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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 06.03.2008 - 1 C 16.06 - asyl.net: M13363
https://www.asyl.net/rsdb/M13363
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Recht auf Wiederkehr, Rente, Witwenrente, Aufenthaltsdauer, Besuchsvisum, Ausreisefrist, Unterbrechung
Normen: AufenthG § 37 Abs. 5
Auszüge:

Die Revision, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit revisiblem Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) entschieden, dass die Klägerin die Voraussetzungen des Rechts auf Wiederkehr nicht erfüllt. Grundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Erteilung eines Visums ist § 37 Abs. 5 AufenthG (i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008, BGBl I S. 162).

1. Der Gesetzgeber hat den Regelanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 37 Abs. 5 AufenthG daran geknüpft, dass der Ausländer von einem Träger im Bundesgebiet Rente bezieht. Bereits früher war hinsichtlich des wörtlich übereinstimmenden § 16 Abs. 5 AuslG 1990 umstritten, ob dieses Tatbestandsmerkmal nur originär erworbene Rentenansprüche erfasst (so VGH Kassel, Beschluss vom 25. Februar 1993 - 12 TH 2517/92 - EzAR 26 Nr. 1; Engels, in: GK-AuslR, II-§ 16 AuslG, Stand August 1996, Rn. 130 ff.; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 37 AufenthG Rn. 27) oder auch der Bezug einer Witwenrente ausreicht (so OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Juni 2007 - 11 B 1.06 - InfAuslR 2007, 343; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Februar 2008, A 1 § 37 AufenthG Rn. 44; Marx, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2005, § 4 Rn. 181; Nr. 37.5.2 der Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Inneren zum Aufenthaltsgesetz und Freizügigkeitsgesetz/EU vom 22. Dezember 2004). Der Senat entscheidet diese Frage zugunsten der letztgenannten Auffassung.

Dafür spricht zunächst der uneingeschränkte Wortlaut der Vorschrift, der nicht zwischen den in § 33 SGB VI genannten Rentenarten unterscheidet und damit keinen Anhaltspunkt für eine restriktive Interpretation bietet.

Die historische Auslegung steht dieser Annahme nicht entgegen. Da die bisherige Regelung vom Gesetzgeber ohne weitere Begründung in das Aufenthaltsgesetz übernommen worden ist (vgl. BRDrucks 22/03 S. 192), kann auf die Materialien zu § 16 Abs. 5 AuslG 1990 zurückgegriffen werden. Nach der amtlichen Begründung zu dieser Vorschrift sollen Ausländer begünstigt werden, die im Bundesgebiet Rentenansprüche erworben haben; "sie sollen sich frei entscheiden können, wo sie die Zeit ihres Ruhestands verbringen wollen, und eine einmal getroffene Entscheidung auch wieder revidieren können" (BTDrucks 11/6321 S. 59 f.). Auch wenn die Formulierung Ruhestand als Gegenbegriff zum Erwerbsleben in der Biographie eines Menschen eher auf den Bezug einer eigenen Rente wegen Alters hindeutet, erachtet der Senat den Typus des sich eine eigene Altersrente erarbeitenden Erwerbstätigen nur als interpretatorisches Leitbild ohne abschließende Wirkung. Zu Recht hat das Berufungsgericht den historischen Befund deshalb nicht als hinreichend angesehen, um abgeleitete Renten von vornherein aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift auszunehmen.

Schließlich bedarf das Tatbestandsmerkmal "Rente" auch keiner teleologischen Reduktion, sondern die Einbeziehung der Witwenrente entspricht Sinn und Zweck der Vorschrift. Auch wenn das Ausländern, die von einem deutschen Träger Rente beziehen, eingeräumte Recht auf Wiederkehr im Zusammenhang mit deren Beitrag in Deutschland zum Bruttosozialprodukt sowie zur Sicherung des Generationenvertrags in der gesetzlichen Rentenversicherung zu sehen ist (so VGH Kassel, Beschluss vom 25. Februar 1993 a.a.O.), deckt dieses Regelungsmotiv auch die aufenthaltsrechtliche Privilegierung der Bezieher von Witwenrenten. Denn typischerweise beruht der fehlende Erwerb eigener originärer Rentenansprüche darauf, dass ein Ehepartner wegen der Führung des Haushalts oder der Kindererziehung nicht selbst erwerbstätig war. Die normative Anerkennung dieser Leistungen für die Familie wird anlässlich einer Scheidung in der Durchführung des Versorgungsausgleichs (§§ 1587 ff. BGB) besonders deutlich. Der in diesem Fall vorzunehmende Transfer von Rentenanwartschaften lässt die Altersrente des zuvor erwerbstätigen Ehepartners durch den nichterwerbstätigen Ehepartner als gleichsam miterwirtschaftet erscheinen. Werden im Fall der Scheidung mithin originäre Rentenansprüche für den nicht erwerbstätigen Ehepartner begründet mit der Folge, dass ihm bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen ein Recht auf Wiederkehr zustehen kann, ist nicht ersichtlich, weshalb er nach dem Tod seines erwerbstätig gewesenen Ehepartners bei Bezug von Witwenrente aus dem Anwendungsbereich des § 37 Abs. 5 AufenthG auszunehmen sein sollte.

2. Die Voraussetzungen des geltend gemachten Rechts auf Wiederkehr gemäß § 37 Abs. 5 AufenthG liegen nicht vor, weil die Klägerin nicht über einen im Sinne der Vorschrift rechtmäßigen Voraufenthalt im Bundesgebiet von mindestens acht Jahren verfügt.

Übereinstimmend wird vertreten, dass der rechtmäßige Voraufenthalt von mindestens acht Jahren nicht ununterbrochen angedauert haben muss (Fraenkel, Einführende Hinweise zum neuen Ausländergesetz, 1991, S. 72; Renner a.a.O., § 37 AufenthG Rn. 24; Engels a.a.O. § 16 AuslG 1990 Rn. 139; Hailbronner a.a.O. § 37 Rn. 45; Marx a.a.O. § 4 Rn. 181; Nr. 37.5.1 Satz 3 der Anwendungshinweise des BMI). Aus der Summierbarkeit von Aufenthaltszeiten folgt indes nicht zwingend, dass alle Zeiten rechtmäßigen Aufenthalts unabhängig von der Art des jeweiligen Aufenthaltstitels bzw. des Aufenthaltszwecks miteinander addiert werden können. Der Normzweck des Rechts auf Wiederkehr gebietet vielmehr eine teleologische Reduktion der aufenthaltsbezogenen Tatbestandsvoraussetzung des § 37 Abs. 5 AufenthG: Ein Recht auf Wiederkehr setzt danach voraus, dass der Ausländer nach einem rechtmäßigen Aufenthalt von acht Jahren die Voraussetzungen für ein Daueraufenthaltsrecht erfüllte, diesen Status jedoch aufgrund freier Entscheidung mit seiner Ausreise aufgegeben hat.

Diese Einschränkung ergibt sich aus dem bereits erwähnten systematischen Zusammenhang des § 37 AufenthG mit den Erlöschenstatbeständen für Aufenthaltstitel in § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG. Das Recht auf Wiederkehr soll das Erlöschen eines Aufenthaltstitels infolge einer Ausreise kompensieren, die auf freier Disposition des Ausländers beruhte. Es knüpft an den zuvor erreichten aufenthaltsrechtlichen Status an, der entweder bereits verfestigt war oder dessen Verfestigung allein in dem Belieben des Betroffenen stand. Es dient aber nicht dazu, dem Ausländer ein Daueraufenthaltsrecht durch unbeschränkte Akkumulation von Zeiten rechtmäßigen Aufenthalts erstmalig zu verschaffen; eine derartige Überkompensation wäre mit dem Normzweck des Rechts auf Wiederkehr unvereinbar. Die von § 37 Abs. 5 AufenthG vorausgesetzte Wahlfreiheit des Ausländers zwischen der Fortsetzung seines Aufenthalts im Bundesgebiet und seiner Ausreise ist dem aufenthaltsbezogenen Tatbestandsmerkmal immanent und schränkt dieses ein; die Korrektur erfolgt somit bereits auf der Tatbestands- und nicht erst auf der Rechtsfolgenebene bei der Differenzierung zwischen Regelfall und Ausnahme (insoweit a.A. Hailbronner a.a.O. Rn. 45; Marx a.a.O. Rn. 181; Nr. 37.5.3 Satz 1 der Anwendungshinweise des BMI).

Diese Auffassung wird durch die Entstehungsgeschichte des § 16 Abs. 5 AuslG 1990 gestützt. Der Regierungsentwurf knüpfte zunächst an den Besitz einer durch die Ausreise erloschenen Aufenthaltsberechtigung an (BTDrucks 11/6321 S. 9). Im Gesetzgebungsverfahren sollte der Adressatenkreis auf frühere Inhaber einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis erweitert werden; denn dieser in der Regel gleichermaßen integrierte und verfestigte Personenkreis sollte nicht benachteiligt werden, obwohl er möglicherweise nur aus Kostengründen oder Unwissenheit auf die Beantragung einer Aufenthaltsberechtigung verzichtet hatte (Empfehlung des Innenausschusses des Bundesrates BRDrucks 11/1/90 S. 8). Dieser Gedanke findet sich in der endgültigen Fassung der Vorschrift wieder, in der statt auf den vor der Ausreise besessenen Aufenthaltstitel auf die Dauer des früheren Aufenthalts von mindestens acht Jahren (vgl. BTDrucks 11/6960 S. 22) und damit die für eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 27 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AuslG 1990 notwendige Aufenthaltsdauer abgestellt wurde. Mit der Abkehr vom Erfordernis eines bestimmten Aufenthaltstitels war demzufolge keine grundlegende konzeptionelle Änderung des Rechts auf Wiederkehr verbunden, sondern wurde der Sache nach lediglich dem Anliegen des Innenausschusses des Bundesrates Rechnung getragen (Sieveking, in: Barwig u.a., Das neue Ausländerrecht, 1991, S. 149 <153>). Dieser Befund rechtfertigt die teleologische Reduktion der Vorschrift bereits auf der Ebene der Tatbestandsvoraussetzung des mindestens acht Jahre rechtmäßigen Voraufenthalts im Bundesgebiet.

Der zweite Aufenthalt der Klägerin im Bundesgebiet aufgrund des ihr erteilten Besuchsvisums und der ihr anschließend aus humanitären Gründen erteilten Aufenthaltsbefugnis war weder nach Ablauf der ihr noch fehlenden zwei Monate noch im Zeitpunkt ihrer Ausreise im Hinblick auf das Recht auf Wiederkehr gemäß § 37 Abs. 5 AufenthG verfestigt oder auch nur verfestigungsfähig. Die Fortsetzung ihres Aufenthalts in Deutschland lag nicht in der freien Entscheidung der Klägerin, sondern war abhängig von der Entwicklung der Bürgerkriegssituation in ihrem Herkunftsland. Als sie nach Ablauf der Aufenthaltsbefugnis im August 1998 das Bundesgebiet verließ, entsprach das nicht ihrer Disposition, sondern sie hat ihre Ausreisepflicht erfüllt. Deshalb kann der Aufenthaltszeitraum zwischen 1994 und 1998 für das begehrte Visum auf der Grundlage des § 37 Abs. 5 AufenthG nicht berücksichtigt werden.