OVG Niedersachsen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 28.03.2008 - 10 OA 143/07 - asyl.net: M13011
https://www.asyl.net/rsdb/M13011
Leitsatz:

War ein Rechtsanwalt bereits im Verwaltungsverfahren in der selben Sache tätig, so ist die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anteilig anzurechnen (Änderung der Rspr. des Senats); das gilt nicht für eine Geschäftsgebühr im Rahmen der Beratungshilfe.

 

Schlagwörter: Kostenrecht, Rechtsanwaltsgebühren, Prozesskosten, Kosten, Geschäftsgebühr, Verfahrensgebühr, Anrechnung, Beratungshilfe
Normen: VV RVG Nr. 3100; VV RVG Nr. 2400; BerHG § 2 Abs. 1
Auszüge:

War ein Rechtsanwalt bereits im Verwaltungsverfahren in der selben Sache tätig, so ist die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anteilig anzurechnen (Änderung der Rspr. des Senats); das gilt nicht für eine Geschäftsgebühr im Rahmen der Beratungshilfe.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Beschwerde der Kläger ist begründet.

Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht anstelle der hälftigen Geschäftsgebühr im Rahmen der Beratungshilfe (Nr. 2603 VV) eine hälftige Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV angerechnet.

Die von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts vorgenommene teilweise Anrechnung der Geschäftsgebühr für die außergerichtliche Vertretung auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens ist nicht schon von vornherein ausgeschlossen. Diese Anrechnung kann nicht mit dem Einwand der Kläger ausgeschlossen werden, aus den Regelungen in § 164 VwGO und § 162 Abs. 1 VwGO ergebe sich, dass die Kostenfestsetzung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle grundsätzlich nur die im gerichtlichen Verfahren angefallenen Kosten einschließlich der Anwaltskosten umfasse, jedoch Aufwendungen für die außergerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts dabei außer Betracht zu bleiben hätten, es sei denn, dass ein Ausspruch nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO vorliege. Könnten nach dieser Auffassung aber bei dem gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren nach § 164 VwGO die im außergerichtlichen Bereich entstandenen Auslagen und Gebühren eines Rechtsanwalts nicht berücksichtigt werden, so könnten sie damit auch nicht angerechnet werden. Demnach stehe schon die Systematik des § 162 VwGO einer Anrechnung der Geschäftsgebühr entgegen. Auch betreffe die Anrechnungsregelung das interne Verhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten. Sie bezwecke, den Gebührenanspruch des Rechtsanwalts zu beschränken, und zwar im Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Auftraggeber; sie ziele jedoch nicht darauf ab, dass er die im gerichtlichen Verfahren entstehenden Gebühren nicht in vollem Umfang gegenüber der kostenpflichtigen Gegenseite abrechnen könne (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25. April 2006 - 7 E 410/06 -, NJW 2006, 1991; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Juli 2006 - 8 S 1621/06 -, juris; Bay. VGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2006 - 4 C 06.1129 -, NJW 2007, 170; vom 5. Januar 2007 - 24 C 06.2052 -, juris; vom 7. März 2007 - 19 C 06.2591 -, juris; vom 14. Mai 2007 - 25 C 07.754 , juris; vom 9. Oktober 2007 - 3 C 07.1903,-, juris; vom 16. Januar 2008 - 14 C 07.1808 -, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 5. Dezember 2007 - 1 0 215107 -, juris; einschränkend Bay. VGH, Beschluss vom 15. Januar 2008 - 22 M 07.40053 -, juris). Soweit der Senat dem bisher gefolgt ist (Beschluss vom 8. Oktober 2007 - 10 OA 201/07 -, NJW 2008, 535), hält er an seiner Rechtsprechung aus nachstehenden Gründen nicht mehr fest.

Bereits nach dem Wortlaut der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV ist eine anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr zwingend vorgeschrieben.

Hiernach ist die Anrechungsbestimmung in der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV anzuwenden und damit die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anteilig anzurechnen (ebenso OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 28. Januar 2008 - 6 E 11203/07 -, juris; Bay. VGH (10. und 19. Senat), Beschlüsse vom 3. November 2005 - 10 C 05.1131 -, juris und vom 6. März 2006 - 19 C 06.268 -, juris; Hess. VGH, Beschluss vom 29. November 2005 - 10 TJ 1637/05 -, NJW 2006, 1992; VG Oldenburg, Beschluss vom 5. Dezember 2006 - 11 A 436/06 -, juris; VG Minden, Beschluss, vom 6. September 2007 - 8 K 3544/06 -, juris; VG Hannover - Beschluss vom 7. Dezember 2007 - 6 A 1117/07 -, juris; offen gelassen: Bay. VGH, Beschluss vom 15. Januar 2008, a.a.O.; Nds. OVG, Beschluss vom 25. Januar 2008 - 1 KN 22/06 -, juris; vgl. zur - geänderten - Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die gerichtliche Verfahrensgebühr: BGH, Urteile vom 7. März 2007 - VIII ZR 86/06 NJW 2007, 2049, vom 14. März 2007 - VIII ZR 184/06 -, NJW 2007, 2050 und vom 11. Juli 2007 - VIII ZR 310/06 -, NJW 2007, 3500 sowie Beschluss vom 22. Januar 2008 - VIII ZB 57/07 -, juris).

Der in Teilen der Rechtsprechung vertretenen Gegenauffassung folgt der Senat nicht mehr. Dies betrifft insbesondere die Erwägung, die Regelung in der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV finde zwar in dem Rechtsverhältnis zwischen Auftraggeber und Rechtsanwalt Anwendung, müsse aber bei der gerichtlichen Festsetzung der Rechtsanwaltungsvergütung im Rahmen des § 164 VwGO außer Betracht bleiben, weil es dem Gesetzgeber um eine sachgerechte Begrenzung des Vergütungsanspruches des Rechtsanwalts gegenüber dem Mandanten, nicht aber darum gegangen sei, den Kostenschuldner im gerichtlichen Verfahren zu entlasten; eine teilweise Anrechnung der außergerichtlichen Geschäftsgebühr auf die im gerichtlichen Verfahren entstandene Verfahrensgebühr führe zu dem sinnwidrigen Ergebnis, dass die Gegenseite nur deshalb niedrigere Kosten zu erstatten hätte, weil der Rechtsanwalt bereits vorgerichtlich das Geschäft seines Mandanten betrieben hat.

Zunächst findet diese Differenzierung im Gesetzeswortlaut keine Stütze. Vielmehr bestimmt die maßgebliche Vorschrift des § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO, dass bei Rechtsanwälten die gesetzlich vorgesehenen Gebühren und Auslagen erstattungsfähig sind, so dass die nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz und damit auch unter Berücksichtigung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV vorgesehenen Gebühren anzusetzen sind. Zum anderen berücksichtigt die Gegenauffassung nicht hinreichend, dass nach § 162 Abs. 1 und 2 VwGO allein der nach der zugrunde liegenden Kostenentscheidung obsiegende Beteiligte als solcher bezüglich der entstandenen Gebühren und Auslagen seines Rechtsanwalts erstattungsberechtigt ist, nicht aber sein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter. Demnach kann allein der Beteiligte von dem unterlegenen Prozessgegner die Erstattung der Gebühren und Auslagen seines Rechtsanwalts verlangen, die er diesem nach Maßgabe des Gebührenrechts selbst schuldet. Wie bereits dargelegt, schuldet er seinem Anwalt aber nur die um die anteilige Geschäftsgebühr reduzierte Verfahrensgebühr (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 28. Januar 2008, a.a.O.).

Hierin kann auch nicht eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Ungleichbehandlung des obsiegenden Beteiligten, für den der Rechtsanwalt bereits außergerichtlich tätig gewesen ist, gegenüber einem obsiegenden Beteiligten, für den der Rechtsanwalt allein im gerichtlichen Verfahren aufgetreten ist, gesehen werden. Vielmehr ergibt sich aus der o.a. Begründung zum Entwurf des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes, dass der Gesetzgeber mit der Regelung in der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV eine vormals gerade wegen der in beiden Fällen identischen Verfahrensgebühr bestehende "nicht zu rechtfertigende" Gleichbehandlung des Rechtsanwalts, der unmittelbar einen Prozessauftrag erhält, mit dem Rechtsanwalt, der bereits außergerichtlich tätig gewesen ist und deshalb mit der Angelegenheit vertraut ist, beseitigen wollte (ebenso: OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 28. Januar 2008, a.a.O.). Eine Kostenfestsetzung ohne anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr hätte zur Folge dass der im Kostenpunkt unterlegene Beteiligte entweder dem im Verwaltungsverfahren vorbefassten Rechtsanwalt mit dem überschießenden Betrag ein vom Gesetz nicht vorgesehenes "Erfolgshonorar" verschafft oder entgegen der gesetzlichen Regelung die vom obsiegenden Beteiligten allein zu tragende Geschäftsgebühr anteilig erstattet.

Allerdings steht der Anrechnung einer hälftigen Geschäftsgebühr nach den Nummern 2400 bis 2403 VV nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV entgegen, dass eine solche Geschäftsgebühr wegen desselben Gegenstands auf Grund der vorgerichtlichen Befassung der Prozessbevollmächtigten der Kläger nicht entständen ist. Der Prozessbevollmächtigte kann gegenüber den Klägern eine Geschäftsgebühr nach Nummern 2400 bis 2403 VV nicht beanspruchen, weil er im vorgerichtlichen Verfahren für die Kläger allein im Rahmen der Beratungshilfe tätig geworden ist. Deshalb ist allein die Hälfte der Geschäftsgebühr nach Nr. 2603 VV auf die Verfahrensgebühr anzurechnen (vgl. Nummer 2603 Abs. 2 Satz 1 VV).

Zu Unrecht nimmt das Verwaltungsgericht an, die "Berechnung einer Beratungsgebühr" sei unrichtig, da die Beratungsgebühr ein Verfahren honoriere, das noch vor dem behördlichen Verfahren liege. Bereits § 2 Abs. 1 Beratungshilfegesetz (BerHG) lässt sich entnehmen, dass die Beratungshilfe nicht auf eine Beratung des Rechtssuchenden beschränkt ist, sondern - soweit erforderlich - auch eine Vertretung umfassen kann. Eine Vertretung durch den Bevollmächtigten beinhaltet die Hilfe bei der Rechtswahrnehmung, die nicht dem Rechtssuchenden, sondern Dritten gegenüber erbracht wird, etwa die anwaltliche Vertretung in behördlichen Verfahren (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe - 4. Auflage, 2005 -, Rdnr. 967; Schoreit, in Schoreit/Dehn, BerH/PKH - 5. Auflage 1996 -, § 2 BerHG Rdnr. 10; Greißinger, Beratungshilfegesetz, § 2 Rdnr. 10). Dementsprechend ist für die Vertretung eines Rechtssuchenden im Rahmen der Beratungshilfe eine Geschäftsgebühr in Höhe von 70 EUR in Nr. 2603 VV vorgesehen. Zu Recht hat das Amtsgericht Rotenburg (Wümme) in seinem Beschluss vom 2. Februar 2005 - 2 1124/05 - auf Antrag des Prozessbevollmächtigten für die Vertretung der Kläger im Verwaltungsverfahren (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BerHG) auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2603 VV festgesetzt.