OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.02.2008 - 19 A 3230/06.A - asyl.net: M12874
https://www.asyl.net/rsdb/M12874
Leitsatz:
Schlagwörter: Verfahrensrecht, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Ablehnungsbescheid, isolierte Anfechtungsklage, Rechtsschutzinteresse, Zielstaatsbezeichnung, Abschiebungsandrohung, Staatsangehörigkeit ungeklärt, Folgeantrag, Wiederaufgreifensantrag, Ermessen, Bindungswirkung, Ausländerbehörde
Normen: AufenthG § 60 Abs. 2 - 7; AuslG § 53; AsylVfG § 42 S. 1; AufenthG § 59 Abs. 4; AuslG § 70 Abs. 3; VwVfG § 51 Abs. 5
Auszüge:

Die zugelassene und auch sonst zulässige Berufung ist begründet.

Der Senat kann offen lassen, ob das Verwaltungsgericht die negative Feststellung zu § 53 AuslG in Nr. 3 des streitbefangenen Bescheides auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung zu Recht aufgehoben hat. Unabhängig davon hat die Berufung der Beklagten Erfolg, weil die isolierte Anfechtungsklage jedenfalls im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unzulässig geworden ist. Seitdem hat der Kläger das Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte Aufhebung dadurch verloren, dass die Beklagte erklärt hat, ihr Ermessen nach § 51 Abs. 5 VwVfG hinsichtlich der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG im Falle eines Folgeantrages des Klägers in seinem Sinne auszuüben.

Die isolierte Anfechtungsklage gegen die Ablehnung eines begünstigenden Verwaltungsaktes setzt ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis voraus, das über das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis hinausgeht. Denn der Kläger kann sein Ziel in diesem Fall ebenso gut durch eine Verpflichtungsklage erstreiten, welche die Aufhebung des Versagungsbescheids umfasst, soweit er entgegensteht. Insofern ist grundsätzlich von einem Vorrang der Verpflichtungsklage auszugehen. Eine Bejahung dieses besonderen Rechtsschutzbedürfnisses kommt nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn sich das Verpflichtungsbegehren erledigt hat oder der Kläger jedenfalls den Verwaltungsakt nicht mehr erstrebt, die Ablehnung aber eine selbständige Beschwer enthält (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. November 2006 - 1 C 10.06 -, juris Rn. 17).

Im vorliegenden Fall enthält die negative Feststellung zu § 53 AuslG eine solche selbstständige Beschwer jedenfalls seit der Erklärung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht mehr. Weder hat die negative Feststellung zu § 53 AuslG zur Folge, dass der Kläger Abschiebungsverbote in Bezug auf seinen wirklichen Herkunftsstaat oder einen anderen für seine Abschiebung in Betracht kommenden Staat künftig nur noch im Wege des Wiederaufgreifens nach § 51 VwVfG geltend machen kann (1.), noch entfaltet diese Feststellung Bindungswirkung für die Ausländerbehörde nach § 42 Satz 1 AsylVfG (2.) oder löst sie die Präklusion nach § 59 Abs. 4 AufenthG aus (3.).

1. Jedenfalls in der vorliegenden Fallkonstellation ist davon auszugehen, dass der Kläger im Fall einer späteren Konkretisierung des Zielstaates Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG gegenüber dem Bundesamt ohne Beschränkungen im Sinne des § 51 VwVfG geltend machen kann. Das Bundesamt hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erklärt, dass es im Falle eines Folgeantrags hinsichtlich der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG von dem Ermessen gemäß § 51 Abs. 5 VwVfG im Sinne des Klägers Gebrauch machen werde. Diese Erklärung gewährleistet, dass der Kläger im Fall einer späteren Konkretisierung des Zielstaates durch Stellung eines Asylfolgeantrags im Sinne des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG eine erneute Sachentscheidung des Bundesamtes in Bezug auf die in Rede stehenden Abschiebungsverbote unabhängig vom Vorliegen von Wiederaufgreifensgründen beanspruchen kann. Insbesondere kann ihm insoweit nicht im Sinne des § 51 Abs. 2 VwVfG entgegen gehalten werde, dass er seinen wahren Herkunftsstaat in diesem Verfahren nicht offenbart hat und somit auf diesen bezogene Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG schon früher hätte geltend machen können. Entsprechendes gilt für die dreimonatige Antragsfrist im Sinne des § 51 Abs. 3 VwVfG.

Der Senat weist klarstellend darauf hin, dass die in Rede stehende Erklärung des Bundesamtes zu § 51 Abs. 5 VwVfG so zu verstehen ist, dass das Bundesamt nicht nur im Fall eines Asylfolgeantrags, sondern auch sowohl im Fall eines auf Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG beschränkten Wiederaufgreifensantrags als auch im Rahmen einer entsprechenden Beteiligung im Sinne des § 72 Abs. 2 AufenthG eine erneute Sachprüfung in Bezug auf einen zukünftig konkretisierten Zielstaat durchführen wird.

2. Die streitbefangene Feststellung im Sinne des § 53 AuslG löst darüber hinaus im Verhältnis zwischen Bundesamt und der zuständigen Ausländerbehörde mangels hinreichender inhaltlicher Bestimmtheit keine Bindungswirkung nach § 42 Satz 1 AsylVfG aus, weil das Bundesamt diese Feststellung auf den nicht näher bezeichneten Herkunftsstaat des Klägers bezogen hat. Nach § 42 Satz 1 AsylVfG ist die Ausländerbehörde an die Entscheidung des Bundesamtes oder des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 5 oder 7 AufenthG gebunden. Derartige Entscheidungen beziehen sich im Regelfall auf den Herkunftsstaat des Ausländers; das Bundesamt kann solche Feststellungen jedoch auch bezüglich anderer Staaten, die für eine Abschiebung in Betracht kommen, gewissermaßen "auf Vorrat" treffen (BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 2001 - 1 C 11.01 -, BVerwGE 115, 267 (272 f.), und vom 10. Juli 2003 - 1 C 21.02 -, BVerwGE 118, 308 (311 f.); OVG NRW, Beschluss vom 29. September 2006 - 11 A 1138/05.A -, S. 3 des Beschlussabdrucks).

Davon abweichend ist der streitbefangene Bescheid jedoch dahin zu verstehen, dass das Nichtvorliegen von Abschiebungshindernissen hinsichtlich des noch unbekannten Herkunftsstaates festgestellt worden ist.

In Fällen wie dem vorliegenden folgt der Ausschluss der Bindungswirkung gemäß § 42 Satz 1 AsylVfG allgemein aus der Funktion der in Rede stehenden besonderen Feststellung des Bundesamts. Mit dieser soll letztlich ebenso wie mit der Zielstaatsbezeichnung in der Abschiebungsandrohung eine für die Ausländerbehörde eindeutige und verbindliche Regelung getroffen werden, die der Zuständigkeitsverteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörde bei der Behandlung erfolgloser Asylbewerber gerecht wird. Eine Feststellung, die von der Ermittlung des Herkunftsstaates des Klägers oder eines anderen Staates, in den er abgeschoben werden kann, abhängig ist, stellt aber keine hinreichend bestimmte Entscheidung über zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse dar und kann daher auch keine Bindungswirkung nach § 42 Satz 1 AsylVfG entfalten (BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 2001 - 1 C 11.01 -, a. a. O., S. 273 f.).

3. Der Kläger kann eine Verbesserung seiner Rechtsstellung durch eine Aufhebung der streitbefangenen Feststellung zu § 53 AuslG auch im Hinblick auf die (formelle) Präklusion nach § 59 Abs. 4 AufenthG (§ 70 Abs. 3 AuslG) nicht erreichen. Die in § 59 Abs. 4 AufenthG geregelten Rechtsfolgen knüpfen tatbestandlich nicht an die Unanfechtbarkeit der Feststellung in Bezug auf Abschiebungsverbote der in Rede stehenden Art an, sondern an die Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung. Diese ist bestandskräftig und nicht mehr Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens. Zudem setzt der Ausschluss von Einwendungen nach § 59 Abs. 4 AufenthG, woran es hier fehlt, eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Bezeichnung eines konkreten Zielstaates in der Abschiebungsandrohung voraus (zu § 70 Abs. 3 AuslG: BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2000 - 9 C 42.99 -, BVerwGE 111, 343 (348)).

Der Senat weist abschließend darauf hin, dass sich die vorliegende Sacherhaltsgestaltung wegen der Erklärung des Bundesamtes zur Ermessensausübung nach § 51 Abs. 5 VwVfG im Sinne des Klägers maßgeblich von den Fällen unterscheidet, in denen das Bundesamt die Feststellung im Sinne des § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG auf einen unbekannten Herkunftsstaat bezieht und eine derartige Erklärung im Einzelfall nicht abgibt. Insoweit ist nämlich grundsätzlich von einem Rechtsschutzinteresse für ein entsprechendes Aufhebungsbegehren auszugehen, weil zumindest zu besorgen ist, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG im Fall einer späteren Konkretisierung des Zielstaates nur nach Maßgabe des § 51 VwVfG zu prüfen sein können (Hamb. OVG, Urteil vom 27. August 2002 - 3 Bf 415/01.A -, juris Rn. 26; siehe auch BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2000 - 9 C 42.99 -, a.a.O., S. 349).