VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Urteil vom 04.03.2008 - 6 K 391/02.A - asyl.net: M12993
https://www.asyl.net/rsdb/M12993
Leitsatz:

Zur internen Fluchtalternative für tschetschenische Volkszugehörige in Russland.

 

Schlagwörter: Russland, Tschetschenien, Tschetschenen, Gruppenverfolgung, Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Anerkennungsrichtlinie, Sicherheitslage, Versorgungslage, interner Schutz, interne Fluchtalternative, Beurteilungszeitpunkt, persönliche Umstände, Existenzminimum, Zumutbarkeit, Inlandspass, Situation bei Rückkehr, Registrierung, Wohnraum, Moskau (A), St. Petersburg (A), Inguschetien (A), Kabardino-Balkarien (A), Krasnodar (A), Stawropol (A), Wolgograd (A), Wolgaregion (A), Familienangehörige, Sippenhaft, Kämpfer (ehemalige), FSB, Geheimdienst, Separatisten, Verdacht der Unterstützung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 4; RL 2004/83/EG Art. 8 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 8 Abs. 2; RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 3 Bst. c; RL 2004/83/EG Art. 20 Abs. 3
Auszüge:

Zur internen Fluchtalternative für tschetschenische Volkszugehörige in Russland.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Kläger haben einen Anspruch auf die Feststellung, dass in ihrem Fall die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt sind und ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist (§ 60 Abs. 1 Satz 6 AufenthG).

2. Mit der Rechtsprechung des OVG Bremen (zuletzt: Urteil vom 31.05.2006 - 2 A 1 12/06.A - Urteilsabdruck S. 12 bis 18) geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die tschetschenische Zivilbevölkerung seit Beginn des letzten Tschetschenienkrieges (September 1999) anhaltend einer auf die tschetschenische Teilrepublik begrenzte Gruppenverfolgung ausgesetzt ist.

Waren die Kläger hiernach bereits verfolgt, so liegt in dieser Tatsache nach Art. 4 Abs. 4 QR ein ernsthafter Hinweis für eine begründete Verfolgungsfurcht, es sei denn, dass stichhaltige Gründe gegen eine anhaltende Verfolgungssituation sprechen. Solche Gründe liegen aber derzeit nicht vor. Zwar hat sich die Sicherheitslage in Tschetschenien in den letzten Jahren kontinuierlich verbessert; es wird über eine anhaltend prekäre Sicherheitslage und immer noch von so vielen schwerwiegenden Übergriffen insbesondere durch Entführungen sowie im Polizeigewahrsam sowie berichtet, dass weiterhin von einer für eine Gruppenverfolgung hinreichenden Verfolgungsdichte auszugehen ist (vgl. UNHCR, Gutachten vom 08.10.2007, S. 3.; Universität Hamburg - Luchterhandt -, Gutachten vom 08.08.2007, S. 13; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 13.01.2008; Memorial, Zur Lage der Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Förderation <August 2006 bis Oktober 2007>, Moskau 2007).

3. Den Klägern steht keine zumutbare interne Schutzalternative zur Verfügung.

3.1. Die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative ist nunmehr am Maßstab von Art. 8 QR zu messen.

Nach Abs. 1 dieser Vorschrift ist eine interne Schutzalternative gegeben, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, und von dem Schutzsuchenden vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Hiernach ist es für die Schutzgewährung nicht (mehr) erheblich, ob die Lebensverhältnisse im Herkunftsgebiet gleichermaßen schlecht sind oder nicht.

Nach Art. 8 Abs. 2 QR kommt es für das Bestehen einer internen Schutzalternative auf den Zeitpunkt der Entscheidung (hier des Gerichts) über den Antrag an. Unerheblich ist, ob der Schutzsuchende einer bei der Ausreise eingetretenen oder unmittelbar bevorstehenden Verfolgung durch Flucht an einen anderen Ort in seinem Heimatland hätte ausweichen können. Das Abstellen auf den Entscheidungszeitpunkt entspricht einem grundlegenden und durchgehenden Konzept der QR, das stets nach dem aktuellen Bedarf für einen internationalen Schutz bzw. nach einer zumutbaren internen Schutzalternative fragt (vgl. auch Art. 1 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 3 lit. a QR). Dieses Konzept weicht insoweit von der bisherigen nationalen Rspr. ab, die nicht nach der Schutzalternative, sondern nach der Fluchtalternative fragte (vgl. Marx, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. § 7 Rdn. 121; Hollmann, a.a.O., S: 8) und dementsprechend maßgebend auf den Fluchtzeitpunkt abstellte. Eine interne Schutzmöglichkeit ist daher nunmehr auch dann zu bejahen, wenn sie zwar im Ausreisezeitpunkt noch nicht bestanden hat, aber im Zeitpunkt der Entscheidung gegeben ist. Umgekehrt schließt eine im Fluchtzeitpunkt gegebene Fluchtalternative, die inzwischen entfallen ist, die Flüchtlingsanerkennung nach Maßgabe der QR nicht mehr aus (vgl. Hollmann in: Asylmagazin 11/2006, 4 <7>). Deshalb kann offen bleiben, ob Schutzsuchenden aus Tschetschenien im Ausreisezeitpunkt eine inländische Fluchtalternative - etwa in Flüchtlingslagern der nordkaukasischen Teilrepubliken - zur Seite stand.

Soweit der beteiligte Bundesbeauftragte demgegenüber die Ansicht vertritt, es müsse weiterhin geprüft werden, ob im Ausreisezeitpunkt eine inländische Fluchtalternative bestanden habe, folgt ihm das Gericht nicht. Gründe, die dafür sprechen könnten, Art. 8 Abs. 2 QR entgegen dem Wortlaut dahin auszulegen, dass es auf das Bestehen einer Schutzalternative im Ausreisezeitpunkt ankommt, sind nicht ersichtlich. Auf nationale Rechtsprechung, die sich auf Sachverhaltsfeststellungen vor der unmittelbaren Geltung der QR bezieht, kann sich der Bundesbeauftragte für seine Ansicht nicht mit Erfolg berufen. Denn aus dieser Rspr. lassen sich keine Erkenntnisse für sie Auslegung von Art. 8 Abs. 2 QR gewinnen.

Zur Interpretation der persönlichen Umstände i.S.v. Art. 8 Abs. 2 QR kann auf Art. 4 Abs. 3 Buchst. c) der QR zurückgegriffen werden. Danach sind die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Ausländers einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter bei der Entscheidung zugrunde zu legen. Gemäß Art. 20 Abs. 3 QR ist die spezielle Lage von besonders schutzbedürftigen Personen wie Minderjährigen, Behinderten, älteren Menschen, Schwangeren, Alleinerziehenden mit Kindern und traumatisierten Personen zu berücksichtigen. Dementsprechend können auch nach der neueren Rspr. des BVerwG individuelle Umstände wie z. B. Erwerbsfähigkeit, Alter, Behinderung, Erkrankung und das Vorhandensein von Angehörigen oder sonstigen Beziehungen bei der Prüfung der inländischen Fluchtalternative - neben den allgemeinen Verhältnissen - mit berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.03.1995 - 9 B 747.94 = NVwZ 1996, 85; Urt. v. 15.07.1997 - 9 C 2.97 - juris).

Auf der Grundlage des gemischt objektiv-individuellen Maßstabes kommt es darauf an, ob vom Schutzsuchenden vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort der inländischen Fluchtalternative aufhält. Erforderlich ist hierfür u.a., dass er am Zufluchtsort unter persönlich zumutbaren Bedingungen sein Existenzminimum sichern kann, nicht dagegen, ob der Staat den Binnenflüchtlingen einen legalen Aufenthaltsstatus gewähren würde (vgl, auch BVerfG, Beschl. v. 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u. a. - BVerfGE 80, 315 ff <343>, Beschl. v. 10.11.1989 - 2 BvR 403/84 u. a. = NVwZ 1990, 254 = BVerfGE 81, 58; BVerwG, Urt. v. 01.02.2007 - 1 C 24.06 -). Ein verfolgungssicherer Ort bietet erwerbsfähigen Personen regelmäßig das wirtschaftliche Existenzminimum, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können; nicht zumutbar sind hingegen entgeltliche Tätigkeiten für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung oder Teilnahme an Verbrechen besteht (vgl. BVerwG, Urteil v. 01.02.2007 - 1 C 24.06 - S. 7 m.w.N.).

3.2. Das Verwaltungsgericht geht im Anschluss an das OVG Bremen (Urt. v. 31.05.2006 - 2 A 112/06.A) davon aus, dass nach den allgemeinen Gegebenheiten eine inländische Fluchtalternative für Tschetschenen vornehmlich nur in der tschetschenischen Diaspora in Südrussland in Betracht kommt. Im Einzelnen:

3.2.1. Für die Gebiete außerhalb der Kaukasusregion lässt sich nicht sagen, dass die gegen Tschetschenen gerichteten Verfolgungshandlungen nach Art, Gewicht und Anzahl so um sich gegriffen haben, dass den Tschetschenen allein unter Sicherheitsaspekten ein Aufenthalt in anderen Teilen Russlands nicht zumutbar ist (ebenso: OVG Bremen, a.a.O., Urteilsabdruck S. 26 bis 31 m.w.N.), wenngleich auch dort von einer stark anti-tschetschenischen Stimmung, von Behördenwillkür, Übergriffen, Schikanen, Personenkontrollen sowie insbesondere in Dagestan und Inguschetien auch von willkürlichen Festnahmen unter Zugrundelegung "fabrizierter" Anklagen und Folter von Tschetschenen berichtet wird (vgl. Memorial, Bericht Moskau September 2006, S. 43).

3.2.2. Für Tschetschenen, die über keinen oder über einen am 30.06.2004 abgelaufenen alten Inlandspass verfügen, kann die Besorgung eines neuen Inlandspasses zu einem ernsthaften Sicherheitsrisiko werden. Der Inlandspass muss persönlich am registrierten Ort - für Tschetschenen ist das in der Regel die Meldebehörde in Grozny - beantragt werden (AA, Lagebericht vom 13.01.2008, S. 28). Nach der Erlasslage soll der Passumtausch in 10 Tagen vorgenommen werden. Allerdings sind Bestechungsgelder an den Kontrollposten üblich (AA, Auskunft vom 20.09.2006 an das Thür. OVG). Es sollen Bestechungsgelder von 400 bis 500 Euro verlangt werden. Willkürliche Festnahmen im Zuge der Passbeantragung seien nicht auszuschließen. Bis zum Erhalt des Passes können u.U. Wochen und Monate vergehen (Ges. für bedrohte Völker, Stn. v. 19.07.2006 an das Thür. OVG). Andererseits wird mitgeteilt, dass die 10-Tages-Frist in der Regel eingehalten werde (AA, Auskunft vom 03.03.2006 an den BayVGH).

Diese Umstände werden in der obergerichtlichen Rspr. einerseits dahin gewürdigt, dass sie keine reale Gefahr darstellten, zumal das Risiko z.B. von Luftangriffen gering sei, wenn letztlich je eine Tagesfahrt nach Grozny zur Beantragung und zur Abholung des Passes genüge (BayVGH, Urteil vom 19.06.2006 - 11 B 02.31598 - ; offen gelassen: OVG Bremen, a.a.O.). Andererseits wird die Ansicht vertreten, Tschetschenen könne nicht zugemutet werden, auch nur vorübergehend zur Ausstellung des Inlandspasses nach Tschetschenien zurückzukehren, da nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen werden könne, dass sie dort keinen asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sein würden (Hess. VGH, Urt. v. 18.05.2006 - 3 UE 177/04.A). Das erkennende Gericht geht anhand der ausgewerteten Erkenntnisquellen davon aus, dass es weitgehend von den individuellen Umständen abhängt, in welchem Ausmaß im Einzelfall Sicherheitsrisiken mit einer Passbeschaffung in Grozny verbunden sind. Diese Risiken und die bei einer Passbeschaffung anfallenden erheblichen Kosten (auch für Bestechungsgelder) sind im Rahmen des gemischt objektiv-individuellen Zumutbarkeitsmaßstabes angemessen - neben anderen Umständen - mit zu berücksichtigen.

Gegenwärtig erfahren zurückkehrende Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich in der Tschetschenienfrage engagiert haben bzw. denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 13.01.2008, S. 26). Es liegen Berichte vor, wonach der föderale Sicherheitsdienst (FSB) Rückkehrer aus dem Ausland unter Beobachtung stellt und diese zu Befragungen einbestellt. Dabei erscheinen folgende Personengruppen gefährdet, Opfer von Inhaftierungen und menschenrechtswidriger Behandlung zu werden:

- (frühere) Mitglieder illegaler bewaffneter Formationen und deren Angehörige,

- Personen, die offizielle Positionen im Regime Maschadow innehatten,

- Personen die offensichtlich von den Positionen der gegenwärtigen Regierung abweichende politische Ansichten haben und

- Personen, die möglicherweise für ihre nichtmilitärische Unterstützung der Rebellentruppen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können,

- junge Männer aus Großfamilien, aus denen Rebellenkämpfer stammen und

- alleinstehende Frauen

(zum Ganzen: UNHCR, Stellungnahme vom 08.10.2007 an den Hess. VGH, S. 4; Universität Hamburg, Gutachten Luchterhandt vom 08.08.2007, S. 10 ff.). Allein die tschetschenische Volkszugehörigkeit führt dagegen nicht zu einer erheblichen Rückkehrgefährdung (Luchterhandt, a.a.O., S. 14/15).

3.2.3. Die Frage, ob tschetschenische Rückkehrer in Teilen Russlands ihre existenziellen Grundbedürfnisse sichern können, hängt zumeist faktisch entscheidend davon ab, ob sie in einem Ort eine reguläre Registrierung und eine Unterkunft erhalten können. Denn eine Registrierung als Binnenflüchtlinge und damit die verbundenen sozialen Rechte werden den Tschetschenen regelmäßig verwehrt (AA, Lagebericht vom 21.08.2006, S. 27).

Auch die Suche nach Wohnraum ist für Tschetschenen sehr schwierig.

Allerdings sind die genannten Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche und Registrierung regional unterschiedlich ausgeprägt.

In den Großstädten Moskau und St. Petersburg ist eine legale Aufenthaltsnahme für Tschetschenen regelmäßig auszuschließen (OVG Bremen, a.a.O., S. 36).

Weitgehend Einigkeit besteht in der neueren obergerichtlichen Rspr. darüber, dass auch die an Tschetschenien mehr oder weniger angrenzenden nordkaukasischen Teilrepubliken Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Krasnodar und Stawropol nach den dortigen allgemeinen Gegebenheiten als interne Fluchtalternative für Tschetschenen ausscheiden (vgl. OVG Bremen, a.a.O., S. 35 ff. m.w.N.; VGH Ba.-Wü., Urt. v. 25.10.2006 - A 3 S 46/06; Bay VGH, Urt. v. 19.06.2006 - 11 B 02.31598 - S. 36; Hess. VGH, Urt. v. 02.02.2006 - 3 UE 3021/03.A, S. 24f.). Dieser Rspr. schließt sich der zuständige Einzelrichter an, zumal der Tschetschenien-Konflikt nach wohl einhelliger Einschätzung inzwischen längst auf die Nachbarrepubliken (insbesondere Inguschetien <Majas, Nazran> und Dagestan <Machatschkala>, aber auch Kabardino-Balkarien <Naltschik> und Nordossetien <Vladikavkaz>) übergegriffen hat und diese politisch hat instabil werden lassen (vgl. u.a. Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 13.01.2008, S. 16 ff. und vom 13.01.2008, S. 16 ff.).

In den übrigen Gebieten der tschetschenischen Diaspora, insbesondere in der Wolgaregion in Südrussland, ist eine Registrierung relativ leichter möglich, u.a. weil dort erheblich günstiger Wohnraum zu bekommen ist (AA, Lagebericht v. 15.02.2006, S. 28).

3.3. Unter Einbeziehung der allgemeinen Gegebenheiten steht den Klägern im Hinblick auf ihre individuellen Verhältnisse keine zumutbare interne Schutzalternative zur Seite.

Für die Prüfung der Zumutbarkeit ist darauf abzustellen, dass die Kläger zu 1. bis 3. im Familienverband ausreisen würden, weil es sich insoweit um Familienangehörige i.S. von Art. 2 Buchst. h QR handelt.

a) Jedenfalls die Kläger zu 1., 3. und 4. müssten ernsthaft damit rechnen, gelegentlich der unvermeidbaren Passbesorgung in Grozny nach Unterstützungshandlungen für die Sache der Tschetschenen befragt, festgehalten und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch menschenrechtswidrig behandelt zu werden.

Der föderale Sicherheitsdienst FSB würde nach der genannten Auskunftslage bei Rückkehr der Kläger nach Tschetschenien unter mehreren Gesichtspunkten ein besonderes Augenmerk auf die Klägerfamilie richten:

Den Sicherheitskräften kann das weitreichende, vielgestaltige Engagement der (Groß-)Familie der Kläger für die Sache der Tschetschenen nicht verborgen geblieben sein. Der Klägerfamilie ist nicht zuzumuten, sich (erneut) der Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung auszusetzen.

b) Unabhängig davon böte sich den Klägern zu 1. bis 3. in wirtschaftlicher Hinsicht auch dann keine Existenzmöglichkeit in verfolgungsfreien Teilen Südrusslands, wenn jemand von ihnen - verfolgungsfrei - einen neuen Pass erhalten würde.

Der Kläger zu 1. wäre zwar grundsätzlich erwerbsfähig; er müsste aber auch die Betreuung der gesundheitlich extrem beeinträchtigten Klägerin zu 2. bewerkstelligen, die nach ärztlicher Bescheinigung des Facharztes Dr. ... vom 17.09.2007 auf Beistand und Unterstützung der Familie angewiesen ist und wegen schwerer Erkrankungen der gesundheitlichen Nachsorge über Jahre bedarf.

Für die Kläger zu 1. bis 3. würde sich dementsprechend schon die Wohnungssuche äußerst schwierig gestalten und wohl Orientierungen an verschiedenen Orten erfordern. Dafür müssten die Kläger voraussichtlich lange herumreisen, um überhaupt Wohnraum zu finden. Dafür wie auch für die erforderliche gesundheitliche Nachsorge der Klägerin zu 2. fehlten ihnen ersichtlich die finanziellen Mittel. Auch könnten ihnen Hilfsorganisationen wie z.B. Memorial bei der Wohnungssuche nicht behilflich sein (vgl. OVG Bremen, a.a.O., S. 38).

Sollten die Kläger zu 1. bis 3. - trotz der hiernach bereits sehr geringen Wahrscheinlichkeit - überhaupt Wohnraum finden, müssten sie ihre Registrierung gegen den zu erwartenden Widerstand der jeweiligen Kommune durchsetzen. Bei diesem Schritt käme zwar eine Hilfe z.B. von Memorial prinzipiell in Betracht, aber auch dieses Verfahren würde Monate oder Jahre dauern.

Der Kläger zu 1. könnte hiernach mithin in einem unabsehbar langen Zeitraum der Illegalität keiner rechtmäßigen Arbeit nachgehen und allenfalls schlecht bezahlten Hilfstätigkeiten in der Schatten- und Nischenwirtschaft nachgehen. Es ist nicht erkennbar, wie auf diese Weise die allernötigsten Grundbedürfnisse nach Nahrung, Wohnung und medizinischer Versorgung der Familie gedeckt werden könnten. Unter diesen Umständen haben die Kläger keine reale Chance, eine wirtschaftliche Existenzgrundlage zu finden, weil sie mangels Registrierung auch keinen Zugang zu Sozialleistungen und zur Gesundheitsversorgung hätten. Ihnen drohte vielmehr den Umständen nach eine Verelendung.