VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Beschluss vom 07.02.2008 - 5 L 19/08 - asyl.net: M12944
https://www.asyl.net/rsdb/M12944
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Wohnberechtigungsschein, Rücknahme, Haushaltsangehörige, Lebenspartner, Ausreisepflicht, Vertrauensschutz, Ermessen, Schutz von Ehe und Familie, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: VwVfG § 48 Abs. 1; WoBindG § 5; WoFG § 27 Abs. 2; WoBindG § 18; VwVfG § 84 Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 1; VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

Der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zulässige Antrag ist unbegründet.

Rechtsgrundlage für die Rücknahme des Bescheides vom 5. Dezember 2007 ist § 48 Abs. 1 und 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG).

Dieser Wohnberechtigungsschein war rechtswidrig.

§ 5 des Wohnungsbindungsgesetzes vom 13. November 2001, BGBl. I S. 2404, S. 2406 (WoBindG) sieht vor, dass die Bescheinigung über die Wohnberechtigung (Wohnberechtigungsschein) in entsprechender Anwendung des § 27 Abs. 1 bis 5 des Wohnraumförderungsgesetzes erteilt wird. Diese Voraussetzungen haben während der Gültigkeitsdauer des Wohnberechtigungsscheines nicht vorgelegen.

§ 27 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung vom 13. September 2001, BGBl. I S. 2376, S. 2384 (Wohnraumförderungsgesetz – WoFG –) bestimmt, dass der Wohnberechtigungsschein auf Antrag des Wohnungssuchenden von der zuständigen Stelle für die Dauer eines Jahres erteilt wird. Satz 2 dieser Vorschrift regelt, dass antragsberechtigt Wohnungssuchende sind, die sich nicht nur vorübergehend im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten und die rechtlich und tatsächlich in der Lage sind, für sich und ihre Haushaltsangehörigen nach § 18 auf längere Dauer einen Wohnsitz als Mittelpunkt der Lebensbeziehungen zu begründen und dabei einen selbstständigen Haushalt zu führen. Aus dem Zusammenhang der Sätze 1 und 2 des § 27 Abs. 2 WoFG ergibt sich, dass sowohl der Wohnungssuchende als auch seine Haushaltsangehörigen nach § 18 die in Satz 2 genannten Voraussetzungen erfüllen müssen. Zu den Haushaltsangehörigen im Sinne dieser Vorschrift gehört gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 3 WoFG der Lebenspartner, mithin auch der Lebenspartner der Antragstellerin. Dieser Lebenspartner erfüllt jedoch nicht die in § 27 Abs. 2 Satz 2 WoFG genannte Voraussetzung, dass er sich nicht nur vorübergehend im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhält. Er war – wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist – während der Gültigkeitsdauer des Wohnberechtigungsscheines vollziehbar ausreisepflichtig. Dies bedeutet, dass er innerhalb der ihm gesetzten Frist ausreisen muss und abgeschoben werden darf, wenn er nicht freiwillig ausreist (vgl. §§ 50, 58 des Aufenthaltsgesetzes vom 30. Juli 2004, BGBl. I S. 1950). Dieser aufenthaltsrechtliche Status des Lebenspartners der Antragstellerin schließt es aus, ihn zum begünstigten Personenkreis eines Wohnberechtigungsscheines zu zählen, weil er, wie in § 27 Abs. 2 WoFG vorausgesetzt wird, nicht zu den Wohnungssuchenden gehört, die sich nicht nur vorübergehend im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten. Diese Auslegung wird durch den Sinn und Zweck des Wohnraumförderungsgesetzes bestätigt. § 1 Abs. 2 WoFG nennt als Zielgruppe der sozialen Wohnraumförderung Haushalte, die sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können und auf Unterstützung angewiesen sind. Dieses Ziel kann nur bei denjenigen erreicht werden, die nicht unverzüglich die Bundesrepublik Deutschland verlassen müssen.

Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht durch Urteil vom 13. August 2003 - 5 C 49.01 -, FEVS 55, 129 = NVwZ-RR 2004, 113 (nur Leitsatz) entschieden, dass Asylbewerber, die nicht in einer Aufnahmeeinrichtung oder einer Gemeinschaftsunterkunft wohnen müssen, nach der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung des § 5 WoBindG vom 19. August 1994, BGBl. I S. 2166, S. 2168 antragsberechtigt für einen Wohnberechtigungsschein sind. Dieses Urteil ist hier jedoch nicht einschlägig, weil sich der Wortlaut des § 5 WoBindG zum 1. Januar 2002 in den hier entscheidenden Passagen geändert hat. Hinzu kommt, dass sich Asylbewerber im Besitz einer Aufenthaltsgestattung rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten (vgl. dazu grundlegend BVerwG, Urteil vom 19. Mai 1981 - 1 C 168/79 -, BVerwGE 62, 206) und nicht – wie der Lebensgefährte der Antragstellerin – vollziehbar ausreisepflichtig sind.

Gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG der Begünstigte nicht berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig waren. Dies trifft im Falle der Antragstellerin zu. Sie hat am 23. November 2006 aus Anlass ihres Antrages auf Ausstellung eines Wohnberechtigungsscheines angegeben, dass sie zusammen mit ihrer Tochter eine Haushaltsgemeinschaft bilde. Dagegen hat sie nicht angegeben, dass auch ihr Lebensgefährte die Wohnung beziehen sollte. Dieses Verschweigen der Antragstellerin war kausal für die Erteilung des Wohnberechtigungsscheines. Wenn der Antragsgegner gewusst hätte, dass der Lebensgefährte ebenfalls in die Wohnung einziehen sollte, hätte er den Wohnberechtigungsschein nicht erteilt und aus den vorgenannten Gründen auch nicht erteilen dürfen, weil der Lebensgefährte nicht zum berechtigten Personenkreis des § 27 Abs. 2 WoFG gehört.

Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes entscheidet die zuständige Behörde gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen darüber, ob der rechtswidrige Verwaltungsakt zurückgenommen wird oder nicht. Die Entscheidung des Antragsgegners führt auch nicht zu unangemessenen Nachteilen für die Antragstellerin, ihr Kind und ihren Lebensgefährten. Insbesondere liegt der von der Antragstellerin gerügte Verstoß gegen den Schutz der Familie aus Artikel 6 GG liegt nicht vor. Artikel 6 GG schützt die familiäre Lebensgemeinschaft (Nachweise zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts bei Antoni, in Hömig, Grundgesetz, Kommentar, 8. Auflage 2007, Art. 6 Rz. 7). Der Widerruf des Wohnberechtigungsscheines führt nicht dazu, dass diese Gemeinschaft aufgehoben oder einzelne Mitglieder dieser Gemeinschaft getrennt werden. Vielmehr hat die Rücknahme des Wohnberechtigungsscheines zur Folge, dass der Vermieter die Wohnung kündigen muss oder dass alle Bewohner vom Antragsgegner aufgefordert werden, die Wohnung zu verlassen, um sie einem Personenkreis zugänglich zu machen, der die Voraussetzungen für die Erteilung eines Wohnberechtigungsscheines erfüllt (§ 27 Abs. 6WoFG). Auch bleibt es der Antragstellerin unbenommen, die familiäre Lebensgemeinschaft mit ihrem Kind und ihrem Lebensgefährten in einer nicht steuerlich geförderten Wohnung fortzusetzen.