OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.04.2008 - 18 E 1140/07 - asyl.net: M13273
https://www.asyl.net/rsdb/M13273
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, Niederlassungserlaubnis, Aufenthaltsdauer, Altfälle, Übergangsregelung, Zuwanderungsgesetz, Aufenthaltsbefugnis, Verlängerungsantrag, verspätete Antragstellung, Antrag, Auslegung, Lebensunterhalt, Alterssicherung, Krankheit, Behinderte
Normen: VwGO § 166; ZPO § 114; AufenthG § 26 Abs. 4; AufenthG § 102 Abs. 2; AufenthG § 85; AuslG § 69 Abs. 3; AufenthG § 9 Abs. 2 S. 6
Auszüge:

Dem Kläger ist im der Beschlussformel zu entnehmenden Umfang Prozesskostenhilfe zu bewilligen, weil er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen und die beabsichtigte Rechtsverfolgung (nur) insoweit hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO.

1. Der vom Kläger formulierte Antrag kann in Anwendung des § 88 VwGO nach dem erkennbaren Rechtsschutzziel so aufgefasst werden, dass der Antrag auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erfasst wird. Daran hindert zunächst nicht, dass für den Kläger ausdrücklich ein Vornahmeantrag formuliert worden ist; in einem solchen Antrag ist als ‚minus‘ der Bescheidungsantrag enthalten (vgl. zu dieser Fallgestaltung Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage 2005, § 88 Rn. 3 mit weiteren Nachweisen; Wolff in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Auflage 2006, § 113 Rn. 451).

2. Der Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis bzw. Bescheidung des entsprechenden Antrags war entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht bereits deshalb unzulässig, weil der Kläger vor Erhebung der Klage beim Beklagten den erforderlichen entsprechenden Antrag nicht gestellt hatte. Richtig ist, dass ein dahingehender Antrag den Verwaltungsvorgängen ausdrücklich nicht entnommen werden kann. Am 25. August 2004 hatte der Kläger den Verwaltungsvorgängen zufolge zunächst nur einen Antrag auf Verlängerung der ihm zuvor erteilten befristeten Aufenthaltsbefugnis gestellt. Weiter ist mit anwaltlichem Schreiben vom 13. September 2005 allerdings gebeten worden, dem Kläger "die Aufenthaltsbefugnis unbefristet zu erteilen". Hierin kann die Stellung eines Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gesehen werden.

Der Antrag ist zwar insofern falsch formuliert, als es eine unbefristete Aufenthaltsbefugnis unter Geltung des AuslG nicht gab (vgl. §§ 34 Abs. 1, 35 Abs. 1 AuslG) und unter Geltung des AufenthG – das im Zeitpunkt der Formulierung des anwaltlichen Schreibens bereits in Kraft getreten war – überhaupt keine Aufenthaltsbefugnis mehr (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Wenn auch insoweit wegen der anwaltlichen Antragsformulierung Bedenken bestehen, ist es aber gerade wegen der unrichtigen Formulierung angezeigt, den genannten Antrag als solchen auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aufzufassen. Denn da es eine Aufenthaltsbefugnis nach dem AufenthG nicht mehr gibt, musste ein anderer Titel gemeint sein. Dass ein unbefristeter Titel erstrebt wurde, kommt mit der Verwendung des entsprechenden Adjektivs hinreichend deutlich zu Ausdruck. Der einzige für den Kläger in Betracht kommende unbefristete Aufenthaltstitel war jedoch seinerzeit (und ist noch) die Niederlassungserlaubnis. Angesichts dessen ist unschädlich, dass der Kläger mit der Wendung "wie zugesagt" in dem betreffenden Schreiben auf den Inhalt eines Gesprächs vom 1. August 2005 Bezug genommen hat, in dem ausweislich des darüber gefertigten Vermerks die Erteilung eines unbefristeten Titels nicht in Aussicht gestellt worden ist.

3. Es spricht eine für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass dem Kläger ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis zusteht. Dabei geht der Senat davon aus, dass insoweit § 26 Abs. 4 AufenthG die gegenüber § 9 AufenthG spezielle Anspruchsgrundlage ist, wenn – wie hier – dem Betreffenden eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilt war (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Juli 2006 - 18 E 1500/05 - zu § 28 Abs. 2 AufenthG; Zeitler in HTK, § 9 AufenthG zu Abs. 2; Burr in GK-AufenthG, Loseblatt, II-§ 26 Rn. 23; Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, § 26 Rn. 3).

a) Es ist zumindest möglich, dass der Kläger, wie § 26 Abs. 4 AufenthG erfordert, seit sieben Jahren eine Aufenthaltserlaubnis besitzt bzw. jedenfalls so zu behandeln ist.

Dem Kläger ist nach seinen Angaben inzwischen (möglicherweise am 7. August 2007?) eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt worden, die bis zum 7. August 2009 gültig sein soll. Die näheren Einzelheiten sind dem Senat nicht bekannt. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass die Aufenthaltserlaubnis – wie es jedenfalls dann geboten sein dürfte, wenn die Voraussetzungen nicht erst während des Laufs des Verfahrens erfüllt worden sind, sondern bereits bei Antragstellung gegeben waren (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Loseblatt, § 26 Rn. 12; Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, § 26 Rn. 8, jeweils mit weiteren Nachweisen) rückwirkend auf den Tag der Antragstellung erteilt worden ist; dies war hier (soweit unstreitig) der 25. August 2004. Angemerkt sei, dass der Kläger anderenfalls jedenfalls so zu behandeln sein könnte (vgl. BVerwG, Urteile vom 29. September 1998 - 1 C 14/97 -, Buchholz 402.240 § 24 AuslG 1990 Nr. 3, und vom 22. Januar 2002 - 1 C 6.01 -, BVerwGE 115, 325, jeweils mit weiteren Nachweisen; Burr in GK-AufenthG, Loseblatt, II-§ 26 Rn. 17 f).

Hiervon ausgehend besitzt der Kläger seit knapp vier, nicht aber schon seit sieben Jahren eine Aufenthaltserlaubnis.

Auf die Frist für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG wird jedoch nach § 102 Abs. 2 AufenthG die Zeit des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis oder einer Duldung vor dem 1. Januar 2005 angerechnet. Der Kläger war in der Zeit vom 13. Juni 2001 bis zum 23. August 2004 im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis und zuvor – ohne dass dies im Einzelnen nachvollzogen werden müsste – wohl bereits seit 1995 im Besitz von Duldungen. Er erreicht mithin ohne Weiteres die erforderlichen Zeiten, wenn die Lücke von zwei Tagen zwischen dem 23. und dem 25. August 2004 geschlossen werden kann.

Insoweit besteht zunächst Aufklärungsbedarf im Tatsächlichen.

Abgesehen hiervon kommt ein weiterer Weg zur Schließung der aufgezeigten Lücke von zwei Tagen in Betracht. Es ist daran zu denken, dass der Beklagte insoweit das ihm durch § 85 AufenthG eröffnete Ermessen dahin ausübt, dass die Unterbrechung außer Betracht bleibt. Nach jener Bestimmung ist dies für Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts von bis zu einem Jahr möglich. Ob § 85 AufenthG nicht nur zur Überwindung der Unterbrechung der Rechtmäßigkeit eines Aufenthalts, sondern auch – wie hier erforderlich – zur Überwindung der Unterbrechung des Besitzes eines Aufenthaltstitels angewandt werden kann, ist umstritten und in der Rechtsprechung des Senats nicht geklärt (vgl. Senatsbeschluss vom 10. November 2000 - 18 B 1504/00 - sowie zum Meinungsstand Hess. VGH, Beschluss vom 16. Juli 2007 - 11 TP 1155/07 -, juris; Burr in in GK-AufenthG, Loseblatt, II-§ 26 Rn. 27 einerseits und Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Loseblatt, II-§ 85 Rn. 8 andererseits; Hailbronner, Ausländerrecht, § 26 AufenthG Rn. 18, § 9 Rn. 9; Storr u.a., Kommentar zum Zuwanderungsgesetz, 2005, § 85 Rn. 5, jeweils mit weiteren Nachweisen).

Die Entscheidung dieser Rechtsfrage ist entsprechend den oben dargelegten Maßgaben im Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht angezeigt.

Angemerkt sei, dass demgegenüber eine Fiktion nach der seinerzeit gültigen Vorschrift des § 69 Abs. 3 AuslG zur Schließung der Lücke nicht geeignet ist; dies schon deshalb, weil eine Fiktionswirkung – ungeachtet des Umstands, dass dem Kläger später hierüber (deklaratorische) Bescheinigungen ausgestellt worden sind – wegen der Säumnis des Klägers nicht eingetreten ist.

b) Auch die Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG im Übrigen dürften vorliegen. Grundsätzlich ist danach zwar erforderlich, dass die in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 9 AufenthG bezeichneten Voraussetzungen vorliegen, was im Hinblick auf die Voraussetzungen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AufenthG (Sicherung des Lebensunterhalts, Alterssicherung) nicht der Fall sein dürfte. Hiervon wird allerdings nach § 26 Abs. 4 AufenthG i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG abgesehen, wenn der Ausländer die Voraussetzungen aus den in Satz 3 genannten Gründen (wegen einer Krankheit oder Behinderung) nicht erfüllen kann. Ob dies der Fall ist, mag weiterer Aufklärung bedürfen; ...