VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 26.02.2008 - AN 9 K 07.30470 - asyl.net: M13067
https://www.asyl.net/rsdb/M13067
Leitsatz:

Gefahren wegen HIV-Infektion sind in Uganda eine allgemeine Gefahr i. S. v. § 60 Abs. 7 AufenthG; kein sicherer Zugang zu kostenloser Behandlung; eine schriftliche Belehrung nach § 10 Abs. 7 AsylVfG ist bei Analphabeten unzulässig; keine Belehrung in englischer Sprache, wenn der Antragsteller "Pidgin-Englisch" spricht.

 

Schlagwörter: Uganda, Ablehnungsbescheid, Zustellung, Zustellungsfiktion, Belehrung, Analphabeten, Sprachkenntnisse, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, HIV/Aids, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit
Normen: AsylVfG § 10 Abs. 2; AsylVfG § 10 Abs. 7; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Gefahren wegen HIV-Infektion sind in Uganda eine allgemeine Gefahr i. S. v. § 60 Abs. 7 AufenthG; kein sicherer Zugang zu kostenloser Behandlung; eine schriftliche Belehrung nach § 10 Abs. 7 AsylVfG ist bei Analphabeten unzulässig; keine Belehrung in englischer Sprache, wenn der Antragsteller "Pidgin-Englisch" spricht.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig, denn sie ist innerhalb der zweiwöchigen Klagefrist des § 74 Abs. 1 AsylVfG erhoben worden, denn der Klägerin wurde der Bescheid des Bundesamtes vom 8. Mai 2006 erst mit der Abholung am 31. Mai 2006 (S. 88 d.A.) wirksam bekannt gegeben (§ 41 VwVfG), so dass die Erhebung der Klage bei Gericht am 4. Juni 2006 noch rechtzeitig war. Die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG muss die Klägerin nicht gegen sich gelten lassen, weil sie nicht ordnungsgemäß nach § 10 Abs. 7 AsylVfG belehrt worden ist. Dies aus zwei Gründen. Zum einen kann die Klägerin eigenen, unbestrittenen Angaben zu folge nicht lesen, so dass sie nach § 10 Abs. 7 AsylVfG, wonach sie schriftlich zu belehren ist, gar nicht ordnungsgemäß belehrt werden konnte, denn eine schriftliche Belehrung setzt denknotwendig eine Kenntnisnahmemöglichkeit durch den Empfänger voraus. Zum anderen wurde die Klägerin zwar in englischer Sprache belehrt, was jedoch nicht ausreichend war, um die besondere Bedeutung der Belehrung (vgl. BVerfG DVBl. 1996, 1252) sicher zu stellen. Ausweislich des Sprachgutachtens des Bundesamtes (S. 55 f. d.A.) verfügt die Klägerin nämlich nur über eine Art Pidgin-Englisch, so dass es notwendig gewesen wäre, sie in ihrer Heimatsprache Swahili schriftlich zu belehren, was aber nicht erfolgte.

Die Klage ist insoweit auch begründet.

Die Beklagte ist verpflichtet festzustellen, dass bei der Klägerin ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt. Aufgrund des vorgelegten ärztlichen Attests vom 12. Juni 2007 ist nachgewiesen, dass die Klägerin an einer chronischen HIV-Infektion (Stadium B III nach CDC) leidet und auf eine antiretrovirale Kombinationstherapie, zuletzt bestehend aus Truvada, Nevirapin und Cotrim eingestellt ist. Hierbei handelt es sich um eine medikamentöse Dauertherapie auf nicht absehbare Zeit. Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ein Nichtfortführen dieser Behandlung für den Krankheitsverlauf der Klägerin sehr bedenklich wäre. Nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Stellungnahmen und Auskünften muss zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) davon ausgegangen werden, dass im Falle einer Rückkehr der Klägerin nach Uganda die lückenlose Fortsetzung der medikamentösen Behandlung und der begleitenden Kontrolluntersuchungen nicht mit der erforderlichen Sicherheit gewährleistet wäre. Bei einer Abschiebung nach Uganda droht der Klägerin somit mit hoher Wahrscheinlichkeit eine nach Art, Intensität und Unmittelbarkeit extreme Gefährdung (vgl. BVerwGE 105,383), wegen der das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung dieser Vorschrift festzustellen ist.

Die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung verschlimmert, kann zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen. Zwar wird bei Gefahren in einem Land, denen die gesamte Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, ausgesetzt ist, Abschiebungsschutz grundsätzlich ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a AufenthG gewährt (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Diese grundlegende Entscheidung des Bundesgesetzgebers haben auch die Verwaltungsgerichte bei der Auslegung und Anwendung der §§ 60, 60a AufenthG zu respektieren. HIV/Aids ist in Uganda eine weit verbreitete Krankheit. Die HIV-Infektionsrate wird unterschiedlich beziffert. Schätzungen nach sind von den ca. 26 Millionen Ugandern ca. 400.000 bis 900.000 mit dem Erreger der Immunschwächekrankheit infiziert. Nach einer Auskunft von Difäm vom 5. Juli 2006 an das Verwaltungsgericht Ansbach erhalten ca. 75.000 Menschen Zugang zur antiretroviralen Therapie, während etwa 45.000 Menschen, bei denen eine Indikation gegeben wäre, keinen Zugang zu dieser Therapie haben. Angesichts dieser Größenordnung müsste man Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für einzelne Mitglieder der betroffenen Gruppe nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG an sich für ausgeschlossen halten. Jedoch gebieten die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG wegen einer extremen Gefahrenlage eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG dahin gehend, dass eine Entscheidung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht ausgeschlossen ist (BVerwGE 99, 324). Eine extreme Gefahrenlage im Sinne dieser Rechtsprechung ist anzunehmen, wenn der betroffene Ausländer sehenden Auges alsbald nach der Abschiebung in sein Heimatland dem sicheren Tod oder schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen ausgesetzt wäre (BVerwGE 99, 324).

Die Klägerin ist nach dem vorgelegten ärztlichen Attest auf eine Fortsetzung der derzeit durchgeführten antiretroviralen Therapie angewiesen. Im Falle eines Abbruchs bzw. einer Unterbrechung der antiretroviralen Therapie wäre mit einer raschen Verschlechterung der Immunparameter, insbesondere einem Abfallen der CD4-Helferzellzahl und einem Anstieg der Viruslast zu rechnen. Es würde bei der Klägerin nach Absetzen der verordneten Medikation ein Gesundheits- bzw. Krankheitszustand eintreten, der für sie lebensbedrohlich wäre.

Das Gericht geht davon aus, dass im Falle einer Rückkehr der Klägerin nach Uganda die lückenlose Fortsetzung der indizierten und lebensnotwendigen Therapie nicht mit der erforderlichen Sicherheit gewährleistet wäre. Zwar besteht nach einer Auskunft von Difäm vom 5. Juli 2006 an das Verwaltungsgericht Ansbach mittlerweile teilweise freier Zugang zur antiretroviralen Therapie in Uganda. Ein "universal access", also eine jedermann offenstehende Versorgung soll nach besagter Auskunft aber erst bis 2010 geschaffen werden; die Realisierung dieser Zielvorgabe ist noch ungewiss. Die Difäm selbst gibt an, in Uganda existierten noch Wartelisten für eine ART-Behandlung; zudem sei die Supply-Frage problematisch. Ob die Klägerin unmittelbar nach ihrer Rückkehr in das Therapieprogramm aufgenommen würde, kann vor diesem Hintergrund nicht mit der erforderlichen Sicherheit vorhergesagt werden. An dieser Einschätzung des Gerichts vermag die Auskunft der Deutschen Botschaft in Uganda vom 20. April 2006 nichts zu ändern. Zwar wird hier ausgeführt, dass in Uganda mittlerweile unentgeltliche HIV-Behandlung angeboten werde, die grundsätzlich jedermann zur Verfügung stehe. Dies bedeutet jedoch nicht, dass damit eine hundertprozentige Behandlungsrate verbunden ist. Wahrscheinlich ist vielmehr eine Behandlungsrate von ca. 30 Prozent (vgl. www.hiv.net/hivnet2007.pdf S. 41). Es besteht somit im Falle der Klägerin lediglich die – hier nicht als ausreichend zu erachtende – Chance einer nahtlosen Weiterbehandlung; sicher gewährleistet ist diese nicht.

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin nach ihrer Rückkehr sofort in der Lage wäre, die Kosten für die in Deutschland begonnene Therapie selbst aufzubringen, oder dass sie in Ihrem Heimatstaat Familienangehörige hat, die ihr die erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen könnten. Aus dem vom Bundesamt veranlassten Sprachgutachten ergibt sich vielmehr, dass die Klägerin wahrscheinlich aus ärmlichen Slum-Verhältnissen stammt und nach dem Tod ihrer Mutter wohl keine weiteren Angehörigen in Uganda besitzt. Allein für die ART-Behandlung müsste die Klägerin monatlich zwischen ca. 25 und 45 USD aufwenden (vgl. Auskunft von Difäm vom 29.7.2004 an das Verwaltungsgericht Ansbach), ein Betrag, der bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen in Uganda von ca. 28 USD nur schwerlich aufzubringen sein dürfte.