VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 02.04.2008 - 8 K 815/06 - asyl.net: M13289
https://www.asyl.net/rsdb/M13289
Leitsatz:

Die Einbürgerungsbehörde kann nicht generell verlangen, dass ein Einbürgerungsbewerber persönlich bei ihr vorspricht, sondern nur wenn ein schriftliches Vorbringen nicht ausreicht, etwa weil Zweifel an der Identität bestehen.

 

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Untätigkeitsklage, zureichender Grund, persönliches Erscheinen, Identitätszweifel, Mitwirkungspflichten, Erlasslage, Loyalitätserklärung
Normen: VwGO § 75 S. 1; StAG § 37 Abs. 1; AufenthG § 82 Abs. 4; StAG § 10 Abs. 1
Auszüge:

Die Einbürgerungsbehörde kann nicht generell verlangen, dass ein Einbürgerungsbewerber persönlich bei ihr vorspricht, sondern nur wenn ein schriftliches Vorbringen nicht ausreicht, etwa weil Zweifel an der Identität bestehen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch auf seine Einbürgerung.

Die Klage ist als Untätigkeitsklage ohne Durchführung eines Vorverfahrens gemäß § 75 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig. Die Dreimonatsfrist des § 75 Satz 2 VwGO ab Antragstellung war bei Klageerhebung verstrichen. Es lag auch kein zureichender Grund für die Nichtbescheidung des Einbürgerungsantrags im Sinne des § 75 Satz 3 VwGO in der Zeit bis zum Erlass des Ablehnungsbescheides vom 20. Februar 2008 vor. Insbesondere hatte der Beklagte keinen Grund, die weitere Bearbeitung auszusetzen, nachdem der Kläger entgegen seiner Aufforderung nicht persönlich bei der Behörde erschienen ist. Der Kläger hat damit keine Mitwirkungspflicht verletzt.

Der nach seinem glaubhaften Bekunden in der mündlichen Verhandlung vor dem 14. März 2006 beim Beklagten erschienene Kläger war nicht zu einer – weiteren – persönlichen Vorsprache verpflichtet, weil eine solche im Rechtssinne nicht erforderlich war. Rechtsgrundlage für das Verlangen eines persönlichen Erscheinens kann der gemäß § 37 Abs. 1 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) im Einbürgerungsverfahren entsprechend anwendbare § 82 Abs. 4 AufenthG sein. Nach dieser Vorschrift kann ein persönliches Erscheinen angeordnet werden, soweit es zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach diesem Gesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen erforderlich ist.

Aus der Vorschrift folgt, dass sich die Erforderlichkeit aus einer gesetzlichen Bestimmung, oder etwa daraus ergeben muss, dass bei einer nach dem Gesetz durchzuführenden Maßnahme ein schriftliches Vorbringen nicht ausreicht (Funke-Kaiser, Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, § 82 AufenthG, Rdnr. 62, 68; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 82 AufenthG, Rdnr. 6).

Letzteres kann beispielsweise der Fall sein, wenn aus der Sicht der Behörde ein schriftlicher Vortrag unvollständig bzw. undeutlich ist und daher eine schriftliche Kommunikation wenig Aussicht auf Erfolg verspricht oder wenn der persönliche Eindruck für die Beurteilung des bisherigen Vortrags notwendig erscheint (Funke-Kaiser, a.a.O., Rdnr. 68).

Eine solche Situation liegt hier nicht vor.

Aus dem gerichtlichem Hinweis vom 21. August 2006 folgt, dass sich Fragen der Identität bzw. der Urheberschaft des Einbürgerungsantrages nicht stellen.

Eine Gesetzesvorschrift, die in Einbürgerungsverfahren generell ein persönliches Erscheinen des Antragstellers anordnet, existiert nicht. Eine solche Vorschrift sieht auch der Beklagte nicht. Er bezieht sich nicht auf eine gesetzliche Vorschrift, sondern auf Ziff. 10.1.1.1 der Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum StAG, wonach der Antragsteller bei der Antragstellung über die Bedeutung des Bekenntnisses zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der Loyalitätserklärung schriftlich und mündlich belehrt und befragt werden soll, ob er entgegenstehende Handlungen vorgenommen habe.

Allerdings lässt sich durch eine Soll-Vorschrift des Erlassgebers über eine mündliche Beratung und Befragung keine für § 82 Abs. 4 AufenthG erhebliche Pflicht statuieren. In diesem Sinne ergibt sich eine Erscheinenspflicht auch nicht aus dem vom Beklagten außerdem herangezogenen Ausführungserlass zum Staatsangehörigkeitsrecht des Innenministeriums NRW vom 4. Oktober 2005 - Az. 14 - 40.00 - 6.1. Hiernach nehmen die Einbürgerungsbehörden den Antrag entgegen und beraten den Antragsteller über das weitere Verfahren, ferner belehren sie ihn darüber, dass zum Zweck der Einbürgerung seine personenbezogenen Daten erhoben, übermittelt oder in sonstigerWeise zum Zweck der Einbürgerung verarbeitet werden können, händigen ihm ferner das Merkblatt "Information über die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten im Einbürgerungsverfahren" aus und machen dies aktenkundig. Die Erlassregelung lässt sich – soweit sie von einer Erscheinenspflicht des Antragstellers ausgeht – nicht auf eine gesetzliche Bestimmung zurückführen. Die über Einbürgerungsverfahren stattfindenden Erhebungen beruhen auf der gesetzlichen Ermächtigung des § 36 StAG (Einbürgerungsstatistik). Diese Vorschrift stellt eine bereichsspezifische und damit abschließende Datenschutzvorschrift bzw. Ermächtigungsvorschrift dar, die keine Pflicht zur schriftlichen oder gar mündlichen Belehrung des Ausländers enthält.

Eine Erscheinenspflicht des Klägers ergibt sich auch nicht daraus, dass etwa die Loyalitätserklärung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG der Natur der Sache nach stets persönlich zu übergeben ist und besprochen werden muss, weil ein schriftliches Vorbringen hierzu grundsätzlich nicht ausreicht. Für den Normalfall genügt die schriftliche Belehrung über den Inhalt und die Bedeutung der Loyalitätserklärung.

Zudem handelt es sich um eine formelle Voraussetzung, die sich darauf beschränkt, dass der Antragsteller eine Loyalitätserklärung abzugeben hat (Berlit in: Gemeinschaftskommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht (GKStAR), § 10 StAG, Rn. 126 ff.).

Erst wenn der Einbürgerungsbehörde Erkenntnisse vorliegen oder sich aus der durchzuführenden Regelanfrage beim Verfassungsschutz Ansatzpunkte für das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 11 StAG ergeben, liegt ein Grund vor, der ein persönliches Erscheinen erforderlich machen kann, nämlich um der Behörde zu ermöglichen, sich über etwaige Ausschlussgründe zu vergewissern.

Es kann hier dahin stehen, ob eine Behörde darüber hinaus – neben der Überprüfung durch den Verfassungsschutz – generell ein Ermittlungsrecht im Hinblick auf das Vorliegen von Ausschlussgründen besitzt, insbesondere ob sie ohne besonderen Anlass (d. h. ohne das Vorliegen von tatsächlichen Anhaltspunkten im Sinne des § 11 StAG) planmäßige Befragungen von Einbürgerungsantragstellern durchführen kann, um das Vorliegen von Ausschlussgründen zu erforschen.

Diese Frage muss hier nicht entschieden werden, weil der Beklagte nach der Überzeugung der Kammer eine solche planmäßige Befragung nicht durchführt, weshalb dieser gedankliche Ansatz – seine Tragfähigkeit unterstellt – hier nicht zur Erforderlichkeit eines persönlichen Erscheinens führen kann.

Die Kammer hat bislang in keiner Einbürgerungsakte des Beklagten einen Vermerk über den Inhalt der persönlichen Vorsprache, insbesondere über die Belehrung über den Inhalt der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, vorgefunden. Auch die Aussage der Mitarbeiterin des Beklagten Frau T. im insoweit vergleichbaren Verfahren 8 K 1717/06 in der mündlichen Verhandlung vom 27. Februar 2007 führt letztlich nicht zu einem anderen Bild. Denn die von ihr berichtete grundsätzliche Befragung, ob der Inhalt der Loyalitätserklärung verstanden worden sei, beinhaltet kein zielorientiertes Verfahren zur Feststellung von Ausschlussgründen. Sie zeichnet nur das mündlich nach, was im Antragsformular als ausführliche "Informationen zur Abgabe der Loyalitätserklärung" bereits enthalten ist und was jedenfalls bei einer nach anwaltlicher Beratung beantragten Einbürgerung als verstanden gelten kann. Nach der Darstellung von Frau T. kommt es nur zu Nachfragen, wenn ein entsprechender Anlass feststellbar ist.

Das Gericht hat insgesamt den Eindruck, dass die im Verfahren vorgebrachten Argumentationen nicht tatsächlich das Vorgehen des Beklagten in Einbürgerungsverfahren prägen.Wesentlicher Grund hierfür ist, dass der Beklagte nach dem zitierten gerichtlichen Hinweis vom 21. August 2006 um eine Begründung für sein Verlangen nach persönlichem Erscheinen verlegen und bemüht war, eine solche zu finden. Deshalb ließ er am 8. November 2006 beim Innenministerium Nordrhein-Westfalen telefonisch nachfragen, warum ein persönliches Erscheinen in Einbürgerungssachen erforderlich sei und wechselte darauf, namentlich im Ablehnungsbescheid vom 20. Februar 2008, seine Argumentation. Die Auffassung, dass es dem Beklagten nicht wirklich um diese ihm vom Innenministerium mitgeteilten Gründe ging, drängt sich auch deshalb auf, weil nicht feststellbar ist, dass der Beklagte die von ihm hervorgehobene schriftliche Dokumentation der Belehrung über datenschutzrechtliche Fragen gemäß dem Ausführungserlass des Innenministeriums NRW vom 4. Oktober 2005 in einer Einbürgerungsakte jemals vorgenommen hat.

Die Klage ist auch begründet.

Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 10 StAG.