VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Beschluss vom 20.02.2008 - 9 B 434/07 MD - asyl.net: M13181
https://www.asyl.net/rsdb/M13181
Leitsatz:

Trotz § 34 a Abs. 2 AsylVfG ist eine Überstellung nach der Dublin II-Verordnung vorläufig zu stoppen, wenn humanitäre oder persönliche Gründe, die zur Erteilung einer Duldung nach § 60 a Abs. 2 AufenthG führen können, vorliegen (hier: Schutz der familiären Lebensgemeinschaft).

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Drittstaatenregelung, Verordnung Dublin II, Überstellung, Abschiebungsanordnung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, atypischer Ausnahmefall, Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Schutz von Ehe und Familie, Eltern-Kind-Verhältnis, Dublin II-VO, Dublinverfahren,
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AsylVfG § 27a; AsylVfG § 34a Abs. 2; AufenthG § 60a Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

Trotz § 34 a Abs. 2 AsylVfG ist eine Überstellung nach der Dublin II-Verordnung vorläufig zu stoppen, wenn humanitäre oder persönliche Gründe, die zur Erteilung einer Duldung nach § 60 a Abs. 2 AufenthG führen können, vorliegen (hier: Schutz der familiären Lebensgemeinschaft).

(Leitsatz der Redaktion)

Der Antrag, den Vollzug der Abschiebungsanordnung auszusetzen, ist nicht gem. § 34 a Abs. 2 AsylVfG ausgeschlossen. § 34 a Abs. 2 AsylVfG ist dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass die Norm entgegen ihrem Wortlaut die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Zusammenhang mit geplanten Abschiebungen in den sicheren Drittstaat nicht generell verbietet, sondern in Ausnahmefällen vorläufiger Rechtsschutz nach §§ 80, 123 VwGO möglich bleibt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B. v. 14.05.1996, 2 BvR 193/93, 2 BvR 2315/39, zitiert nach juris (Rn. 189)) muss die Bundesrepublik Deutschland dann Schutz gewähren, wenn Abschiebungshindernisse nach § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt § 60 AufenthG) oder § 53 AuslG (jetzt § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG) durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassungs oder Gesetzes wegen berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich heraus gesetzt sind. Zu solchen Gründen gehören nach Auffassung des Gerichts auch humanitäre und persönliche Gründe, die zur Erteilung einer Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG führen können (vgl, auch: VG Hamburg, B. v. 07.04.2005, 17 AE 91/05, zitiert nach juris, VG Gießen, U. v. 22,08.2003, 2 E 2152/03.A, zitiert nach juris, so wohl auch angedacht in Bundesverfassungsgericht, B. v. 22.12.1993, 2 BvQ 68/93, zitiert nach juris und BVerfG, a.a.O., Rn. 180). Denn die normative Vergewisserung bezieht sich darauf, dass der Drittstaat einem Betroffenen, der sein Gebiet als Flüchtling erreicht hat, den nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gebotenen Schutz vor politischer Verfolgung und anderen ihn im Herkunftsstaat drohenden schwerwiegenden Beeinträchtigungen seines Lebens, seiner Gesundheit oder seiner Freiheit gewährt (vgl. BVerfG, U, v. 14.05.1996, 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/95, zitiert nach juris Rn. 181).

Die Erteilung einer Duldung erscheint notwendig, um wesentliche Nachteile von dem Antragsteller abzuwenden (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Der Antragsteller hat einen entsprechenden Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO), ohne dass das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache dem Erlass dieser Anordnung entgegensteht, Nach § 60 a Abs. 2 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers so lange auszusetzen, wie die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.

Vorliegend ist die Abschiebung aus rechtlichen Gründen unmöglich. Der Antragsteller hat aus Art. 6 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung, weil seine persönlichen Beziehungen zu seinen zwei in Deutschland befindlichen Kindern derart den Schutz der Familie begründen, dass ein Verbleiben des Antragstellers im Bundesgebiet erforderlich ist. Der Antragsteller ist unmittelbar nach der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland in Kontakt mit seinen hier befindlichen Kindern getreten und hat vorgetragen, er trage für diese die Sorge. Es ist daher für das Eilverfahren davon auszugehen, dass er mit diesen Kindern eine Beistandsgemeinschaft bildet und auch davon, dass er der leibliche Vater dieser Kinder ist. Der Antragsteller kann auch nicht darauf verwiesen werden, dass er mit seinen Kindern eine Gemeinschaft in Syrien führen könne, denn jedenfalls die Kinder des Antragstellers sind Staatenlose aus Syrien, was eine Wiedereinreise nach Syrien erheblich erschwert, wenn nicht unmöglich macht. Auch befindet sich die Mutter der Kinder ... und ... nicht in der Bundesrepublik Deutschland, so dass auch eine nur vorübergehende Trennung vom Vater nicht weiter zumutbar ist. Dem kann nicht entgegengehalten werden, der Vater habe die Trennung von seinen Kindern selbst verursacht, da er nicht gemeinsam mit diesen ausgereist sei. Jedenfalls im Rahmen des Eilverfahrens ist davon auszugehen, dass der Antragsteller es nicht gewählt hat, ohne seine Kinder auszureisen, sondern dies den Umständen und Vorfällen im Heimatland geschuldet war. Es ist schließlich auch derzeit nicht ersichtlich, ob es möglich sein sollte, die Kinder gemeinsam mit dem Antragsteller nach Österreich abzuschieben.