VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 23.08.2007 - 7 K 2740/06 - asyl.net: M13162
https://www.asyl.net/rsdb/M13162
Leitsatz:

Zum Schutz des Privatlebens nach Art. 8 EMRK.

 

Schlagwörter: D (A), Iraker, Aufenthaltserlaubnis, Ausreisehindernis, freiwillige Ausreise, Privatleben, EMRK, Integration, Erwerbstätigkeit, Aufenthaltsdauer, Situation bei Rückkehr, Irak, Ermessensreduzierung auf Null
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5; EMRK Art. 8; AsylVfG § 42 S. 1
Auszüge:

Zum Schutz des Privatlebens nach Art. 8 EMRK.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig und auch begründet.

Der Kläger hat nach der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Rechtslage, d.h. ohne die zum 28.08.2007 in Kraft getretene Änderung des Aufenthaltsgesetzes, einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK.

Da das Bundesamt im Fall des Klägers bestandskräftig, d.h. mit nach wie vor bindender Wirkung entschieden hat, dass keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG (jetzt § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG) vorliegen, ist die Ausländerbehörde gemäß § 42 AsylVfG daran gebunden und auch im vorliegenden Zusammenhang davon auszugehen, dass derartige zielstaatsbezogene Gefahren nicht vorliegen und damit einer freiwilligen Ausreise des Klägers nicht entgegenstehen (vgl. BverwG, Urteil vom 27.06.2006 - 1 C 14.05 -).

Die Ausreise des Klägers ist jedoch hier unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK rechtlich unmöglich. Dabei ist das Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK weit zu verstehen und umfasst seinem Schutzbereich nach unter anderem das Recht auf Entwicklung der Person und das Recht darauf, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt anzuknüpfen und zu entwickeln, und damit auch die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts gewachsenen Bindungen. Die Vorschrift des Art. 8 Abs. 1 EMRK darf allerdings nicht so ausgelegt werden, als verbiete sie allgemein die Abschiebung eines fremden Staatsangehörigen nur deswegen, weil er sich eine bestimmte Zeit im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates aufgehalten hat. Entscheidend ist vielmehr, ob der Betroffene im Aufenthaltsstaat über intensive persönliche und familiäre Bindungen verfügt, er also unter Berücksichtigung seines Lebensalters und seiner persönlichen Befähigung in das hiesige wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben aufgrund seiner deutschen Sprachkenntnisse, sozialen Kontakte, Wohn-, Wirtschafts- sowie Berufs- und Schulverhältnisse faktisch integriert ist. Weiter kann bedeutsam sei, welche Beziehungen er zu dem Land noch hat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, namentlich, ob er dort in einer Weise "entwurzelt" ist, dass eine Reintegration nicht zumutbar erscheint. Dafür ist von Gewicht, ob und wie lange der Ausländer dort gelebt hat und ob er die dortige Sprache kennt, mit den Verhältnissen des Landes (noch) vertraut ist und dort ggf. noch aufnahmebereite Verwandte wohnen (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 01.08.2006 - 18 B 1539/06 -, vom 27.03.2006 - 18 B 787/05 - und vom 07.02.2006 - 18 E 1534/05 - (Juris), jeweils mit weiteren Nachweisen).

Gemessen an diesen Grundsätzen, die das erkennende Gericht in ständiger Rechtsprechung anlegt, ist die Ausreise des Klägers hier rechtlich unmöglich. Dies ist zum einen damit zu begründen, dass der Kläger bereits im Oktober 2001 und somit vor ca. sechs Jahren in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist und er sich somit bereits über einen längeren Zeitraum hier aufhält. Auch wenn dies allein für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht ausreicht, spricht zugunsten des Klägers zum anderen insbesondere auch, dass er bereits seit Juli 2003 durch die Ausübung einer genehmigten Beschäftigung nicht mehr auf öffentliche Leistungen angewiesen ist, so dass insoweit eine faktische Integration in die deutschen Wirtschaft- und Berufsverhältnisse gegeben ist. Des Weiteren zeigte sich in der mündlichen Verhandlung, dass der Kläger jedenfalls über ausreichende deutsche Sprachkenntnisse verfügt, die es ihm ermöglichen ein im Wesentlichen durch seine Berufstätigkeit bestimmtes Leben in Deutschland zu führen. Weitere Integrationsleistungen über diese Umstände hinaus dürften von einem Ausländer in der Situation des Klägers wohl nicht zu erwarten sein.

Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger noch über hinreichend tragfähige Bindungen in seinen Heimatstaat verfügt. Ebenso wenig ist im Augenblick festzustellen, dass es dem Kläger gelingen könnte, im Irak wieder eine Tätigkeit zu finden, mit der er seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Dies gilt insbesondere umso mehr, weil er nach seinen Angaben früher einmal bei der Polizei beschäftigt war, von 1988 bis zur Ausreise jedoch beim irakischen Geheimdienst. Dies dürfte eher dafür sprechen, dass der Kläger unter den gegenwärtigen innenpolitischen Verhältnissen im Irak Schwierigkeiten haben dürfte, eine den Lebensunterhalt sichernde Erwerbstätigkeit zu finden.

Sonstige Umstände, die auf eine fortdauernde Verwurzelung des Klägers in seiner Heimat hindeuten könnten, sind hier nicht zu erkennen, so dass von daher die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG erfüllt sind.

Des Weiteren zeigt sich, dass das der Beklagten als Ausländerbehörde gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG eingeräumte Ermessen hier auf Null reduziert ist. Nach dem oben Gesagten liegen alle tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vor, ebenso ist der Kläger - wieder - im Besitz eines gültigen Reisepasses, so dass auch diese allgemeine Erteilungsvoraussetzung gemäß §§ 5, 3 AufenthG erfüllt ist. Gründe, die hier gegen eine Ermessensreduzierung auf Null sprechen könnten, sind aus Sicht des Gerichts hier nicht zu erkennen, so dass die Beklagte zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zu verpflichten war.