zu folgen. Der Streitgegenstand einer Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wird bestimmt und begrenzt durch die Aufenthaltszwecke, aus denen der Kläger seinen Anspruch herleitet (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 43.06 - InfAuslR 2008, 71 = NVwZ 2008, 333). Die Kläger bestimmen also mit ihren Anträgen und dem der Behörde bzw. dem Gericht unterbreiteten Lebenssachverhalt den Streitgegenstand. Nur dann, wenn – ohne weitere Einschränkung – eine Aufenthaltserlaubnis aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen beantragt wird, ist der Anspruch nach jeder bei

Würdigung des vorgetragenen Lebenssachverhalts in Betracht kommenden Vorschrift des Abschnitts 5 des Aufenthaltsgesetzes zu beurteilen (vgl. zu einer solchen weiten, offenen Antragstellung BVerwG, Urt. v. 04.09.2007, a.a.O.). Wird demgegenüber der geltend gemachte Anspruch auf eine bestimmte Rechtsgrundlage gestützt und legt auch der unterbreitete Lebenssachverhalt nicht nahe, dass weitere Rechtsgrundlagen in Betracht kommen, so ist der Streitgegenstand entsprechend begrenzt. Ein neuer Streitgegenstand kann im Übrigen sogar dann vorliegen, wenn der im gerichtlichen Verfahren erstmals geltend gemachte Aufenthaltszweck nach der gleichen Rechtsvorschrift zu beurteilen ist wie der Aufenthaltszweck, der Gegenstand des Verwaltungsverfahrens war (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.02.2008 – 13 S 2774/07 – AuAS 2008, 75: Änderung des Aufenthaltszwecks im Rahmen des § 16 AufenthG bei anderer Ausbildung). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG unterscheiden sich grundlegend von denen des § 104 a AufenthG bzw. der Anordnung des Innenministeriums vom 20.11.2006. Auch der zur Begründung vorgetragene Lebenssachverhalt ist neu. Hinsichtlich dieses Streitgegenstands ist die Zulässigkeit der Klage an § 75 VwGO zu messen. Danach ist die Klage unzulässig, da es an der vorherigen Antragstellung bei der Behörde fehlt und es sich bei diesem Erfordernis um eine im Verwaltungsprozess nicht nachholbare Sachurteilsvoraussetzung handelt (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.08.1995 – 5 C 11.94 – BVerwGE 99, 158; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.04.1999 – 6 S 420/97 – ESVGH 49, 209 = VBlBW 2000, 106 und Beschl. v. 19.02.2008 – 13 S 2774/07 – a.a.O.; Dolde/Porsch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 75 Rn. 5 m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 75 Rn. 7; Funke-Kaiser in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 75 Rn. 4; Brenner in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 75 Rn. 25 ff.).