VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 30.01.2008 - 7 V 46.07 - asyl.net: M12957
https://www.asyl.net/rsdb/M12957
Leitsatz:

Setzt die Erteilung eines Visums deutsche Sprachkenntnisse voraus (hier: Au-pair-Tätigkeit), so ist insoweit auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen, wenn die im Ausland erworbenen Sprachkenntnisse im Laufe des Verfahrens verblassen.

 

Schlagwörter: D (A), Visum, Aufenthaltserlaubnis, Au-pair, Erwerbstätigkeit, Zustimmung, Bundesagentur für Arbeit, Beurteilungszeitpunkt, Sprachkenntnisse, Auslandsvertretung, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null, Rückkehrbereitschaft
Normen: AufenthG § 18 Abs. 2; BeschV § 20; AufenthG § 18 Abs. 3
Auszüge:

Setzt die Erteilung eines Visums deutsche Sprachkenntnisse voraus (hier: Au-pair-Tätigkeit), so ist insoweit auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen, wenn die im Ausland erworbenen Sprachkenntnisse im Laufe des Verfahrens verblassen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage hat in dem im Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die Klägerin hat Anspruch darauf, dass über ihren Antrag auf Erteilung eines Visums für einen Au-pair-Aufenthalt erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts entschieden wird (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Nach § 6 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – richtet sich die Erteilung eines Visums für einen längerfristigen Aufenthalt nach den für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Vorschriften. Nach § 18 Abs. 2 AufenthG kann einem Ausländer ein Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Beschäftigung erteilt werden, wenn die Bundesagentur für Arbeit nach § 39 zugestimmt hat. § 20 der Beschäftigungsverordnung bestimmt weiter, dass die Zustimmung zu einem Aufenthaltstitel für eine Au-pair-Beschäftigung von bis zu einem Jahr Personen mit Grundkenntnissen der deutschen Sprache erteilt werden kann, die unter 25 Jahre alt sind und die in eine Familie kommen, in der Deutsch als Muttersprache gesprochen wird.

Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Bundesagentur für Arbeit hat der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zugestimmt. Diese Zustimmung ist gemäß § 18 Abs. 3 AufenthG auch zulässig gewesen. Denn die Voraussetzungen des § 20 der Beschäftigungsverordnung lagen vor.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen, die auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung nach dem Aufenthaltsgesetz gerichtet sind, grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. VG Berlin, Urteil vom 14. Dezember 2005 - 2 V 13.05 - zit. nach juris). Zu diesem Zeitpunkt müssen in der Regel die Voraussetzungen für die Erteilung des Visums vorliegen. Voraussetzung für ein Visum nach § 18 Abs. 2 AufenthG ist – neben der Zustimmung der Beigeladenen – allein die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit. Diese Zustimmung lag im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor. Es ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass die Bundesagentur für Arbeit die Zustimmung befristet, zurückgenommen oder widerrufen hat. Zwar ist die Zustimmung als unselbstständige Mitwirkungshandlung kein Verwaltungsakt gegenüber der Klägerin, die gleichsam eine Tatbestandswirkung für die Erteilung des Visums enthielte. Gleichwohl obliegt es schon nach dem eindeutigen Wortlaut des § 20 BeschV allein der Bundesagentur für Arbeit, die Voraussetzungen für die Erteilung der Zustimmung zu prüfen. Hierzu gehört auch, dass die Person über Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Es ist dagegen nicht die Aufgabe der Beklagten, die fehlende Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zu ersetzen oder eine erteilte Zustimmung selbstständig zu widerrufen oder schlicht zu ignorieren. Hat die Beklagte Zweifel, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Zustimmung vorliegen, kann sie dies gegenüber der Bundesagentur geltend machen. Nur soweit die Zustimmung erteilt worden war, obwohl die Voraussetzungen des § 20 BeschV im Zeitpunkt der Zustimmung nicht vorgelegen haben, darf das Visum nicht erteilt werden (§ 18 Abs. 3 AufenthG).

Daraus folgt, dass die Grundkenntnisse der deutschen Sprache jedenfalls zum Zeitpunkt der Zustimmung vorliegen müssen. Lagen die Voraussetzungen zwar vor, verfügt die Person aber zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht mehr über Grundkenntnisse der deutschen Sprache, kann dahinstehen, ob die Bundesagentur für Arbeit die Zustimmung widerrufen kann.

Es kann offen bleiben, ob im Hinblick auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes hinsichtlich der Sprachkenntnisse nicht ohnehin allein auf den Zeitpunkt der Zustimmung abzustellen wäre. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 30. April 1998 - 1 C 12.96 - InfAuslR 1998, S. 382) ist nämlich beim Kindernachzug für die Altersgrenze auf den Zeitpunkt der Antragstellung und nicht auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen, weil sonst der mit der Altersgrenze verfolgte Zweck weitgehend verfehlt würde und weil trotz rechtzeitig gestellten Antrags der dem Minderjährigen zukommende Schutz durch Zeitablauf entfiele. Es liegt auf der Hand, dass auch im Ausland erworbene Sprachkenntnisse durch Zeitablauf verblassen und in Vergessenheit geraten können. Es wäre aber mit dem verfassungsrechtlichen Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewähren, nur schwerlich vereinbar, wenn die Beklagte den Antrag zunächst rechtswidrig ablehnt, um im Anschluss aufgrund des inzwischen eingetretenen Zeitablaufs die Sprachkenntnisse wieder in Zweifel ziehen zu können.

Die Anforderungen für die Grundkenntnisse der deutschen Sprache sind weder im Aufenthaltsgesetz selbst noch in der Beschäftigungsverordnung näher bestimmt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Vertriebenenrecht (Urteil vom 04. September 2003 - 5 C 33.02 - zit. nach juris) ist für die Fähigkeit, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen, die Fähigkeit zu einem einigermaßen flüssigen, in ganzen Sätzen erfolgtem Austausch in Rede und Gegenrede erforderlich, ein durch Nichtverstehen bedingtes Nachfragen oder Suchen nach Worten oder stockendes Sprechen, also ein langsameres Verstehen und Reden als zwischen in Deutschland aufgewachsenen Personen, oder Fehler in Satzbau, Wortwahl und Aussprache sind unschädlich, wenn sie nach Art oder Zahl dem richtigen Verstehen nicht entgegenstehen.

Diese Grundsätze sind auf die Spracherfordernisse für die Erteilung eines Visums für eine Au-pair-Beschäftigung im Wesentlichen übertragbar.

Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine Erteilung des Visums vor. Die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit war zulässig. Die Klägerin hat nämlich durch die Bestätigung des Goethe-Instituts die erforderlichen Grundkenntnisse der deutschen Sprache nachgewiesen, indem sie am 23. Februar 2007 einen mündlichen Deutschtest mit Erfolg abgelegt hat.

Die Erteilung des Visums steht im Ermessen der Beklagten und kann daher nur auf Ermessensfehler geprüft werden (§ 114 VwGO). Der angefochtene Bescheid der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Yaoundé vom 13. Juli 2007 leidet an einem Ermessensausfall. Die Beklagte hat keinerlei Ermessenserwägungen angestellt.

Für eine Ermessensreduzierung auf Null sind allerdings keine hinreichenden Gründe ersichtlich. Zwar sprechen die besondere familiäre Situation der Familie O., der über die Familie erworbene Kontakt zu der Klägerin und die vielfältigen Anstrengungen der Klägerin durch verschiedene Sprachkurse und die Sprachprüfung für die Gewährung des Visums. Die Beklagte wird bei der Neubescheidung zu beachten haben, dass nach den Motiven des Gesetzgebers im Falle der Zustimmung der Arbeitsverwaltung das Ermessen im Weiteren intendiert ist und die Erteilung des Visums nur noch versagt werden sollte, wenn zwischenzeitlich allgemeine Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 entfallen sein sollten (vgl. BT.-Drs. 15/420). Sie wird dabei konkret begründen müssen, welche gewichtigen öffentlichen Interessen dem Interesse der Klägerin an dem einjährigen Au-pair-Aufenthalt entgegenstehen. Dass die Klägerin noch keine genauen Angaben für die Zeit nach dem einjährigen Aufenthalt machen kann, steht der Erteilung des Visums dabei nicht entgegen. Es ist nämlich durchaus üblich, dass für die weitere Zukunft zunächst nur vage Vorstellungen bestehen und zunächst die Erfahrungen aus dem Au-Pair-Aufenthalt abgewartet werden. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nach dem einjährigen Aufenthalt nicht zurückkehren wird, hat die Beklagte nicht aufgezeigt.