VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Beschluss vom 08.05.2008 - 4 B 34/08 - asyl.net: M13214
https://www.asyl.net/rsdb/M13214
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, Bleiberechtsregelung 1990, Erlasslage, Lebensunterhalt, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, atypischer Ausnahmefall, Vertrauensschutz
Normen: AufenthG § 23 Abs. 1; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1; VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gem. § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ist: zulässig und begründet.

Die Antragstellerin hat nach gegenwärtigem Sachstand voraussichtlich einen Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG.

Gem. § 8 AufenthG finden auf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis dieselben Vorschriften Anwendung wie auf die Erteilung. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG ist zu erteilen, wenn die oberste Landesbehörde dies zugunsten von Ausländern aus bestimmten Staaten u.a. aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen anordnet. Die Antragstellerin erhielt erstmals aufgrund der sog. Bleiberechtsregelung des Nds. Innenministeriums vom 18.10.1990 einen Aufenthaltstitel, der aufgrund des Erlasses des Nds. Innenministeriums vom 16.8.2001 auch nach Außerkrafttreten der Bleiberechtsregelung zum Ende des Jahres 1990 zunächst als Aufenthaltsbefugnis und nach Inkrafttreten des AufenthG als Aufenthaltserlaubnis i. S. d. § 23 Abs. 1 AufenthG verlängert wurde. Mit Erlass des Nds. Innenministeriums vom 31.3.2005 ist die Regelung vom 16.8.2001 zwar aufgehoben worden, jedoch erfolgte die Aufhebung lediglich im Hinblick auf den Erlass der vorläufigen nds. Verwaltungsvorschriften zum AufenthG (VV-AufenthG), in welche die aufgehobenen Erlasse - zum Teil inhaltlich verändert - eingearbeitet worden waren (vgl. Erlass vom 31.3.2005, S. 2, 2. Abs.). Nach Nr. 8.1.1 der VV-AufenthG sind die Bleiberechtsregelungen nach dem AuslG 1965, dem AuslG 1990 und dem AufenthG auch nach ihrem Außerkrafttreten als besondere, gegenüber § 8 AufenthG vorrangige Verlängerungsvorschriften anzuwenden. Aufgrund der Bleiberechtsregelung vom 18.10.1990 erteilte Aufenthaltstitel sind danach weiterhin als Aufenthaltserlaubnisse i. S. d. § 23 Abs. 1 AufenthG (vgl. § 101 Abs. 2 AufenthG, Nr. 101.2.0 VV-AufenthG) zu verlängern. Nr. 8.1.1 VV-AufenthG trägt damit dem Umstand Rechnung, dass jedenfalls die Bleiberechtsregelung vom 18.10.1990 einen dauerhaften Aufenthalt des betreffenden Personenkreises ermöglichen sollte (vgl. Ziffer 1 des Erlasses).

Die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts der Antragstellerin - die hier als allgemeine Erteilungsvoraussetzung allein streitig ist - steht der Verlängerung des Aufenthaltstitels voraussichtlich nicht entgegen. Zwar gilt § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG als Regelvoraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 8 AufenthG auch für deren Verlängerung. Bei summarischer Prüfung spricht jedoch Überwiegendes dafür, dass die Antragsgegnerin aufgrund der Bleiberechtsregelung vom 18.10.1990 i.V.m. Nr. 8.1.1 VV-AufenthG gehalten ist, von dieser für den Regelfall zu beachtenden Voraussetzung ausnahmsweise abzusehen. Denn die Bleiberechtsregelung von 1990 schrieb für den betreffenden Personenkreis die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch bei Inanspruchnahme von Sozialhilfe vor. Eine Einschränkung dahingehend, dass für die Verlängerung des Aufenthaltstitels nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums die eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts vorausgesetzt wird, enthält der Erlass nicht. Dementsprechend hat die Antragsgegnerin bis zum Jahre 2007 von der selbständigen Sicherung des Lebensunterhalts abgesehen.

Unabhängig davon lassen es die besonderen Umstände im vorliegenden Fall bei summarischer Prüfung gerechtfertigt erscheinen, von dem Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abzuweichen. Zwar begründen das Alter der Antragstellerin von nunmehr 67 Jahren und evtl. Erkrankungen allein keinen Ausnahmetatbestand (vgl. Beschluss der Kammer vom 26.2.2008 - 4 B 165/07 -; Nds. OVG, Beschluss vom 29.4.2008 - 10 ME 70/08 -). Ihr ist jedoch seit 1988 und damit nahezu 20 Jahre lang der Aufenthalt ermöglicht worden, ohne dass sie auf die Notwendigkeit einer eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts hingewiesen worden ist, obgleich sie in ihren Anträgen stets angegeben hat, Sozialleistungen zu beziehen. Den hierdurch von ihr selbst (wenn auch aufgrund der bestehenden Erlasslage) geschaffenen Vertrauenstatbestand kann die Antragsgegnerin jedenfalls nicht kurzfristig und nur unter Beachtung der gegenwärtig der Antragstellerin zur Verfügung stehenden Möglichkeiten einer eigenständigen Unterhaltssicherung beseitigen.