VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 16.04.2008 - 11 A 3178/06 - asyl.net: M13246
https://www.asyl.net/rsdb/M13246
Leitsatz:

Auch eine objektiv unzutreffende Vaterschaftsanerkennung durch einen deutschen Staatsangehörigen führt zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt gem. § 4 Abs. 1 StAG.

 

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Staatsangehörigkeit, deutsche Staatsangehörigkeit, Feststellung, Feststellungsklage, Nachrangigkeit, Vaterschaftsanerkennung, Scheinvaterschaft, Kinder, Anfechtung
Normen: VwGO § 43 Abs. 1; VwGO § 43 Abs. 2; StAG § 30 Abs. 1; StAG § 4 Abs. 1; BGB § 1592 Nr. 2; BGB § 1600 Abs. 1 Nr. 5; AufenthG § 27 Abs. 1a Nr. 1
Auszüge:

Auch eine objektiv unzutreffende Vaterschaftsanerkennung durch einen deutschen Staatsangehörigen führt zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt gem. § 4 Abs. 1 StAG.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist insgesamt zulässig und begründet.

Der Antrag zu 1.) ist als Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO) zulässig. Die deutsche Staatsangehörigkeit ist ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis, weil von dieser eine Vielzahl rechtlicher Wirkungen abhängen. Die gerichtliche Feststellung der Staatsangehörigkeit bindet alle Stellen, die eine Entscheidung zu treffen haben, bei der diese als Vorfrage von Bedeutung ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1985 - 1 C 12.84 - juris <Rn. 22>; Urteil vom 23. Februar 1993 - 1 C 16.87 - InfAuslR 1993, 274 <275>).

Die Nachrangigkeit der Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) steht hier nicht entgegen. Zwar kann gem. § 30 Abs. 1 StAG in der seit dem 28. August 2007 geltenden Fassung das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit auch durch Verwaltungsakt der Staatsangehörigkeitsbehörde festgestellt werden. Bei zunächst zulässigerweise erhobenen Feststellungsklagen ist aber eine nachträglich eintretende Möglichkeit einer Verpflichtungsklage unschädlich, weil dies anderenfalls zu einer unzumutbaren Erschwerung des Rechtsschutzes führen würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juli 1977 - VI C 96.75 - BVerwGE 54, 177 <179>; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, Rn. 30 zu § 43).

Der Antrag zu 1.) ist auch begründet.

Die Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie hat sie gem. § 4 Abs. 1 StAG durch Geburt erworben, weil ein Elternteil, nämlich ihr Vater Herr N., die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

Wenn bei der Geburt des Kindes nur der Vater deutscher Staatsangehöriger ist und eine Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft erforderlich ist, bedarf es zur Geltendmachung des Erwerbs einer nach deutschen Gesetzen wirksamen Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft bis zu dem Zeitpunkt, in dem das Kind das 23. Lebensjahr vollendet hat (§ 4 Abs. 1 Satz 2 StAG). Diese Voraussetzungen liegen vor. Herr N. hat am 1. August 2005 mit Zustimmung ihrer Mutter die Vaterschaft der Klägerin anerkannt und ist damit gem. § 1592 Nr. 2 BGB Vater der Klägerin. Die übrigen in §§ 1592 ff. BGB aufgeführtenWirksamkeitsvoraussetzungen liegen – wie zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig ist – vor.

Ob die Vaterschaftsanerkennung – was angesichts des von der Mutter der Klägerin in ihrem Asylverfahren angegebenen Einreisezeitpunkts (30. Oktober 2004) zweifelhaft erscheint – inhaltlich richtig ist, d.h. Herr N. auch der biologische Vater der Klägerin ist, ist unerheblich und daher im vorliegenden Verfahren nicht abschließend zu prüfen (vgl. OVG Magdeburg, Beschluss vom 1. Oktober 2004 - 2 M 441/04 - InfAuslR 2006, 56; VGH Kassel, Beschluss vom 5. Juli 2005 - 9 UZ 364/05 - <juris>; OVG Koblenz, Urteil vom 6. März 2008 - 7 A 11276/07 - juris <Rn. 27>, welches allerdings ein Aufenthaltsrecht der Mutter im Hinblick auf § 27 Abs. 1 a AufenthG verneint).

In der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass die Vaterschaftsanerkennungserklärung "nur" (vgl. § 1598 Abs. 1 BGB) aus den in den §§ 1592 ff. BGB ausdrücklich genannten Gründen unwirksam sein kann. Die Einheit der Rechtsordnung spricht dafür, dies im Rahmen öffentlich-rechtlicher Vorschriften nicht abweichend zu beurteilen. Dem Gesetzgeber waren zudem die Missbrauchsmöglichkeiten bei Einbeziehung nichtehelicher Kinder in den § 4 Abs. 1 RuStAG durch das Gesetz vom 30. Juni 1993 (BGBl. I S. 1262) bekannt. Dennoch hat der Gesetzgeber es damals als nicht vertretbar angesehen, im Staatsangehörigkeitsrecht andere Maßstäbe als im Familienrecht anzulegen (vgl. BT-Drs. 12/4450 S. 36).

Die gegenteilige Auffassung (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 3. März 2005 - 13 S 3035/04 - InfAuslR 2005, 258) überzeugt die Kammer nicht. Die insbesondere herangezogene Parallele zur sog. Scheinehe greift nicht, weil im Aufenthaltsrecht gerade nicht die Ehe als solche, sondern die eheliche Lebensgemeinschaft (§ 27 Abs. 1 AufenthG) geschützt ist. Der Staatsangehörigkeitserwerb nach § 4 Abs. 1 StAG ist dagegen lediglich von der Geburt und der Vaterschaftsanerkennung durch einen Deutschen abhängig. Keine Voraussetzung ist, dass eine Lebensgemeinschaft zwischen dem Vater und dem Kind besteht. Der Gesetzgeber hat in § 27 Abs. 1 a Nr. 1 AufenthG im Falle eines lediglich aus aufenthaltsrechtlichen Gründen begründeten Verwandtschaftsverhältnisses nur das Aufenthaltsrecht der Mutter nach § 28 AufenthG ausgeschlossen und dieses auf eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen (§ 25 Abs. 5 AufenthG) bzw. eine Duldung (§ 60 a Abs. 2 AufenthG) beschränkt (vgl. OVG Koblenz a.a.O. <Rn. 39 ff.>).

Durch das Gesetz zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft vom 13. März 2008 (BGBl. I S. 313) wird die Auffassung der Kammer bestätigt. Danach wird zum 1. Juni 2008 (Art. 3) durch die Einfügung eines § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB ein Anfechtungsrecht einer von der Landesregierung durch Rechtsverordnung zu bestimmenden anfechtungsberechtigten Behörde begründet. Dieses behördlichen Anfechtungsrechts hätte es nicht bedurft, wenn bereits nach jetziger Rechtslage inhaltlich unzutreffende Vaterschaftsanerkennungen unbeachtlich wären. Der maßgeblichen Gesetzesbegründung lässt sich dementsprechend entnehmen, dass die behördliche Anfechtungsbefugnis gerade deshalb geschaffen wurde, weil auch bewusst wahrheitswidrige Vaterschaftsanerkennungen als wirksam gelten und daher staatsangehörigkeits- und aufenthaltsrechtliche Folgen haben (vgl. BT-Drs. 16/3291, S. 9 ff.).