VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.04.2008 - 11 S 2474/07 - asyl.net: M13272
https://www.asyl.net/rsdb/M13272
Leitsatz:

Unterliegt die Behörde im gerichtlichen Verfahren, hat sie die Verfahrensgebühr ohne Anrechnung einer ggf. im Vorverfahren angefallenen Verfahrensgebühr zu ersetzen.

 

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Rechtsanwaltsgebühren, Geschäftsgebühr, Verfahrensgebühr, Anrechnung
Normen: VwGO § 162 Abs. 2; VV RVG Nr. 3100; VV RVG Nr. 2300
Auszüge:

Unterliegt die Behörde im gerichtlichen Verfahren, hat sie die Verfahrensgebühr ohne Anrechnung einer ggf. im Vorverfahren angefallenen Verfahrensgebühr zu ersetzen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall zu den erstattungsfähigen Kosten eine ungeschmälerte Verfahrensgebühr gehört, die sich nach Nr. 1008 VV RVG auf 2,5 erhöht.

a) Zutreffend wurde eine ungeschmälerte Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG festgesetzt. Denn die Geschäftsgebühr ist nicht anteilig anzurechnen.

Nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 zu Teil 3 VV RVG wird zwar eine Geschäftsgebühr nach den Nrn. 2300 bis 2303 zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet, soweit sie wegen desselben Gegenstands entstanden ist. Die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 ist aber im Teil 2 des Vergütungsverzeichnisses geregelt. Dieser Teil 2 betrifft die außergerichtlichen Tätigkeiten des Rechtsanwalts einschließlich der Vertretung im Verwaltungsverfahren und regelt damit im außergerichtlichen Bereich entstehende Gebühren, die im gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren nach § 164 VwGO nicht berücksichtigt und damit auch nicht angerechnet werden können (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 08.10.2007 - 10 OA 201/07 a.a.O.; so auch: BayVGH, Beschl. v. 10.07.2006, a.a.O.; v. 06.03.2007 - 19 C 06.2591 - juris; v. 14.05.2007 - 25 C 07.754 - juris; v. 10.07.2007 - 13 M 07.517 - juris; OVG NRW, Beschl. v. 25.04.2006, a.a.O.). Die Geschäftsgebühr ist gesetzessystematisch dem Verhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und dem Auftraggeber zuzuordnen und ihre Anrechnung auf die Verfahrensgebühr ist in diesem Verhältnis dadurch begründet, dass der Rechtsanwalt, der für seinen Auftraggeber bereits im Verwaltungsverfahren tätig war und dafür eine Geschäftsgebühr erhält, in die Materie eingearbeitet ist, wenn sich bei demselben Gegenstand ein gerichtliches Verfahren anschließt. In diesem Fall schuldet der Auftraggeber dem Rechtsanwalt die Geschäftsgebühr und (nur) die anteilig geminderte Verfahrensgebühr. Die Anrechnung schützt den Auftraggeber vor zu hohem Rechtsanwaltshonorar und davor, dass der Rechtsanwalt nur mit Blick auf seinen Vergütungsanspruch ein gerichtliches Verfahren einleitet (so Nds. OVG, Beschl. v. 08.10.2007, a.a.O.; BayVGH, Beschl. v. 10.07.2006, a.a.O.; OVG NRW, Beschl. v. 25.04.2006, a.a.O.).

Rechnete man gleichwohl die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr an, so wären diejenigen im Prozess unterlegenen Prozessgegner in den Verfahren privilegiert, in denen ein Rechtsanwalt neben seiner Tätigkeit im Prozess auch im Verwaltungsverfahren tätig war. In diesem Falle hätten die Prozessgegner nur die anteilig verringerte Verfahrensgebühr zu tragen. Hingegen hätten sie in den Fällen, in denen ein Rechtsanwalt im Verwaltungsverfahren nicht tätig war, die ungekürzte Verfahrensgebühr zu erstatten. Für eine solche Ungleichbehandlung gibt es keinen rechtfertigenden Grund (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 08.10.2007, a.a.O.; OVG NRW, Beschl. v. 25.04.2006, a.a.O.; Beschl. v. 18.10.2006 - 7 E 1339/05 NVwZ-RR 2007, 500; BayVGH, Beschl. v. 10.07.2006, a.a.O.; Beschl. v. 17.11.2006 - 24 C 06.2463 u. 24 C 06.2466 - juris; Beschl. v. 05.01.2007 - 24 C 06.2052 - juris; VG Freiburg, Beschl. v. 21.03.2007 - 2 K 1377/06 - juris). Soweit der Senat in seinem Beschluss vom 27.06.2006 (- 11 S 2613/05 - NJW 2006, 2937) in einem obiter dictum zum Ausdruck gebracht hat, die Anrechnungsregelung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 zu Teil 3 VV RVG führe zu einer – hinzunehmenden – Entlastung des unterlegenen Prozessgegners, hält er hieran nicht länger fest.