VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.04.2008 - 13 S 171/08 - asyl.net: M13286
https://www.asyl.net/rsdb/M13286
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Berufungszulassungsantrag, ernstliche Zweifel, Lebensunterhalt, verspätetes Vorbringen, Zukunftsprognose, verfassungsfeindliche Bestrebungen, PKK, ERNK, Unterstützung, Unterzeichner, Abwenden von verfassungsfeindlichen Bestrebungen
Normen: VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1; StAG § 10 Abs. 1 Nr. 3 a.F.; StAG § 11 S. 1 Nr. 2 a.F.; VwGO § 108 Abs. 1
Auszüge:

Der auf das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht vor, soweit der Kläger geltend macht, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei er zur Sicherung des Lebensunterhalts seiner Familie in der Lage.

a) Allerdings ist der Kläger nicht gehindert, sowohl den Kindergeldbezug als auch die mittlerweile ausgeübte Nebentätigkeit im Zulassungsverfahren vorzubringen. Bei dem Kindergeldbezug handelt es sich um keine neue Tatsache. Er hat schon im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorgelegen, ist von diesem aber nicht berücksichtigt worden. Diese Nichtberücksichtigung beruht zwar nicht auf einem Fehler des Verwaltungsgerichts, sondern darauf, dass ihn der Kläger auf die Frage nach seinen Einkünften nicht erwähnt hat. Dies führt indes nicht dazu, dass er im Zulassungsverfahren präkludiert und damit gehindert wäre, ernstliche Zweifel mit der fehlenden Berücksichtigung des Kindergeldes zu begründen. Bei der Prüfung, ob der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorliegt, sind auch solche nach materiellem Recht entscheidungserhebliche und erstmals innerhalb der Antragsfrist vorgetragene Tatsachen zu berücksichtigen, die vom Verwaltungsgericht deshalb im Zeitpunkt seiner Entscheidung außer Betracht gelassen wurden, weil sie von den Beteiligten nicht vorgetragen und mangels entsprechender Anhaltspunkte auch nicht von Amts wegen zu ermitteln waren (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.6.2002 - 7 AV 1.02 -, NVwZ-RR 2002, 894).

Die erst nach Zustellung des verwaltungsgerichtlichen Urteils aufgenommene Nebenbeschäftigung ist ebenfalls zu berücksichtigen. Ein Urteil ist auch dann im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO unrichtig, wenn es mit dem materiellen Recht wegen einer Änderung der Sach- oder Rechtslage nicht mehr in Einklang steht (vgl. Kopp/Schenke, 15. Aufl. 2007, § 124 Rn. 7c).

b) Indes bestehen auch unter Berücksichtigung des Kindergeldbezugs und der seit kurzem zusätzlich zu seiner selbständigen Tätigkeit ausgeübten Nebentätigkeit des Klägers keine ernstlichen Zweifel an der Annahme des Verwaltungsgerichts, er sei nicht in der Lage, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie ohne Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs zu bestreiten (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 StAG a. F.). Denn auch wenn man diese Gesichtspunkte in die Bewertung einbezieht, ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts, es sei zu erwarten, dass in naher Zukunft wieder ein Leistungsbezug stattfinden werde, im Ergebnis nicht ernsthaft in Frage gestellt.

Hierbei ist davon auszugehen, dass bei der Frage, ob der Lebensunterhalt ohne die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder dem zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs gesichert ist, nicht nur auf die aktuelle Situation abzustellen ist, sondern es ist auch eine gewisse Nachhaltigkeit zu fordern. Es ist eine Prognose darüber anzustellen, ob der Einbürgerungsbewerber voraussichtlich dauerhaft in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt aus eigenen Einkünften zu sichern (Urteil des Senats vom 12.3.2008 - 13 S 1487/06 - juris; Berlit, GK-StAR, § 10 Rn. 230 f.; vgl. auch VG Berlin, Urteil vom 16.8.2005 - 2 A 99.04 -, juris; VG Braunschweig, Urteil vom 15.7.2003 - 5 A 89/03 -, juris; zur vergleichbaren Situation im Ausländerrecht: BVerwG, Beschluss vom 13.10.1983 - 1 B 115/83 -, NVwZ 1984, 381; Beschluss des Senats vom 13.3.2008 - 13 S 2524/07 -). Bei der Beurteilung, ob der Lebensunterhalt durch eine eigene Erwerbstätigkeit gesichert ist, muss sowohl die bisherige Erwerbsbiographie als auch die gegenwärtige berufliche Situation des Einbürgerungsbewerbers in den Blick genommen werden. Dabei sind die Anforderungen aber nicht zu überspannen. Wenn jemand langfristig in einem gesicherten Arbeitsverhältnis steht, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass dieses auch in Zukunft weiter bestehen wird. Allein die allgemeinen Risiken des Arbeitsmarktes oder das relativ höhere Arbeitsmarktrisiko von Ausländern stehen einer positiven Prognose nicht entgegen (vgl. Berlit, GK-StAR, § 10 Rn. 232).

Wendet man diese Grundsätze auf den Fall des Klägers an, fällt die Prognose selbst dann negativ aus, wenn man von seinen Angaben ausgeht und die von dem Beklagten angeführten Zweifel an deren Richtigkeit außer Betracht lässt.

2. Ohne Erfolg in der Sache macht der Kläger ferner geltend, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei in der Sache auch deshalb falsch, weil er entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts glaubhaft gemacht habe, sich von der früheren Unterstützung der PKK/ERNK abgewandt zu haben.

a) Sollen "ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils" gerade hinsichtlich einer Tatsachen- oder Beweiswürdigung – wie sie auch im vorliegenden Fall erfolgt ist – geltend gemacht werden, sind besondere Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe zu stellen (vgl. hierzu Nieders. OVG, Beschluss vom 18.1.2001 - 4 L 2401/00 -, juris). Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet nämlich das Verwaltungsgericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es ist bei der Würdigung aller erheblichen Tatsachen – nicht nur des Ergebnisses einer gegebenenfalls durchgeführten förmlichen Beweisaufnahme, sondern auch des Inhalts der Akten, des Vortrags der Beteiligten, eingeholter Auskünfte usw. – frei, d. h. nur an die innere Überzeugungskraft der in Betracht kommenden Gesichtspunkte und Argumente, an die Denkgesetze, anerkannten Erfahrungssätze und Auslegungsgrundsätze gebunden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., 2007, § 108 Rdnr. 4 m.w. N.). Ist das Gericht unter umfassender Würdigung des Akteninhalts und der Angaben der Beteiligten (sowie gegebenenfalls des Ergebnisses einer Beweisaufnahme) zu der Überzeugung gelangt, dass entscheidungserhebliche Tatsachen vorliegen oder nicht, können ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Würdigung nicht schon durch die Darlegung von Tatsachen hervorgerufen werden, die lediglich belegen, dass auch eine inhaltlich andere Überzeugung möglich gewesen wäre oder dass das Berufungsgericht bei seiner Würdigung nach Aktenlage (für die Würdigung des Ergebnisses einer Beweisaufnahme durch das Verwaltungsgericht fehlt dem Berufungsgericht im Zulassungsverfahren ohnehin regelmäßig der im Einzelfall wesentliche persönliche Eindruck von den Beteiligten und Zeugen) zu einem anderen Ergebnis gelangen könnte. Vielmehr bedarf es der Darlegung erheblicher Fehler bei der Tatsachen- oder Beweiswürdigung, die etwa dann vorliegen können, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, gegen Denkgesetze verstoßen oder gesetzliche Beweisregeln missachtet hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, InfAuslR 1994, 424;VGHBad.-Württ., Beschluss vom 12.12.2005 - 11 S 2318/04 -; Senatsbeschluss vom 23.8.2007 - 13 S 300/07 -).

b) Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang rügt, seine Unterstützungshandlung stelle sich im Hinblick auf die Unterzeichnung der "PKK-Selbsterklärung" nicht als so gewichtig dar, wie dies vom Verwaltungsgericht dargelegt werde, ist das Verwaltungsgerichts nicht von einer unzutreffenden Bewertung des Sachverhalts ausgegangen. Zum einen kommt es für die Frage, ob der Kläger inkriminierte Bestrebungen unterstützt hat, auf die Unterzeichnung der "PKK-Selbsterklärung" nicht entscheidungserheblich an; das Verwaltungsgericht hat ausdrücklich offen gelassen, ob die Unterzeichnung der "PKK-Selbsterklärung" für sich allein genommen eine Unterstützung der PKK darstellt, weil der Kläger weitere gewichtige Unterstützungshandlungen geleistet habe. Zum anderen ergibt sich aus der von dem Kläger angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 22.2.2007 - 5 C 20.05 -, BVerwGE 128, 140 = NVwZ 2007, 956 und - 5 C 10.06 -) nicht, dass die Unterzeichnung der "PKK-Selbsterklärung" im Einbürgerungsverfahren überhaupt nicht berücksichtigt werden darf; das Bundesverwaltungsgericht hat lediglich entscheiden, allein die Unterzeichnung dieser Erklärung rechtfertige nicht die Annahme, der Unterzeichner habe Bestrebungen i.S.v. § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG a. F. unterstützt. Liegen wie hier zahlreiche weitere Aktivitäten vor, darf die Unterzeichnung der "PKK-Selbsterklärung" in die Gesamtwürdigung eingestellt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.2.2007 - 5 C 21.06 -, Buchholz 130 § 11 StAG Nr. 4).

c) Weiter verhilft auch der Hinweis des Klägers auf den angeblich langen Zeitraum, in dem er keine Aktivitäten mehr entfaltet habe, seinem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg. Auch insoweit hat das Verwaltungsgericht keinen falschen rechtlichen Maßstab angelegt. Fraglich ist schon, ob dieser Vortrag des Klägers tatsächlich zutrifft. Unabhängig davon ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass allein der bloße Zeitablauf kein Abwenden von inkriminierten Bestrebungen belegen kann. Vielmehr muss zusätzlich ein innerer Vorgang stattgefunden haben, der sich auf die inneren Gründe für die Handlungen bezieht und nachvollziehbar werden lässt, dass diese so nachhaltig entfallen sind, dass mit hinreichender Gewissheit zukünftig die Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen – auch in Ansehung der durch die Einbürgerung erworbenen gesicherten Rechtsposition – auszuschließen ist (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 20.2.2008 - 13 S 457/06 -). Hiervon ist auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen.

d) Schließlich bestehen auch an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine ernstlichen Zweifel, soweit der Kläger sich darauf beruft, er habe glaubhaft gemacht, sich von der früheren Unterstützung der PKK/ERNK abgewandt zu haben. Er hat insoweit keine erheblichen Gründe vorgebracht, die dafür sprechen, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil im Ergebnis einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten wird. Im Wesentlichen versucht er zu belegen, dass das Verwaltungsgericht bei der Würdigung der Tatsachen auch zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können.