VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 25.04.2008 - 26 K 4326/07.A - asyl.net: M13200
https://www.asyl.net/rsdb/M13200
Leitsatz:

Keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung in der Türkei.

 

Schlagwörter: Türkei, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit, Reformen, politische Entwicklung, Lageberichte, Auswärtiges Amt
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung in der Türkei.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage ist begründet.

Nach der gemäß § 77 Abs. 1 S. 1, 2. Hs. AsylVfG für die Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt dieser Entscheidung sind die durch § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG vorgegebenen Voraussetzungen für einen Widerruf der Feststellung des Bestehens der Voraussetzungen des §51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 1 AufenthG) nicht gegeben. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Abschiebungsverbotes sind nicht entfallen, sondern liegen vielmehr auch gegenwärtig noch vor.

Der Kläger ist ausweislich des Anerkennungsbescheides des Bundesamtes vom 11. März 1999 auf Grund unmittelbar drohender politischer Verfolgung aus der Türkei ausgereist. Dem Kläger darf die Rechtsstellung als Konventionsflüchtling nicht entzogen werden, wenn er bei einer Rückkehr in sein Heimatland vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann (sog. herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab). Letzteres ist hier der Fall. Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass sich die Gefährdung des Klägers bei Rückkehr in die Türkei in maßgeblicher Weise verringert hätte. Die türkische Reformpolitik hat bislang nicht dazu geführt, dass es asylrelevante staatliche Übergriffe in der Türkei nicht mehr gibt. Vielmehr kommt es nach derzeitiger Erkenntnislage weiterhin zu solchen Übergriffen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 25. Oktober 2007, S. 28 - 31: "Das Auswärtige Amt sieht eine der Hauptursachen für das Fortbestehen von Folter und Misshandlung in der nicht effizienten Strafverfolgung."), weshalb auch gegenwärtig vorverfolgt ausgereiste Flüchtlinge vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sind (vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. April 2005 - 8 A 273/04.A -, UA, S. 21 ff.; Beschluss vom 1. Dezember 2005 - 8 A 4037/05.A -; Urteil vom 19. Dezember 2005 - 8 A 4008/04A -; Urteil vom 27. März 2007 - 8 A 4728105.A S. 21 ff des Originals, in juris, jeweils m.w.N.).

Das Gericht teilt diese Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, welches in den vorstehend genannten Entscheidungen die türkische Reformpolitik der jüngeren Vergangenheit eingehend unter Berücksichtigung der Erkenntnislage gewürdigt und umfassend dargelegt hat, dass eine veränderte Gefährdungsprognose derzeit nicht erkennbar sei, und macht sich dessen Begründungen zu eigen.

Erkenntnisse, die zu, einer erneuten Überprüfung dieser Rechtsprechung Anlass geben, sind weder von der Beklagten dargetan noch ersichtlich. Im Gegenteil zeigen die jüngsten Ereignisse in der Türkei - Gefechte der PKK nahe der Grenze zum Nordirak -, dass die Kurden keinesfalls sicher in der Türkei sind.

Ergänzend sei angemerkt: Dass der im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19. Mai 2004 abgegebenen Prognose, auch zurückkehrende vorverfolgte Asylbewerber würden in der Türkei nicht gefoltert (S. 36 f.), nicht der Maßstab der hinreichenden Verfolgungssicherheit zugrunde lag, belegen ausdrücklich die Ausführungen im nachfolgenden Lagebericht vom 3. Mai 2005. Hier heißt es, dass angesichts der deutlich zurückgehenden Zahl von Folter- und Misshandlungsfällen an die Beurteilung der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung bei Rückkehr in die Türkei ein besonders strenger Prüfungsmaßstab angelegt werden solle. (S. 29). In den neuesten Lageberichten vom 11. November 2005 und 11. Januar 2007 wird nur noch im Rahmen der Behandlung von Rückkehrfragen eine Prognose zur Misshandlungsgefahr abgegeben. Ausgehend von den bekannten und bereits durch das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen gewürdigten Erkenntnissen, dass in den vergangenen Jahren kein einziger Fall bekannt geworden sei, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde, wird darauf geschlossen, dass "bei abgeschobenen Personen die Gefahr einer Misshandlung bei Rückkehr in die Türkei nur aufgrund (von) vor Ausreise nach Deutschland zurückliegender wirklicher oder vermeintlicher Straftaten auch angesichts der durchgeführten Reformen und der Erfahrungen der letzten Jahre in diesem Bereich äußerst unwahrscheinlich ist" (S. 37/S. 47). Soweit damit die Gefährdungsprognose für vorverfolgte Personen weiter eingeschränkt werden soll, ist nicht ersichtlich, welche neueren, über die aus den vorangehenden Lageberichten bekannten Erkenntnisse dem zugrunde liegen sollen. Darüber hinaus ist die Schlussfolgerung nicht nachvollziehbar. Die Situation abgelehnter Asylbewerber ist nicht vergleichbar mit der Situation vorverfolgt ausgereister Flüchtlinge. Dass abgelehnte Asylbewerber, die ein eigenes Verfolgungsschicksal gerade nicht glaubhaft gemacht haben, erfahrungsgemäß bei Rückkehr in die Türkei keinen Misshandlungen ausgesetzt sind, ist nur folgerichtig und bestätigt die Asylrechtsprechung hierzu. Hieraus können jedoch nicht ohne Weiteres Schlüsse für die Personen gezogen werden, für die sich der türkische Staat (überhaupt nur) interessiert und deren er habhaft werden will.