VG Darmstadt

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Zitieren als:
VG Darmstadt, Urteil vom 10.04.2008 - 7 E 1516/07.A - asyl.net: M13262
https://www.asyl.net/rsdb/M13262
Leitsatz:

Keine Verfolgungsgefahr in der Türkei wegen Vergabe eines kurdischen Vornamens an Kind.

 

Schlagwörter: Türkei, Folgeantrag, Änderung der Sachlage, Drei-Monats-Frist, Prozessbevollmächtigte, Zurechnung, Kenntnis, Kurden, Vorname, Strafverfahren
Normen: AsylVfG 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1; VwVfG § 51 Abs. 3; GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Keine Verfolgungsgefahr in der Türkei wegen Vergabe eines kurdischen Vornamens an Kind.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die Kläger haben zwar einen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens, jedoch in dem für die gerichtliche Entscheidung maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Artikel 16 a Abs. 1 GG.

Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG vorliegen.

Die Kläger gaben in ihrem Folgeantrag im Wesentlichen an, ihren am 04.04.2006 geborenen Sohn den kurdischen Vornamen "..." gegeben zu haben. Somit müssten sie bei einer Rückkehr in ihr Heimatland politische Verfolgung befürchten, da die Verwendung des Buchstaben "w" in dem Vornamen strafbewehrt sei. Im Übrigen stelle die Weigerung der türkischen Behörden, Reisepapiere mit dem Namen ihres Kindes auszustellen, eine Verfolgung wegen der kurdischen Volkszugehörigkeit dar. Des Weiteren gebe es inzwischen neuere Quellen dafür, wonach Strafverfahren gegen Kurden wegen der Verwendung des Buchstaben "w" eingeleitet worden seien.

Dieser Vortrag der Kläger war insoweit ausreichend glaubhaft und substantiiert und auch nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtungsweise ungeeignet, zur Asylberechtigung zu verhelfen.

Dass die Kläger vor ihrer Ausreise aus der Türkei politische Verfolgung erlitten haben bzw. eine derartige Verfolgung unmittelbar drohte, hat das Gericht bereits in seinem Urteil vom 01.03.2005 verneint; im Folgeantrag ist hierzu auch nichts Neues vorgetragen worden.

Mithin ist für die Prognose der Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr in die Türkei der "normale" Maßstab einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen (BVerfG, Beschl. vom 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51; BVerwG, Urt. vom 20.11.1990 - 9 C 74.90 -, BVerwGE 87, 152).

Eine asylrelevante Verfolgung der Kläger ergibt sich insbesondere nicht aus der Tatsache, dass in der Namensgebung für ihr Kind ... ein Verstoß gegen das Sprachengesetz liegt, weil der gewählte Vorname für das Kind mit "w" geschrieben wurde, obwohl das "w" ein Buchstabe im kurdischen Alphabet ist.

In der Türkei ist die Vergabe kurdischer Vornamen erlaubt. Nur Vornamen, die gegen die "Moral und öffentliche Ordnung" verstoßen, sind verboten; Verbote wegen Verstoßes gegen "nationale Kultur, Traditionen und Gebräuche" sind nicht mehr vorgesehen. Ein Runderlass des türkischen Innenministeriums weist darauf hin, dass die nur im Kurdischen, nicht jedoch im offiziellen türkischen Alphabet vorhandenen Buchstaben w, x und q bei der Namensvergabe nicht zulässig sind und ins Türkische transkribiert werden müssen (AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Türkei vom 25.10.2007). Ob die Kläger tatsächlich von Strafe bedroht sind, wenn sie den Namen nicht ins Türkische transkribieren, ist vorliegend bereits sehr zweifelhaft. Zwar hat nach einer Meldung der Zeitung Birgün vom 28.11.2007 (vgl. Blatt 31 der Gerichtsakte) das Amtsgericht von Kilis ein Verfahren gegen einen Vertreter der Transportarbeitergewerkschaft eingeleitet, weil er den Buchstaben "w" in seinen Artikeln "Ates ve demir" (Feuer und Eisen) und "Newroz atesi hic sönmesin" (Das Newroz-Feuer sollte nie verblassen) verwendet hatte, die in einer Lokalzeitung zum Newroz-Fest 2007 veröffentlicht wurden. Der Staatsanwalt habe eine Haftstrafe zwischen einem und drei Jahren gefordert. Diesem Fall ist mit den anderen vom Kläger-Bevollmächtigten auf Blatt 47, 48, 55 - 58 aufgeführten Fällen gemein, dass ganz offensichtlich politisch aktive und im Lichte der Öffentlichkeit stehende Politiker und Funktionäre mit Strafverfahren eingeschüchtert werden sollen, weil sie kurdische Positionen vertreten und möglicherweise im Verdacht stehen, separatistische Meinungen zu vertreten. Anders verhält es sich jedoch mit nicht im politischen Rampenlicht stehenden Eltern, die sich lediglich weigern, einen nicht im türkischen Alphabet enthaltenen Buchstaben im Vornamen ihres Kindes zu verändern. Dass die Kläger – sollten sie sich dem in der Türkei tatsächlich verweigert haben, was aber nicht vorgetragen wurde – deswegen ein Strafverfahren zu befürchten haben, ist nach Überzeugung des Gerichts nicht wahrscheinlich (so auch der Hess. VGH in einem gleichgelagerten Fall, Urt. vom 02.11.2005 - 6 UE 3204/02.A -, juris). Mit der Bestimmung, dass die genannten Buchstaben transkribiert werden müssen, sollen in erster Linie Schwierigkeiten verhindert werden, die dadurch entstehen, dass türkische Schreibmaschinen die genannten Buchstaben nicht enthalten und – soweit die Behörden inzwischen mit elektronischen Systemen arbeiten – auch die entsprechende Software die genannten Buchstaben nicht vorsehen dürfte. Zwar mag man eine Diskriminierung der kurdischstämmigen Bevölkerung in der Türkei darin sehen, dass sie ihre Namen nicht so schreiben dürfen, wie sie wollen. Eine asylerhebliche Verfolgung kann das Gericht darin jedoch noch nicht erkennen. Diese Beeinträchtigungen sind nicht von einer solchen Intensität, dass sie sich dem Gericht als ausgrenzende Verfolgung der Kläger oder der kurdischen Volksgruppe insgesamt darstellen. Dabei ist das Maß dieser Intensität nicht abstrakt vorgegeben. Es muss der humanitären Intention entnommen werden, die das Asylrecht trägt, demjenigen Aufnahme und Schutz zu gewähren, der sich in einer für ihn ausweglosen Lage befindet (BVerwG, Urt. vom 26.11.1986 - 3 C 33/83 -, BVerwGE 71, 51 [64]; Urt. vom 10.07.1989 - 4 CN 2/98 -, DVBl. 1990, 101 [102]). Die von den Klägern vorgetragenen Maßnahmen stellen keine Ausgrenzung der Kläger dar, sondern sind Maßnahmen, die die kurdischen Bewohner in der Türkei allgemein betreffen; sie gelten jedoch nicht konkret den Klägern in dem Sinne, dass sie in ihrer Person und wegen konkret in ihrer Person liegenden politischen Gründen verfolgt werden.

Die Beklagte ist auch nicht zu der Feststellung zu verpflichten, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in der Person der Kläger vorliegen.