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Zitieren als:
, Beschluss vom 07.02.2008 - S 14 AY 4811/07 ER - asyl.net: M13358
https://www.asyl.net/rsdb/M13358
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Aufenthaltsdauer, 36-Monats-Frist, 48-Monats-Frist, Rückwirkung, Altfälle, Sozialhilfebezug, Grundsicherung für Erwerbsunfähige, Sozialhilfe, Unterbrechung, Aufenthalt
Normen: SGG § 86b Abs. 2, AsylbLG § 2 Abs. 1
Auszüge:

Gemäß § 86 b Abs. 2 kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.

Ob die Voraussetzungen für verminderte Leistungen nach §§ 3 ff. AsylbLG vorliegend gegeben sind, erscheint - bei der hier gebotenen summarischen Prüfung - eher zweifelhaft. Es spricht vielmehr Vieles dafür, dass die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren obsiegen wird.

Ein entsprechender Anspruch der Antragstellerin ergibt sich aus § 2 AsylbLG (in der Fassung des Art. 8 Nr. 3 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 - BGBl. I S. 1950).

Vorliegend scheitert aber der Anspruch nicht daran, dass die Antragstellerin in dem hier maßgeblichen Zeitraum noch keine 48 Monate Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen hatte.

Streitig ist insoweit allein, ob die 48-Monatsfrist vorliegend Anwendung findet.

Die ab 28. August 2007 geltende Neufassung der Vorschrift (Art. 6 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzt vom 19. August 2007 - BGBl. I S. 1970), welche einen Vorbezug von Leistungen über 48 Monate fordert, findet mangels Übergangsvorschrift Anwendung ab ihrem Inkrafttreten. Sie gilt jedoch nicht rückwirkend für abgeschlossene Sachverhalte, wie sie hier zur Entscheidung stehen, vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urt. vom 22.11.2007, L 7 AY 5480/06.

Die Antragstellerin hatte bei Inkrafttreten des Art. 6 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes vom 19.08.2007 die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG in der bis zum 28.08.2007 gültigen Fassung erfüllt. Der Sachverhalt, ob ihr Leistungen mach § 2 AsylbLG zustehen, war folglich abgeschlossen.

Der Gesetzgeber des AsylbLG vom 30.06 1993 hat den Wechsel von Leistungen nach §§ 3-7 AsylbLG auf Leistungen entsprechend dem BSHG (ab 01.01.2005: SGB XII), d.h. auf Leistungen des soziokulturellen Existenzminimums damit begründet, "dass bei einem längeren Zeitraum des Aufenthalts und - mangels Entscheidung - noch nicht absehbarer weiterer Dauer nicht mehr auf einen geringeren Bedarf abgestellt werden kann, der bei einem in der Regel nur kurzen, vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland entsteht. Insbesondere sind nunmehr Bedürfnisse anzuerkennen, die auf eine stärkere Angleichung an die hiesigen Lebensverhältnisse und auf bessere soziale Integration gerichtet sind" (BT-Drucksache 12/5008, S. 15). Hätte der Gesetzgeber den nicht bestehenden oder minderen Angleichs- und Integrationsbedarf ursprünglich nur für 12 Monate gesehen, so hat er diesen Zeitraum später durch das 1. AsylbLG-Änderungsgesetz vom 26.05.1997 (BGBl. I S. 1130) auf 36 Monaten ausgedehnt, allerdings mit der Begrenzung auf Personen, die Leistungen erst seit dem 01.06.1997 erhielten. Auch hierbei war es erklärte Absicht des Gesetzgebers, in den Fällen, in denen der Aufenthalt länger dauert als im Normalfall, den betroffenen Ausländern spätestens nach 3-jähriger Duldung oder Aufenthaltsgestattung "auch eine Integration in die deutsche Gesellschaft durch öffentliche Mittel zu ermöglichen, so dass die höheren Leistungen entsprechend dem Bundessozialhilfegesetz zu gewähren sind" (BT-Drucksache 13/2746 S. 15). Die 36-Monats-Frist (jetzt 48-Monats-Frist) des § 2 Abs. 1 AsylbLG, nach deren Ablauf die höheren Leistungen entsprechend dem SGB XII vorgesehen sind, hat also nicht den Selbstzweck, den nach § 1 AsylbLG Leistungsberechtigten in jedem Fall ein Wirtschaften unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums auf der Basis der abgesenkten Leistungen nach §§ 3-7 AsylbLG zuzumuten; vielmehr legt sie fest, nach welchem Zeitraum der Gesetzgeber von einem "längeren Aufenthalt und einem damit verbundenen, legitimen Bedürfnis des Betroffenen auf Integrationsleistungen" ausgeht (BT-Drucksache 15/4645, S. 6).

In diesem Sinne genügt zur Erfüllung der 36-Monats-Frist (bzw. jetzt 48-Monats-Frist) des § 2 Abs. 1 AsylbLG auch der unmittelbare oder entsprechende Bezug von Leistungen nach dem BSHG bzw. dem SGB XII. Das Integrationsbedürfnis, zu dessen Befriedigung auch ausreichende wirtschaftliche Leistungen auf der Höhe des soziokulturellen Existenzminimums (BSHG- bzw. SGB-II-Niveau) gehören, besteht unabhängig davon, ob ein Asylbewerber seinen Lebensunterhalt über einen mindestens 36-monatigen Zeitraum durch Leistungen nach §§ 3-7 AsylbLG oder - erlaubt - anders bestritten hat (LSG NRW, Beschluss vom 26.04.2007 - L 20 B 4/07 AY ER). Wenn bereits der Bezug der (niedrigen) Leistungen nach § 3 AsylbLG nach Ablauf von 36 Kalendermonaten die von § 2 Abs. 1 AsylbLG bezweckte Besserstellung rechtfertigt, dann gilt dies erst recht, wenn der 3-Jahres-Zeitraum durch den Bezug von "höherwertigen" Sozialleistungen gedeckt ist. Der Anspruch auf diese Sozialleistungen verlangt die Erfüllung höherer Anspruchsvoraussetzungen als jene für § 3 AsylbLG. Daraus resultiert, dass bei einem Bezug dieser "höherwertigen" Sozialleistungen auch Ansprüche nach § 3 AsylbLG potenziell bestehen, welche nur deswegen nicht zum Tragen kommen, weil dieser Leistungen nachrangig sind (Hessisches LSG, Beschluss vom 21.03.2007 - L 7 AY 14/06 ER; vgl. in diesem Sinn auch: SG Düsseldorf, Beschluss vom 30.10.2006 - S 29 AY 6/06 ER; SG Aachen, Beschluss vom 03.06.2005 - S 19 AY 6/05 ER und Beschluss vom 12.10.2007, S 20 AY 12/07 ER).

Nach Auffassung der Kammer lag es nicht in der Absicht des Gesetzgebers, durch die Änderungen des AsylbLG grundsätzlich allen Personen, die - wie die Antragstellerin - bereits dem 28.08.2007 anstelle von Leistungen nach §§ 3 ff. AsylbLG gem. § 2 Abs. 1 AsylbLG Leistungen in entsprechender Anwendung des BSHG bezogen haben, diese Privilegierung ab dem 28.08.2007 wieder zu entziehen und ab diesem Zeitpunkt zunächst wieder nur noch Leistungen nach §§ 3 ff. AsylbLG zu gewähren. Es findet sich an keiner Stelle der Gesetzesbegründung und auch nicht im Gesetz selbst ein Hinweis darauf, dass alle Leistungsberechtigten, die sich bereits seit geraumer Zeit nicht rechtsmissbräuchlich im Bundesgebiet aufhalten und die bereits vor dem 28.08.2007 einen Anspruch in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung der Vorschriften des BSHG gehabt haben, durch die Änderungen des AsylbLG ihre bisherigen Ansprüche verlieren sollten, um sich dann von neuem einen entsprechenden Anspruch durch erneuten Bezug abgesenkter Leistungen nach dem AsylbLG zu erwerben.

Ähnliches ist für die Unterbrechung des Aufenthaltes anzunehmen. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ("insgesamt 36 Monate") ist eine Gesamtdauer des Leistungsbezugs maßgebend; hieraus ist nicht ohne weiteres zu ersehen, dass Unterbrechungen schädlich sind. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift ist jedoch eine Relativierung der Fristberechnung geboten, zumal der Wortlaut nicht so eindeutig ist, dass er einer entsprechenden Auslegung entgegensteht. Nachhaltige und tiefgreifende Unterbrechungen des Zeitraums fuhren nach der nachstehenden Rechtsprechung des OVG Niedersachsen (Beschluss vom 27. März 2001, a.a.O.) dazu, dass nach einer solchen Unterbrechung die Fristberechnung erneut zu beginnen hat. Denn insoweit kommt die Integrationskomponente, auf die auch die Begründung zum Entwurf der Vorschrift abhebt (BT-Drucks. 13/2746, S. 15), nicht mehr zum Tragen. Diese soll es nach Ablauf von 36 Monaten des Leistungsbezugs in niedriger Höhe dem Leistungsberechtigten ermöglichen, sich durch öffentliche Mittel in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Bei nachhaltiger Unterbrechung steht der Leistungsberechtigte jedoch ebenso da wie einer, der die Leistungen noch nicht 36 Monate bezogen hat. Soweit das OVG Niedersachsen und ihm folgend die Verwaltungsgerichte (VG) Ansbach (Beschluss vom 11. November 2003 - AN 13 E 03.01779 - <juris> und Hannover (Beschluss vom 15. Juni, 2004 - 7 B 2809/04 - SAR 2004, 118) entschieden haben, dass eine nachhaltige Unterbrechung einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten erfordert, sieht das Gericht darüber hinaus gehend jedenfalls dann, wenn während eines nur kurzfristigen Aufenthalts in einem Drittstaat ein Asylantrag gestellt wird, ebenfalls eine nachhaltige Unterbrechung als gegeben.