VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 22.02.2008 - 19 C 07.2884 - asyl.net: M12930
https://www.asyl.net/rsdb/M12930
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Prozesskostenhilfe, Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Parallelverfahren, Verpflichtungserklärung, Bestimmtheit, Befristung, Sittenwidrigkeit, Eingliederungshilfe, Gesamtschuldner, Ermessen
Normen: VwGO § 166; ZPO § 117 Abs. 1; ZPO § 117 Abs. 2; AuslG § 84; AufenthG § 68; AuslG § 20
Auszüge:

Die Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat das Prozesskostenhilfegesuch im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

1. Die Ablehnung des Prozesskostenhilfegesuchs für das Klageverfahren kann nicht darauf gestützt werden, dass eine separate (inhaltsgleiche) Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse – zusätzlich zu derjenigen für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes – nicht vorgelegt worden ist. Der Kläger hat die in § 166 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 ZPO niedergelegte Obliegenheit nicht verletzt.

Die Auffassung des Verwaltungsgerichts – hinsichtlich der im Hinblick auf den Prozesskostenhilfeantrag für beide Verfahren im selben Schriftsatz die Gewährung rechtlichen Gehörs angezeigt gewesen wäre – überspannt die Anforderungen (zur Bedeutung des verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgebots in diesem Zusammenhang vgl. BVerfG v. 14.10.2003 NVwZ 2004, 334 sowie BayVGH vom 26.10.2007 - Az. 24 C 07.2530 - mit Hinweis auf BGH vom 15.5.1990 - MDR 1991, 50 und OLG Bamberg vom 12.04.2000 FamRZ 2001, 628). Zwar ist es im Regelfall demjenigen, der mehrere Klageverfahren betreibt, zumutbar, in jedem Rechtsstreit, für den er Prozesskostenhilfe beantragt, eine neue Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem dafür vorgesehenen Formular abzugeben (vgl. VGH BW vom 24.11.1992 Az. 11 S 2397/92, juris RdNr. 4). Denn das Gesetz sieht die Erklärungs- und Beibringungspflicht des Prozessbeteiligten vor, damit die jeweils zuständigen Gerichte sich nicht im Rahmen der Amtsermittlung auf die Suche nach verwertbaren Erklärungen und Bescheinigungen in möglicherweise nicht ohne weiteres zugänglichen Unterlagen machen müssen. Die Abgabe der formularmäßigen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist jedoch kein Selbstzweck, sondern dient der Klärung der Frage der Bedürftigkeit einer Prozesspartei. Liegt – wie hier – eine solche Erklärung in einem sachlich zusammenhängenden (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, RdNr 4 zu § 166) und gleichzeitig anhängigen Verfahren vor und wird ausdrücklich Bezug auf sie genommen, besteht kein Bedürfnis, sie zu wiederholen.

2. Die Klage gegen den Erstattungsbescheid vom 10. Juli 2006 bietet jedoch auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

a) Die Selbstverpflichtung des Klägers nach der Vorschrift des § 84 AuslG, die in allen hier wesentlichen Gesichtspunkten mit der Vorschrift des § 68 AufenthG inhaltsgleich ist, gilt auch nach dem Außerkrafttreten des Ausländergesetzes fort (§ 102 Abs. 1 Satz 2 AuslG; Funke-Kaiser in GK-AufenthG RdNr. 15 zu § 102) und bildet eine tragfähige Grundlage für den streitigen Erstattungsbescheid.

bb) Die Selbstverpflichtung ist kein öffentlichrechtlicher Vertrag und muss daher den insoweit geltenden Vorschriften nicht genügen.

cc) Die Selbstverpflichtung des Klägers ist nicht deshalb unbestimmt und unwirksam, weil sie eine Befristung nicht enthält.

Zutreffend weist das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 31. Januar 2007 (Az. B 1 S 06.683), den die angegriffene Entscheidung in Bezug nimmt, darauf hin, dass es die Rechtsordnung der Entscheidung des einzelnen überlässt, ob und in welchem Umfang er für den Unterhalt eines Ausländers im Bundesgebiet aufkommen und damit die Voraussetzungen für dessen Aufenthalt schaffen will. Dementsprechend ist im Wege der Auslegung der jeweiligen Verpflichtungserklärung anhand objektiver Umstände (vgl. §§ 133, 157 BGB) konkret zu bestimmen, für welchen Aufenthaltszweck und welche (Gesamt-) Aufenthaltsdauer sie gelten soll. Der Geltungsdauer der Aufenthaltsgenehmigungen kommt dabei grundsätzlich keine entscheidende Bedeutung zu. Ferner kommt es auf die rechtliche Grundlage und nähere Ausgestaltung des Aufenthalts des Ausländers nicht an. Die Unterhaltsverpflichtung erstreckt sich grundsätzlich auch auf Zeiträume illegalen Aufenthalts einschließlich der Dauer einer etwaigen Abschiebung. Sie endet, wenn sie nicht ausdrücklich befristet ist, nach Maßgabe der Auslegung im Einzelfall mit dem Ende des vorgesehenen Aufenthalts oder dann, wenn der ursprüngliche Aufenthaltszweck durch einen anderen ersetzt und dies aufenthaltsrechtlich anerkannt worden ist (BVerwG vom 24.11. 1998, a.a.O. S.8).

dd) Aus dem Umstand, dass der sich Verpflichtende mit der Verpflichtungserklärung einem inneren Gebot zur Hilfeleistung (etwa aufgrund familiärer Verbindung) folgt, sie also in einer als Zwangslage empfundenen Situation abgibt, folgt nicht, dass ihre Entgegennahme durch die Ausländerbehörde sittenwidrig (vgl. Art. 44 Abs. 2 Nr. 6 VwVfG i.V.m. § 138 BGB) oder mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar ist.

Die Entgegennahme der Verpflichtungserklärung durch die Ausländerbehörde war auch nicht deshalb sittenwidrig, weil sie (wie in dem vom VGH Baden-Württemberg am 26.3.1997 - InfAuslR 1997, 309 - entschiedenen Fall) ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers erfolgt wäre. Aufgrund des Verhaltens des Klägers und seiner Ehefrau musste die Behörde davon ausgehen, dass der Nachzug eines schulpflichtigen Kindes ohne wesentliche gesundheitliche Beeinträchtigungen beabsichtigt ist. Zweifel an einer ausreichenden Leistungsfähigkeit des in einem Beschäftigungsverhältnis stehenden Klägers waren daher nicht veranlasst.

ee) Die vom Kläger eingegangene Verpflichtung erstreckt sich nach Inhalt und Reichweite auf die Kosten der von seiner Stieftochter in Anspruch genommenen Eingliederungshilfe.

b) Rechtsfehler hinsichtlich des Erstattungsbescheides vom 10. Juli 2006, der die aus der Verpflichtungserklärung sekundär folgende gesetzliche Pflicht konkretisiert, Aufwendungen öffentlicher Stellen für den Lebensunterhalt des Ausländers zu erstatten, sind nicht hinreichend dargetan (zur Verjährungsfrist vgl. Funke-Kaiser a.a.O. RdNr. 39).

aa) Der Beklagte hat zwar den Bewilligungsbescheid über die Eingliederungshilfe zurückgenommen und die Erstattung der aufgewendeten Kosten von 11.002,56 EUR auch von der Stieftochter des Klägers gefordert (Bescheid ebenfalls vom 10.7.2006). Die Rechtmäßigkeit des an den Kläger gerichteten Erstattungsbescheids hängt jedoch nicht vom Ergebnis des Rechtsstreits um den seine Stieftochter betreffenden Bescheid ab.

Bleibt es letztlich bei dem Bewilligungsbescheid, sind öffentliche Mittel für den Lebensunterhalt der Stieftochter des Klägers aufgewendet worden; der Regel-Anwendungsfall des § 68 Abs. 1 AufenthG liegt vor. Der Abschnitt des Beschwerdevorbringens, durch den eine Rechtswidrigkeit des Rücknahme- und Erstattungsbescheids betreffend die Stieftochter des Klägers dargetan werden soll, ist daher nicht geeignet, das hiesige Klagebegehren zu stützen.

Der Erstattungsanspruch gegen den Kläger besteht dann zwar neben dem gegen seine Stieftochter gerichteten Erstattungsanspruch. Es war jedoch nicht erforderlich, bereits im Rahmen der erlassenen Bescheide die Frage zu klären, ob eine Gesamtschuld vorliegt oder in welchem sonstigen Verhältnis die Ansprüche zu einander stehen. Nachdem die Ansprüche auf den selben Betrag gerichtet sind, ist die Vollstreckung – die nach dem Inhalt der Bescheide vorrangig gegen den Kläger beabsichtigt ist – gegenüber beiden Betroffenen einzustellen, wenn sie den Gesamtbetrag von 11.002,56 EUR erreicht hat. Einer Vollstreckungsmaßnahme, die über diesen Betrag hinaus geht, kann jeder Betroffene (je nach der anzuwendenden Verfahrensordnung durch Widerspruch, Einspruch nach § 347 AO oder Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO) entgegentreten.

bb) Der angefochtene Bescheid ist auch nicht ermessensfehlerhaft.

Eine Ausnahmesituation ist vorliegend nicht erkennbar.