VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 19.09.2007 - VG 23 X 2.07 - asyl.net: M13152
https://www.asyl.net/rsdb/M13152
Leitsatz:

Keine beachtliche Verfolgungsgefahr im Iran für Homosexuelle.

 

Schlagwörter: Iran, Glaubwürdigkeit, Fälschung, Homosexuelle, Frauen, Flüchtlingsfrauen, Strafrecht, Strafverfahren, Todesstrafe, Schikanen, Medienberichterstattung, Überwachung im Aufnahmeland, Demonstrationen, Lesben- und Schwulenverband, Auslandsaufenthalt, Antragstellung als Asylgrund
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Keine beachtliche Verfolgungsgefahr im Iran für Homosexuelle.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat weder Anspruch auf Gewährung politischen Asyls noch kommen Feststellungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG in Betracht.

Die Kammer ist davon überzeugt, dass sich die von der Klägerin als fluchtauslösend geschilderten Ereignisse im Iran nicht zugetragen haben.

Die Klägerin hat bereits unglaubhafte und ungereimte Angaben zu ihren persönlichen Verhältnissen gemacht.

Zweifel hat die Kammer auch, dass die Klägerin tatsächlich - wie sie behauptet - eine mehrjährige intime Beziehung zu einer Freundin in Teheran unterhalten hat. Denn in einem solchen Fall ist nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin nach eigenen Angaben nach ihrer Flucht aus dem Iran keine Erkenntnisse über den Verbleib ihrer Freundin hat bzw. keine intensiven Versuche unternommen hat, sich über das weitere Schicksal ihrer Partnerin Informationen zu beschaffen, obwohl diese angeblich zusammen mit ihr verhaftet worden sein soll und die Klägerin daher hätte befürchten müssen, dass die Freundin ähnlichen Sanktionen wie sie sie für ihre Person behauptet, ausgesetzt gewesen ist. Das mangelnde Interesse am weiteren Lebensgang dieser Freundin lässt darauf schließen, dass es die intensive intime Beziehung zwischen den beiden Frauen nicht gegeben hat. Alles andere wäre lebensfremd.

Da der Klägerin eine lesbische Beziehung zu der genannten Freundin nicht abgenommen werden kann, ist dem Asylvorbringen im Kernbereich, das heißt der Verhaftung am 14. November 2005 in flagranti mit der Freundin im Bett, bereits die Grundlage entzogen. Im Übrigen ist die Schilderung der Klägerin, sie sei in der Wohnung der Freundin festgenommen worden, weil sie während der Geburtstagsfeier der Freundin, bei der die Sicherheitskräfte wohl wegen des Lärms eingeschritten seien, mit dieser nackt im Bett angetroffen worden sei, lebensfremd. Das Risiko, von den anderen Partyteilnehmern, die - bis auf eine Person - von der homosexuellen Beziehung nichts gewusst haben sollen, überrascht zu werden, wäre ein vernünftiger Mensch nicht eingegangen, zumal die Klägerin und ihre Partnerin, die allein gelebt haben soll, ihre Beziehung zu jeder Zeit innerhalb der Wohnung gefahrlos hätten leben können.

Gegen den Wahrheitsgehalt des Asylvorbringens der Klägerin spricht überdies die Einreichung zweier Vorladungen und eines Urteils, die zur Überzeugung der Kammer gefälscht sind. Das Auswärtige Amt hat in seiner Auskunft vom 20. Oktober 2006 ausgeführt, dass die genannten Dokumente nicht authentisch sind und hierfür mehrere Gründe angeführt. Das Druckpapier der drei Dokumente finde innerhalb der iranischen Justiz keine Verwendung und das auf allen Dokumenten aufgebrachte Dienstsiegel werde seit mehreren Jahren nicht mehr benutzt, das genannte Aktenzeichen entspreche nicht der Systematik der Justizbehörden. Vorladungen würden dem Betroffenen nicht im Original ausgehändigt. Vorladungen und Urteile würden nicht von den gleichen Personen unterzeichnet. Das Revisionsgericht sei zur Aburteilung der bezeichneten Straftatbestände nicht zuständig. Das Urteil entspreche weder inhaltlich noch im äußeren Erscheinungsbild den Gepflogenheiten der iranischen Justiz.

Nach alledem steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin nicht aufgrund einer Verfolgung einer lesbischen Beziehung aus dem Iran ausgereist ist.

Der Klägerin drohen auch nicht wegen der geltend gemachten irreversiblen Homosexualität bei Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Repressalien.

Der Kammer liegen keine speziellen Erkenntnisse über Bestrafungen von Frauen wegen Homosexualität im Iran vor. Auch die Klägerin selbst bezieht sich allein auf Informationen zur Homosexualität von Männern. Insoweit wird im Iran zwar nicht die homosexuelle Neigung von Männern als solche, wohl aber die Vornahme homosexueller Handlungen bestraft (Art. 108 bis 126 StGB [Iran], vgl. hierzu Lagebericht des Auswärtigen Amtes zum Iran vom 21. September 2006, S. 23 f. und UNHCR, Stellungnahme zur Verfolgungssituation Homosexueller in der Islamischen Republik Iran vom Januar 2002). Art. 110 StGB (Iran) sieht dabei als Regelstrafe die Todesstrafe vor. Geringere Strafen sind vorgesehen für Minderjährige, bestimmte sexuelle Handlungen und für den Fall, dass die vollen Beweisanforderungen für die Todesstrafe nicht erbracht werden können. Gemäß Art. 114 bis 126 des iranischen StGB gelten homosexuelle Handlungen als bewiesen, wenn entweder ein viermaliges Geständnis vor dem Richter abgelegt wird, Zeugenaussagen von vier unbescholtenen Männern vorliegen oder durch Heranziehen des eigenen Richterwissens.

Jedoch besteht ein großer Unterschied zwischen der geschriebenen Rechtslage mit drakonischen Strafdrohungen und der praktischen Rechtswirklichkeit (vgl. Gutachten des Deutschen Orient-Instituts vom 15. April 2004 an das Verwaltungsgericht Köln). Verurteilungen nach den einschlägigen Strafvorschriften erfolgen selten. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 16. Juni 1999 an das Verwaltungsgericht München sind Urteile in den letzten Jahren sehr selten bekannt geworden. Wegen der beträchtlichen Beweislast sei es in der Praxis kaum möglich, eine Verurteilung wegen Begehens homosexueller Handlungen zu erreichen, zumal bei unzureichenden Beweisen die Anzeigenden wegen Verleumdung verurteilt werden können. Auch wenn das Auswärtige Amt sich in seinem Lagebericht vom 21. September 2006 zurückhaltender dahingehend äußert, es sei keine eindeutige Aussage darüber möglich, in welchem Umfang und mit welcher Intensität strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen wegen Homosexualität tatsächlich betrieben werden, ist dem Auswärtigen Amt ausweislich dieses Lageberichts aus jüngerer Zeit kein einziger Fall bekannt, in dem es allein aufgrund der fraglichen Strafvorschriften zu einer Verurteilung gekommen ist (Lagebericht a.a.O., S. 24).

Dies findet seine Entsprechung in der Auskunft von amnesty international vom 5. Juli 2000 an das Verwaltungsgericht München, wonach schon damals zwar die Todesstrafe für Homosexualität (gemeint: wegen Geschlechtsverkehrs unter Männern) im Iran nach wie vor vollstreckt werde. Da die Beweisanforderungen aber sehr hoch seien, dürfte es nur selten zu einer Verurteilung kommen. Es lägen nur wenige Berichte aus jüngerer Zeit über Hinrichtungen aus diesem Grund vor. Benannt werden drei Fälle innerhalb eines Zeitraumes von sieben Jahren.

Ebenso stellt der UNHCR in seiner Stellungnahme zur Verfolgungssituation Homosexueller in der Islamischen Republik Iran vom Januar 2002 fest, dass die letzte bekannt gewordene Hinrichtung - durch Steinigung - wegen wiederholter homosexueller Handlungen und Ehebruch im Jahre 1995 stattgefunden habe; jedoch berichteten lokale Zeitungen immer wieder von Hinrichtungen Homosexueller. Im Hinblick auf die Vielzahl von Hinrichtungen und Auspeitschungen im Iran sei nicht auszuschließen, dass Personen aufgrund ihrer Homosexualität getötet oder mit Peitschenhieben bestraft würden, es sei nicht mit erforderlicher Sicherheit festzustellen, dass die homosexuelle Handlungen betreffenden Strafvorschriften nur theoretische Bedeutung hätten. Aufgrund einer fehlenden systematischen Beobachtung der Menschenrechtssituation im Iran könne allerdings nicht bestätigt werden, ob die betroffenen Personen allein aufgrund homosexueller Handlungen verurteilt und hingerichtet worden seien oder ob zusätzliche Anklagen erhoben worden seien. Es komme vor, dass Homosexualität als eine von mehreren Anschuldigungen vorgebracht werde.

Auf gleicher Linie liegt die Feststellung im Gutachten des Deutschen Orient-Instituts vom 15. April 2004 an das Verwaltungsgericht Köln, wonach es keine Informationen über Verurteilungen von Homosexuellen wegen homosexueller Handlungen in den letzten drei Jahren gegeben habe; soweit von Verurteilungen berichtet werde, handele es sich um Anklagen wegen anderer, gravierender Verbrechen, wie Vergewaltigung, Mord oder Prostitution; in diesen - wenigen - Fällen scheine also die Homosexualität nicht im Vordergrund zu stehen (ähnlich auch die Mitteilungen des Rates der Europäischen Union vom 20. Juli 1998 und vom 8. Februar 2002, jeweils unter Bezugnahme u.a. auf entsprechende Erkenntnisse des UNHCR).

Nach dem Gutachten des Deutschen Orient-Instituts vom 6. November 2006 an das Verwaltungsgericht Augsburg ist Homosexualität im Iran durchaus verbreitet, müsse aber im Geheimen und im Stillen gelebt werden und dürfe nicht an die Öffentlichkeit gebracht werden.

Hieraus folgt, dass die Verfolgung eines irreversibel homosexuellen Mannes, auch wenn er sich schon im Iran in unauffälliger Weise betätigt hatte, im Falle seiner Rückkehr in den Iran nicht beachtlich wahrscheinlich ist (vgl. OVG Bautzen, Urteil vom 20. Oktober 2004 - A 2 B 273/04 - [juris], VGH München, Beschluss vom 7. August 2003 - 14 ZB 03.30924 - [juris], VG Trier, Urt. vom 13. Juli 2006 - 6 K 51/06.TR [juris], VG Düsseldorf, Urteil vom 5. September 2005 - 5 K 6084/04.A - [juris], VG Arnsberg, Urteil vom 22. Juli 2005 - 12 K 1706/04.A [juris], VG Darmstadt, Urteil vom 21. Januar 2005 - 5 E 2471/02.A (3) [juris], VG Ansbach, Urteil vom 19. Januar 2004 - AN 3 K 03.30222 - [juris], VG Aachen, Urteil vom 26. Februar 2007 - 5 K 2455/05.A -, VG Berlin, Urteil vom 1. Juni 2007 - VG 38 X 263.06 -; a.A. wohl VG Frankfurt/Oder, Urteil vom 27. Januar 2005 - 4 K 652/01.A).

Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, die Gefährdungslage im Falle weiblicher Homosexualität sei höher einzuschätzen. Im Gegenteil legen die Strafvorschriften der Artikel 129 ff. Iranisches StGB mit ihrer im Vergleich zur männlichen Homosexualität geringeren Bestrafung nahe, dass Frauen einem weniger hohen Gefährdungsrisiko ausgesetzt sind, zumal diese Beziehungen gesellschaftlich weniger geächtet als verpönt sind. Auch der Umstand, dass Verurteilungen von Frauen nicht bekannt geworden sind, spricht gegen die Annahme, Frauen könnten wegen ihrer Homosexualität eher behördlichen Maßnahmen ausgesetzt sein als Männer.

Ein erhöhtes Gefährdungsrisiko ist im Falle der Klägerin auch nicht im Hinblick auf die vielfältige Berichterstattung in den Medien anzunehmen, die im Vorfeld der mündlichen Verhandlung sowohl in Deutschland als auch in anderen europäischen Ländern über das - vermeintliche - Schicksal der Klägerin stattgefunden hat, und der zu ihren Gunsten in Berlin am 6. September 2007 vor dem Amtssitz des Berliner Innensenators durchgeführten Demonstration des Lesben- und Schwulenverbandes. Zwar ist davon auszugehen, dass die iranischen Stellen aufmerksam die Aktivitäten der Exil-Iraner beobachten, insbesondere im Hinblick auf oppositionelle politische Tätigkeiten (vgl, insoweit Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Trier vom 8. Februar 2000) und insoweit auch die Berichterstattung in den Medien verfolgen. Vorliegend fehlen jedoch schon hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass iranische Stellen die Berichterstattung mit der Person der Klägerin in Verbindung bringen, da der richtige Name der Klägerin zu keiner Zeit erwähnt, sondern ein Pseudonym gewählt wurde.

Aus dem längeren Aufenthalt und der Durchführung eines Asylverfahrens in Deutschland erwächst für die Klägerin ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer politischen Verfolgung oder die Gefahr von Übergriffen. Den iranischen Stellen ist bekannt und bewusst, dass die Durchführung eines Asylverfahrens häufig die einzige Möglichkeit ist, sich für längere Zeit in Deutschland aufzuhalten. Es kommt vor, dass Rückkehrer am Flughafen festgehalten und nach ihrem Aufenthalt befragt werden. Weitergehende Maßnahmen sind jedoch nicht bekannt geworden (Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 29. August 2005 und 22. Dezember 2004; die allgemeine Gefährdung von Rückkehrern verneinend auch: OVG Berlin, Beschluss vom 9. September 1997 - 3 N 8.96 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Mai 1997 - A 12 S 1467.95 -; OVG Münster, Urteil vom 16. April 1999 - 9 AA 5338.98 A -; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 30. Januar 1998 - 2 L 1.95 -; OVG Lüneburg, Urteil vom 26. Oktober 1999 - 5 L 3180.99 -; OVG Bremen, Urteil vom 1. Dezember 1999 - 2 A 5908.98 A -).