VG Arnsberg

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Zitieren als:
VG Arnsberg, Urteil vom 03.03.2008 - 14 K 909/07.A - asyl.net: M13333
https://www.asyl.net/rsdb/M13333
Leitsatz:

Durch die Einbürgerung des Stammberechtigten "erlischt" nicht seine Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung nach § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG, so dass seine Familienangehörigen Familienasyl oder -flüchtlingsanerkennung in Anspruch nehmen können.

 

Schlagwörter: Familienasyl, Familienflüchtlingsanerkennung, Einbürgerung, Stammberechtigter, Erlöschen, Asylanerkennung, Flüchtlingsanerkennung, Widerruf
Normen: AsylVfG § 26 Abs. 1; AsylVfG § 26 Abs. 2; AsylVfG § 72 Abs. 1 Nr. 3; AsylVfG § 73 Abs. 2b
Auszüge:

Durch die Einbürgerung des Stammberechtigten "erlischt" nicht seine Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung nach § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG, so dass seine Familienangehörigen Familienasyl oder -flüchtlingsanerkennung in Anspruch nehmen können.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger kann von der Beklagten beanspruchen, als Asylberechtigter anerkannt zu werden. Ebenfalls stellt ihm ein Anspruch auf die Feststellung zu, dass in seiner Person in Ansehung des Staates Türkei die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt sind.

Der. mit der Klage verfolgte Anspruch ist jedoch unabhängig von der individuellen Situation des Klägers in seinem Herkunftsland nach § 26 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 AsylVfGi begründet. Die Voraussetzungen des Familienasyls waren im Zeitpunkt der Antragstellung für den Kläger gegeben; bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind sie auch nicht weggefallen.

Hieran hat sich entgegen der Ansicht der Beklagten nichts dadurch geändert, dass der Vater des Klägers während des gerichtlichen Verfahrens eingebürgert worden ist. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Nach der namentlich von der Beklagten in die Diskussion gebrachten Vorschrift des § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG erlischt die Anerkennung, wenn der Asylberechtigte auf seinen Antrag eine neue Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er nunmehr besitzt, genießt. In diesem Zusammenhang, ist es umstritten, ob mit dem Tatbestandsmerkmal "Erwerb einer neuen Staatsangehörigkeit" die Staatsangehörigkeit eines dritten Staates gemeint ist oder ob - wie im vorliegenden Fall geschehen - auch die Einbürgerung, also der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit, dem § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG unterfällt (vgl. hierzu den von dem Prozessbevoilmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung gegebenen Hinweis auf Schäfer in: Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz, § 72 Rdnr. 30).

Das erkennende Gericht folgt der Auffassung, wonach § 72 Abs. 1 Nr. 3 nicht die deutsche Staatsangehörigkeit meint. Überzeugend erscheint ihm die insoweit vom Schleswigholsteinischen Verwaltungsgericht, Urteil vom 17. November 2006 - 4 A 277/04 -, zitiert nach "Juris", vertretene Ansicht, das zu dem in Rede stehenden Rechtsproblem Folgendes ausführt:

"Dabei ist streitig, ob auch der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit unter diese Regelung fällt. Für Marx ist kein Grund ersichtlich, der dagegen spräche, den nachträglichen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nicht unter diese Vorschrift zu subsumieren (aaO, § 72 AsylVfG Rd. 33); soweit ersichtlich, wird auch in der Rechtsprechung diesbezüglich keine Problematisierung vorgenommen (VG Neustadt, Urt. v. 29.06.2006 - 4 K 23337/05.NW; VG Göttingen, Urt. V. 23.03.2006 - 2 A 57/06 -; VG Braunschweig, Urt. v. 20.07.2005 - 6 A 101/04 -, in juris). Andere Stimmen in der Literatur weisen darauf hin, dass das Innehaben bzw. der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit die Asylanerkennung ohnehin gegenstandslos macht, da asylrechtlichen Schutz nur derjenige erhalten kann bzw. genießt, der nicht zugleich Deutscher iSd Art. 116 Abs. 1 GG ist. Der nach Asylanerkennung erfolgende Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit erledigt die Anerkennung daher eo ipso mit der Konsequenz, dass der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit schon deshalb mit § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG nicht gemeint sein kann. Hätte er - klarstellend - erfasst wenden sollen, hätte es einer anderen Formulierung bedurft (Renner aaO, § 72 AsyiVfG Rd. 21, 24, ihm folgend Schäfer in GK-AsylVfG, § 72 Rd. 30: Erledigung iSd § 43 Abs. 2 VwVfG; so wohl auch Hailbronner aaO, § 72 AsylVfG Rd. 19)."

Mit dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit erlischt mithin nicht die unanfechtbare Anerkennung, sondern der betreffende Bescheid erledigt sich auf sonstige Weise, nämlich dadurch, dass der Adressat asylrechtlichen Schutz nicht mehr benötigt. Dieser Tatbestand ist indessen im Rahmen des Familienasyls nach § 26 AsylVfG und auch im Anwendungsbereich der den. Widerruf des Famiiienasyis betreffenden. Bestimmung des § 73 Abs. 2 b AsylVfG nicht zu berücksichtigen. Denn danach kommen lediglich das Erlöschen, der Widerruf oder die Rücknahme der Asylberechtigung des Angehörigen, von dem das Familienasyl abgeleitet wird, in Betracht. Ein Wegfall des Asylstatus dadurch, dass der bisher asyl berechtigte Familienangehörige die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt, ist dort nicht vorgesehen. Für eine entsprechende Anwendung des Erlöschenstatbestandes auf einer Konstellation der vorliegenden Art ist kein Raum. Denn es fehlt an einer gesetzlichen Lücke, die durch Auslegung gefüllt werden müsste. Insbesondere rechtfertigen Sinn und Zweck des Farnilienasyls nicht eine Analogie. Wenn § 26 AsylVfG letztlich eine sogenannte „Regelvermutung" der Verfolgung der dort genannten Angehörigen normiert (vgl. Bodenbender in Gemeinschaftskommentar, § 26 Rdnr. 8 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung) ändert sich an der vermuteten Verfolgung des Angehörigen nichts dadurch, dass der Stammberechtigte die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt.