VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Beschluss vom 28.02.2008 - 11 L 103/08 - asyl.net: M12899
https://www.asyl.net/rsdb/M12899
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Schutz von Ehe und Familie, Eltern-Kind-Verhältnis, nichteheliche Kinder, Schwangerschaft, Risikoschwangerschaft, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Eilbedürftigkeit
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2; ; GG Art. 6 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 2; GG Art. 1 Abs. 1; VwGO § 123
Auszüge:

Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne des § 123 Abs. 1 VwGO ist zulässig und begründet.

2. Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Der Antragsgegner ist – bei der im vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung – aufgrund von sich aus Art. 6 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 und 1 Abs. 1 GG im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebenden Schutzwirkungen zu Gunsten des Antragstellers nach gegenwärtigem Sachstand derzeit gehindert, diesen nach Vietnam abzuschieben (so dass im Übrigen auch zumindest eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung im Sinne des § 60 a Abs. 2 AufenthG vorliegen dürfte). Das ergibt sich aus Folgendem:

a) In tatsächlicher Hinsicht ist nach Aktenlage davon auszugehen, dass der nach erfolglosem Asylverfahren bereits seit Ende 2003 unanfechtbar ausreisepflichtige und zwischenzeitlich untergetaucht gewesene Antragsteller mit der vietnamesischen Staatsangehörigen N. seit etwa Mitte August 2007 (wieder) eine Beziehung führt. Am 05.12.2007 wurde der Antragsteller in Abschiebehaft genommen. Weiter ist davon auszugehen, dass Frau N. aus einer früheren Beziehung mit einem deutschen Staatsangehörigen eine Anfang 2007 geborene Tochter deutscher Staatsangehörigkeit hat; sie verfügt deshalb über eine Aufenthaltserlaubnis (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG). Nunmehr erwartet Frau N. von dem Antragsteller ein Kind; berechneter Entbindungstermin ist der 08.07.2008. Nach einem von dem Antragsteller vorgelegten ärztlichen Attest der Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe Dr. F. vom 16.01.2008 und einem vom Antragsgegner eingeholten amtsärztlichen (Kurz-)Gutachten der Frau Dr. T., Gesundheitsamt des Saarpfalz-Kreises, Homburg, besteht eine Risikoschwangerschaft. Weiterhin ist nach gegenwärtigem Sachstand anzunehmen, dass der Antragsteller und Frau N. heiraten wollen, eine standesamtliche Eheschließung jedoch noch nicht eingeleitet und auch eine förmliche Vaterschaftserklärung noch nicht erfolgt ist.

Dabei ist jedenfalls im summarischen Verfahren die deutsche Staatsangehörigkeit der ersten Tochter von Frau N. zugrunde zu legen, und zwar unabhängig von etwaigen Zweifeln an der tatsächlichen Vaterschaft eines deutschen Staatsangehörigen für diese (vgl. dazu im Übrigen auch Urteil der Kammer vom 20.04.2007 - 11 K 48/06 -, m.w.N.).

b) Vor diesem Hintergrund steht dem Antragsteller Abschiebungsschutz aus Art. 6 GG zu (so dass dahinstehen kann, ob ein solcher zugleich aus Art. 8 EMRK folgt) (vgl. zu letzterem auch BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, m.w.N.).

Das Bundesverfassungsgericht betont in ständiger Rechtsprechung, dass dann, wenn eine Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Kind besteht, die nur in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden kann, die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurückdrängt. Das gilt jedenfalls grundsätzlich auch, wenn der Ausländer – wie hier – vor Entstehung der zu schützenden Lebensgemeinschaft gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen hat (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 31.08.1999 – 2 BvR 1523/99 -, NVwZ 2000, 59; BVerfG, Beschluss vom 30.01.2002 – 2 BvR 231/00 -, InfAuslR 2002, 171; BVerfG, Beschluss vom 20.07.2004 – 2 BvR 1001/04 -, InfAuslR 2005, 48; BVerfG, Beschluss vom 08.12.2005 – 2 BvR 1001/04 -, InfAuslR 2006, 122, m.w.N.; BVerfG, Beschluss vom 23.01.2006 – 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2004 – 13 S 990/04 -, InfAuslR 2004, 289, m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.05.2000 – 13 S 2456/99 -, InfAuslR 2000, 395).

Diese Grundsätze gelten regelmäßig auch für den nichtehelichen ausländischen Partner einer schwangeren ausländischen Staatsangehörigen, die über ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügt, im Verhältnis zum werdenden Kind (vgl. Sächs. OVG, Beschluss vom 25.01.2006 - 3 BS 274/05 -, InfAuslR 2006, 279; VG Bremen, Beschluss vom 13.01.2005 - 4 V 2420104 wo -, InfAuslR 2005, 149; VG Regensburg, Beschluss vom 08.01.2002 – RN 9 E 01.2109, InfAuslR 2002, 241; VG Hamburg, Beschluss vom 29.10.2002 - 8 VG 3547/02 -, InfAuslR 2003, 62; VG Berlin, Beschluss vom 04.08.1999 - 20 F 87.98 -, NVwZ 2000, Beil. Nr. 1, 11; VG München, Beschluss vom 13.12.1996 – M 21 E 96.60532 -, InfAuslR 1997, 130; VG Berlin, Beschluss vom 14.09.1995 – VG 11 A 436.95 -, InfAuslR 1995, 415; VG Frankfurt/Main, Beschluss vom 10.10.1994 - 6 G 2678/94 (3) -, InfAuslR 1995, 8; VG München, Beschluss vom 05.12.1991 – M 7 E 91.4601 -, FamRZ 1992, 311; ebenso Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 60 a AufenthG Rdnrn. 150, 152, m.w.N. (Stand: Februar 2008); a.A. wohl OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25.03.1993 - 3 W 9/93 -, m.w.N. (juris); OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.05.2000 - 17 B 622/00 - (juris); Sächs. OVG, Beschluss vom 20.10.2004 - 3 BS 285/04 -, a.a.O.; Bayer. VGH, Beschluss vom 01.02.2006 - 24 CE 06.265 - (juris)).

Das ist – unbeschadet der einfachrechtlichen Regelungen des Aufenthaltsgesetzes - zumindest dann der Fall, wenn es sich – wie hier – um eine Risikoschwangerschaft handelt. Jedenfalls in diesem besonderen Fall kann die nichteheliche Vaterschaft eines Ausländers hinsichtlich des ungeborenen Kindes einer Ausländerin, die als Mutter eines (weiteren, bereits geborenen) Kindes deutscher Staatsangehörigkeit aufenthaltsberechtigt ist, einen Umstand darstellen, der unter den Gesichtspunkten des Schutzes der Familie nach Artikel 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG und der Pflicht des Staates, sich gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG schützend und fördernd vor den nasciturus zu stellen, aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen entfaltet (vgl. Sächs. OVG, Beschluss vom 25.01.2006 - 3 BS 274/05 -, a.a.O., m.w.N.; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 60 a AufenthG Rdnrn. 150, 152, mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen).

Denn die Wahrscheinlichkeit, dass die werdende Mutter unter diesen Umständen durch eine abschiebungsbedingte Trennung Belastungen ausgesetzt ist, die die Leibesfrucht gefährden, ist ungleich höher als bei vorübergehender Trennung während einer normal verlaufenden Schwangerschaft. Die demgemäß aus Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ableitbaren Vorwirkungen führen daher zumindest zu einer Verpflichtung der Ausländerbehörde, bei aufenthaltsbeendenden Entscheidungen die vorfamiliäre Bindung und den Schutz der Leibesfrucht angemessen, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Belange, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Ist der schwangeren Aufenthaltsberechtigten das Verlassen der Bundesrepublik – wie hier mit Blick auf ihre Tochter deutscher Staatsangehörigkeit der Fall – nicht zuzumuten, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie und die Leibesfrucht zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück.

Dem kann der Antragsgegner hier auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Betreuung der werdenden Mutter und deren deutschen Kindes könne auch in Form einer Fremdbetreuung durch staatliche oder caritative Einrichtungen bzw. durch den deutschen Vater ihres ersten Kindes erbracht werden. Zum einen muss gesehen werden, dass Frau N. nach dem fachärztlichen Attest vom 16.01.2008 auf die Hilfe und Unterstützung ihres Partners während der Schwangerschaft und Geburt angewiesen ist und es auch nach dem amtsärztlichen Gutachten vom 28.01.2008 im Interesse der emotionalen Stabilität sinnvoll ist, wenn die (danach erforderliche) Hilfestellung durch den Lebenspartner erfolgt. Und zum anderen verkennt der Antragsgegner insoweit den anzulegenden Maßstab: Es kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im vorliegenden Zusammenhang im Hinblick auf Art. 6 GG gerade nicht darauf an, ob die Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 -, a.a.O.; BVerfG, Beschluss vom 31.08.1999 – 2 BvR 1523/99 -, InfAuslR 2000, 67; BVerfG, Kammerbeschluss vom 20.03.1997 - 2 BvR 260/97 - (juris); BVerfG, Kammerbeschluss vom 25.10.1995 - 2 BvR 901/95 -, NVwZ 1996, 1099; BVerfG, Beschluss vom 18.04.1999 - 2 BvR 1169/84 -, BVerfGE 80, 81).

Unter diesen besonderen Umständen muss sich der Antragsteller hier auch nicht darauf verweisen lassen, vom Heimatland aus ein Visumverfahren zu betreiben. Mit Blick auf die Risikoschwangerschaft seiner Partnerin erschiene dies unzumutbar und unverhältnismäßig, zumal nicht ersichtlich ist, dass im Wege des Visumsverfahrens ein Familiennachzug vorliegend zeitnah erfolgreich zum Abschluss gebracht werden könnte (vgl. auch Sächs. OVG, Beschluss vom 25.01.2006 – 3 BS 274/05 -, a.a.O.; VG München, Beschluss vom 02.12.1991 – M 7 E 91.4601 -, a.a.O.).