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Zitieren als:
, Bescheid vom 21.01.2008 - 5236810-283 - asyl.net: M12978
https://www.asyl.net/rsdb/M12978
Leitsatz:
Schlagwörter: Togo, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, HIV/Aids, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Hepatitis C
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die drohende Gesundheitsgefährdung aufgrund der Zugehörigkeit zur Gruppe der HIV-Infizierten in Togo stellt, obwohl sie den Einzelnen individualisierbar und konkret betrifft, eine allgemeine Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG dar, da, gemessen an der Gesamtbevölkerung des Landes, eine verhältnismäßig große Gruppe von Menschen von dieser Krankheit betroffen ist. HIV-Infektionen sind in Togo nicht ungewöhnlich. Ein großer Teil der Bevölkerung Togos ist von diesem Krankheitsbild betroffen. Nach vorliegenden Erkenntnissen besteht bei der Gruppe der Erwachsenen zwischen 15 und 49 Jahren, zu der auch der Antragsteller gehört, eine Infektionsrate von aktuell etwa 3,2% (Stand 2006).

Jedoch liegt die Befugnis Abschiebungen bei allgemeinen Gefahren auszusetzen nach § 60 a Abs. 1 S.1 AufenthG in der Entscheidungshoheit der obersten Länderbehörden und schließt damit die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 7 S.1 AufenthG in Fällen allgemeiner Gefahren grundsätzlich aus. Abweichend von diesem Grundsatz kann jedoch bei verfassungskonformer Auslegung im Einzelfall von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. vgl. insbes. BVerwGE 99).

Eine extreme Gefahrenlage in Form einer unmittelbar lebensbedrohenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Antragstellers kann bei Rückkehr nach Togo angenommen werden. Der Antragsteller leidet an einer HIV-Infektion im Stadium C 1 CDC mit AIDS-indizierender Tuberkuloseerkrankung und wird derzeit erfolgreich mit antiretroviralen Kombimedikamenten therapiert. Ferner liegt eine chronische Hepatitis C vor, die jedoch derzeit nicht behandlungsbedürftig ist. Nach vorliegenden Informationen ist eine Unterbrechung oder Einstellung der antiretroviralen Therapie angesichts des Krankheitsstadiums C 1 CDC (AIDS) und der damit verbundenen fortgeschrittenen Immunschwäche des Antragstellers mit der Gefahr einer unmittelbaren und gravierenden Gesundheitsverschlechterung verbunden.

Der Eintritt dieser Gesundheitsgefährdung kann insoweit abgewendet werden, als die Behandlung von HIV-Infektionen in Togo grundsätzlich möglich ist (Ausw. Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Togo vom 30.11.2006, AZ: 508-516.80/3 TGO).

In Lome sind auch regelmäßige klinische Untersuchungen des Blutbildes, des Immunstatus, der Viruslast und der Serologie möglich (Ausw. Amt, Auskunft vom 06.04.2004, AZ. 508-516.80/42029).

Dort gibt es auch eine AIDS-Beratungsstelle (CAMEG : Centrale d Achats des Medikaments Essentiels et Generiques du Togo), die eine auf afrikanische Lebensverhältnisse zugeschnittene Lebensführungs- und Ernährungsberatung durchführt sowie psychologische Hilfestellung leistet. Sie veranlaßt die Diagnose des Krankheitsstadiums durch die Universitätsklinik, entwirft anhand der Laborergebnisse einen Behandlungsplan und stellt die notwendigen Rezepte aus. Außerdem werden Patient und Therapie überwacht. Diese Dienstleistungen sind kostenfrei (Ausw. Amt, Auskunft vom 04.07.2005 an VG Frankfurt, AZ. RK 516.8013). Auch bestehen umfangreiche Hilfsprogramme (USA, UNDP und EU) für Togo. Sofern der Bedarf an einem neuen zusätzlichen Medikament zur Behandlung von HIV-Infektionen durch einen Arzt oder eine der zahlreichen Nichtregierungsorganisationen gemeldet wird, prüft dies das PNSL (Nationale Programm zur Bekämpfung von AIDS) und erweitert die Liste der benötigten Medikamente entsprechend. Bei Bedarfsfeststellung kümmert sich die CAMEG um einen günstigen Lieferanten.

2003 vereinbarte Togo mit verschiedenen Pharmaunternehmen eine erhebliche Preissenkung von Medikamenten für antiretrovirale Therapien.

Eine Behandlung des Antragstellers ist damit in Togo möglich. Angesichts der grundsätzlichen Beschaffbarkeit benötigter Medikamente ist auch davon auszugehen, dass eine Weiterbehandlung der HIV-Erkrankung mit denselben Medikamenten bzw. deren Wirkkomponenten erfolgen kann. Auch eine Umstellung der Therapie bei Resistenzentwicklung ist möglich.

Allerdings fehlt dem mittellosen Antragsteller der Zugang zu dieser medizinischen Versorgung.

Die monatlichen Kosten für eine antiretrovirale Therapie belaufen sich nach Regierungsangaben auf derzeit ca. 60 Euro. Der Antragsteller verfügt jedoch weder über eine Krankenversicherung noch ist ihm eine private Finanzierung der Behandlung möglich. Ausweislich der vorliegenden Unterlagen wurde bereits eine krankheitsbedingte vorläufige Arbeitsunfähigkeit festgestellt. Eine Finanzierung der Behandlung ist auch bei Arbeitsaufnahme im Heimatland nicht sicherzustellen. Da das durchschnittliche Jahreseinkommen in Togo bei ca. 310 Euro liegt, kann auch ein durchschnittlicher Erwerbstätiger die Kosten einer Therapie aus seinem Verdienst nicht abdecken. Dass der Antragsteller ein höheres Einkommen erzielen könnte ist nicht ersichtlich. Konkrete Hinweise auf verwertbares Vermögen oder Unterstützungsmöglichkeiten durch die weitere Familie liegen nicht vor.

Vor diesem Hintergrund ist hinreichend wahrscheinlich, dass der Antragsteller die erforderliche Behandlung der HIV-Erkrankung, insbesondere die lebenslange antiretrovirale Dauertherapie, nach Rückkehr tatsächlich nicht erhalten kann. Aufgrund des fehlenden Zugangs zur erforderlichen Medikation der AIDS-Erkrankung besteht für den Antragsteller daher bei Rückkehr nach Togo die Gefahr einer unmittelbaren und gravierenden Gesundheitsverschlechterung im Sinne einer existentiellen Gefährdung.

Hinsichtlich der diagnostizierten chronischen Hepatitis C Erkrankung ist nach bestehender Auskunuftslage eine Behandlungsmöglichkeit in Togo zwar nicht gegeben (Ausw. Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Togo vom 30.11.2006, AZ: 508-516.80/3 TGO), nach vorliegenden Informationen aber derzeit auch nicht indiziert.