VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 23.01.2008 - 1 E 3637/07 - asyl.net: M12889
https://www.asyl.net/rsdb/M12889
Leitsatz:

Eine Wohnsitzauflage ist zulässig bei Ausländern, die keine Flüchtlinge i. S. d. GFK sind und die Sozialhilfe nach dem SGB XII beziehen.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Wohnsitzauflage, Anfechtungsklage, Ermessen, Sozialhilfe, Grundsicherung für Erwerbsunfähige, Verhältnismäßigkeit, Europäisches Fürsorgeabkommen, Genfer Flüchtlingskonvention, Konventionsflüchtlinge, subsidiärer Schutz, Schutz von Ehe und Familie
Normen: AufenthG § 12 Abs. 2; AufenthG § 51 Abs. 6; GFK Art. 23; AufenthG § 25 Abs. 3; GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

Eine Wohnsitzauflage ist zulässig bei Ausländern, die keine Flüchtlinge i. S. d. GFK sind und die Sozialhilfe nach dem SGB XII beziehen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig. Insbesondere handelt es sich bei der Auflage der Wohnsitznahme im Bezirk der die Erlaubnis erteilenden Behörde um eine selbständig anfechtbare Nebenbestimmung. Die belastende Nebenbestimmung ist auch nicht dadurch entfallen, dass die Aufenthaltserlaubnis der Kläger mangels rechtzeitiger Beantragung der Verlängerung erloschen und die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG nicht eingetreten ist. Denn nach § 51 Abs. 6 AufenthG bleiben räumliche und sonstige Beschränkungen und Auflagen auch nach Wegfall des Aufenthaltstitels in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Kläger haben keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Aufhebung oder Änderung der Wohnsitzauflage, denn nach § 12 Abs. 2 AufenthG steht es im Ermessen der Behörde, die Aufenthaltserlaubnis mit einer räumlichen Beschränkung zu verbinden. Dieses Ermessen umfasst sowohl das Ob als auch das Wie einer räumlichen Beschränkung und ermächtigt damit auch zur Auflage der Wohnsitznahme in einem bestimmten Gebiet.

Die ablehnende Entscheidung ist auch nicht ermessensfehlerhaft und verletzt die Kläger deshalb nicht in ihrem Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung (§ 40 VwVfG).

Die Entscheidung ist maßgeblich von der Erwägung getragen, dass die Kläger auf öffentliche Leistungen nach dem SGB XII angewiesen sind und dass es wünschenswert ist, eine Gleichbelastung der öffentlichen Haushalte, die für Leistungen an hilfebedürftige Ausländer aufzukommen haben, dadurch herbeizuführen, dass die Ausländer gleichmäßig auf alle Bundesländer und innerhalb der Bundesländer auf alle Landkreise verteilt werden. Eine solche Verteilung findet bei Asylbewerbern bereits nach Maßgabe der Verteilungsregeln des Asylverfahrensgesetzes (§§ 45ff. AsylVfG) statt. Diese Verteilungsregelung kann nach Abschluss des Asylverfahrens dadurch fortgeschrieben werden, dass die dem Ausländer zu erteilende Aufenthaltserlaubnis mit einer Auflage versehen wird, die ihn verpflichtet, dort wohnen zu bleiben, wo er schon aufgrund der asylverfahrensrechtlichen Regelungen hinverteilt worden ist.

Diese Überlegungen sind jedenfalls in den Fällen zielführend, in denen der betroffene Ausländer Sozialhilfe nach dem zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs bezieht und auch künftig auf solche Leistungen angewiesen ist. Denn Träger der Sozialhilfe sind die kreisfreien Städte und die Landkreise (§ 3 SGB XII). Sie tragen auch die Kosten der Sozialhilfe (vgl. § 5 HAG/SGB XII - GVBl HE 2004, 488).

Die Rechtmäßigkeit der vom Beklagten angestellten Ermessenserwägungen scheitert nicht daran, dass der mit der Wohnsitzauflage verfolgte Zweck nicht legitim wäre. Allerdings wäre die Legitimität des Zwecks der ausgewogenen Lastenverteilung dann nicht gegeben, wenn sich die Kläger auf das Europäische Fürsorgeabkommen vom 11.12.1953 (BGBl 1956 II 564 - EFA) i.V.m. dem gleichzeitig unterzeichneten Zusatzprotokoll (BGBl 1956 II 578 - ZP EFA) berufen könnten. Nach diesem Abkommen ist jeder Vertragsstaat verpflichtet, einem Flüchtling, der sich in irgendeinem Teil seines Gebietes erlaubt aufhält und nicht über ausreichende Mittel verfügt, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und der Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind. Zu diesen Leistungen gehört auch die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach Maßgabe des SGB XII. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts umfassen die "gleichen Bedingungen" unter denen Fürsorgeleistungen nach Art. 1 EFA Flüchtlingen wie den eigenen Staatsangehörigen zu gewähren ist, auch die Bedingungen bezüglich des Aufenthalts- oder Wohnortes. Da die Gewährung von Fürsorgeleistungen an deutsche Staatsangehörige nicht davon abhängt, wo sie ihren Wohnsitz haben oder wo sie sich aufhalten, und ebenso wie die Freizügigkeit eines deutschen Staatsangehörigen nicht zu dem Zwecke beschränkt werden darf, die Zuständigkeit einer bestimmten Gebietskörperschaft für die Gewährung von Sozialhilfe zu begründen, so wenig ist dies auch für Flüchtlinge zulässig (BVerwG, Urt. v. 18.05.2000 - 5 C 29/98 -, BVerwGE 111, 200 TZ 16; OVG Koblenz, Urt. v. 24.08.2006 - 7 A 10492/06.OVG -, InfAuslR 2006, 492).

Indessen können sich die Kläger nicht auf diese Regelung berufen. Denn sie sind keine Flüchtlinge im Sinne des Art. 2 ZP EFA. Dies ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass das von ihnen betriebene Asylverfahren nicht zur Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG 1990 und damit auch nicht zur Anerkennung des Flüchtlingsstatus geführt hat, sondern nur zur Feststellung, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 AuslG 1990 (jetzt: § 60 Abs. 7 AufenthG) vorliegen. Denn der subjektive Rechtsanspruch aus dem Europäischen Flüchtlingsabkommen (vgl. dazu BVerwG a.a.O TZ 9) hängt nicht davon ab, dass der Ausländer einen bestimmten Aufenthaltstitel hat und auch nicht davon, dass sein Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) anerkannt worden ist, sondern allein davon, dass er "Flüchtling" im Sinne des Genfer Abkommens ist (vgl. Art. 1 ZP EFA). Das ist der Fall, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt (Art. 1 A 2 GFK), keiner der Ausschlussgründe des Art. 1 D, E und F GFK vorliegt und die Flüchtlingseigenschaft auch nicht nach Maßgabe des Art. 1 C GFK weggefallen ist. Sofern die Flüchtlingseigenschaft nicht schon in einem Asylverfahren festgestellt worden ist, müssen diese Voraussetzungen im Rahmen der Entscheidung über die Anwendbarkeit des EFA inzident geprüft werden.

Im vorliegenden Falle ergibt sich aus den dem Gericht vorliegenden Akten schon nicht, dass die Kläger zum Zeitpunkt ihrer Flucht nach Deutschland Flüchtlinge im Sinne der GFK waren. Die Kläger haben aber auch vor dem jetzt erkennenden Gericht nichts vorgetragen, dass ihren damaligen Flüchtlingsstatus begründen könnte. Auch dafür, dass heute die Voraussetzungen vorliegen und es sich insoweit um Sur-Place-Flüchtlinge handelt, ist nichts vorgetragen oder ersichtlich.

Aus den vorstehenden Gründen kommt auch ein Anspruch auf Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen nach Art. 23 GFK nicht in Betracht, so dass offen bleiben kann, ob diese Vorschrift ein unmittelbares subjektives Recht gewährt oder nicht (offen lassend: BVerwG 01.03.1957 - 1 C 80.55 - Rn 13; bejahend: BVerwG 04.06.1991 - 1 C 42/88 - Rn 13 ff; verneinend: BVerwG 21.01.1992 - 1 C 21/87 - Rn 15 f.; BVerwG 18.01.1994 - 9 C 48/92 - Rn 14; für einen Anspruch nur bei Anerkennung: BVerwG Urt. v. 15.01.2008 - 1 C 17.07 - (Presseerklärung)).

Die Ermessensentscheidung leidet auch nicht daran, dass das Mittel der Wohnsitzauflage im Hinblick auf den verfolgten Zweck ungeeignet wäre (so aber OVG Koblenz, Urt. v. 24.08.2006 - 7 A 10492/06.OVG -, InfAuslR 2006, 493). Es trifft zwar zu, dass die Kläger durch die Wohnsitzauflage nicht gehindert werden, im Bundesgebiet zu reisen und im Bedarfsfall jeweils am Ort ihres Aufenthalts Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen (§ 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Indessen ist schon angesichts der schweren Erkrankungen und dem fortgeschrittenen Alter der Kläger nicht damit zu rechnen, dass Sie ständig auf Reisen sind. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass sie sich regelmäßig auch an ihrem Wohnort aufhalten und folglich auch die für diesen Wohnort zuständige Behörde in Anspruch nehmen. Im Übrigen sind für zahlreiche Leistungen, insbesondere die der Grundsicherung im Alter oder für stationäre Leistungen die Sozialhilfebehörde zuständig, in deren Bereich der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 98 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 SGB XII). Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I). Dazu gehört die Wohnung, für die er gemeldet ist. Unter diesen Umständen wäre es sogar unverhältnismäßig, wenn die Kläger einer räumlichen Beschränkung des Aufenthalts unterworfen worden wären, da ihnen damit auch das gelegentliche Reisen, insbesondere also auch Besuche bei den Kindern in Aachen unmöglich gemacht worden wäre, obwohl davon eine nachhaltige Verlagerung der Lastenverteilung nicht zu befürchten ist.

Die Ermessenserwägungen sind auch nicht etwa deshalb fehlerhaft, weil sie das private Interesse der Kläger an der Fürsorge durch ihre Familienangehörigen in einer die Grenzen der Zumutbarkeit verletzenden Weise dem öffentlichen Interesse an einer Lastenverteilung opfert. Die Entscheidung orientiert sich an dem Erlass des Hessischen Ministeriums des Inneren und für Sport vom 26.07.2005. In diesem Erlass ist dieser Gesichtspunkt, nämlich die Sicherstellung der benötigten Pflege von Betroffenen, die wegen ihres Alters oder wegen ihrer Krankheit oder Behinderung pflegebedürftig sind, durch Familienangehörige berücksichtigt. Mit dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (Beschluss v. 02.01.2008 - 9 TP 2561/07 -) ist zwar davon auszugehen, dass dieser Gesichtspunkt nicht schon dann außer Betracht bleiben kann, wenn die Pflege der Kläger durch die Töchter aus sozialmedizinischer Sicht nicht notwendig ist. Denn die Pflege durch Familienangehörige ist grundsätzlich der Pflege durch professionelle Pflegedienste auch rechtlich vorzuziehen. Familienangehörige, die einander Pflegeleistungen erbringen, bilden eine Beistandsgemeinschaft, die unter dem besonderen Schutz des Art. 6 GG steht. Diese Beistandsgemeinschaft verliert ihre Funktion nicht dadurch, dass die Lebenshilfe auch durch Dritte erbracht werden kann (BVerfG, B v. 12.12.1989 - 2 BvR 377/88 -, NJW 1990, 895; B. v. 25.10.1995 - 2 BvR 901/95 -, DVBl 1996, 195). Das Interesse an der Herstellung und Aufrechterhaltung einer familiären Beistandsgemeinschaft geht wegen seines grundrechtlichen Schutzes nicht nur einwanderungspolitischen Belangen vor, sondern auch dem rein fiskalische Interessen an einer gleichen Lastenverteilung unter den Trägern der Sozialhilfe.

Indessen ist bisher seitens der Kläger überhaupt nicht deutlich gemacht worden, wie die Betreuung und Pflege der Eltern durch die Töchter angesichts deren eigener Berufstätigkeit überhaupt sichergestellt werden soll.

Die im Hinblick auf Art. 6 GG zu respektierende Familiensolidarität kann im Übrigen auch ohne eine Umverteilung der Belastungen öffentlicher Haushalte dadurch ermöglicht werden, dass sich die Töchter einen Arbeitsplatz in der Nähe des Wohnortes ihrer Eltern suchen und hier ihren Wohnsitz nehmen. Dieser Gesichtspunkt darf in die Ermessenerwägungen eingehen. Dem steht auch nicht die Regelung in dem Erlass des Hessischen Ministeriums des Inneren und für Sport entgegen, wonach die Ausländerbehörde des Zuzugsortes die Zustimmung zur Änderung der Wohnsitzauflage nicht allein unter Hinweis darauf verweigern darf, dass der Zweck des Wohnsitzwechsels auch an einem anderen Ort erreicht werden kann (so aber HessVGH a.a.O). Diese Regelung bezieht sich nämlich nicht auf einen Vergleich zwischen der Situation am derzeitigen Wohnort und der Situation an dem vom Ausländer angestrebten Wohnort, sondern auf einen Vergleich zwischen der Situation an dem vom Ausländer angestrebten Wohnort und der Situation an irgendeinem dritten Ort. Nur der letztgenannte Vergleich soll nicht angestellt werden dürfen, weil dies im Ergebnis dazu führen würde, dass jede um Aufnahme ersuchte Gebietskörperschaft sich dadurch aus der Verantwortung ziehen könnte, dass sie auf irgendeine andere Gebietskörperschaft verweist. Der Vergleich zwischen der Situation am derzeitigen Wohnort und der Situation am angestrebten Wohnort muss jedoch möglich sein, weil nur so die Erforderlichkeit einer Änderung der Wohnsitzauflage ermittelt werden kann. Die Kläger müssten deshalb, um ihrem Anliegen zum Erfolg zu verhelfen, auch vortragen können, dass den Töchtern die Verlegung ihres Lebensmittelpunktes in den Wohnbereich der Eltern nicht zumutbar wäre. Indessen haben die Kläger auch hierzu bisher nichts vorgetragen.