SG Aachen

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Zitieren als:
SG Aachen, Urteil vom 26.02.2008 - S 20 AY 1/08 - asyl.net: M12872
https://www.asyl.net/rsdb/M12872
Leitsatz:

§ 44 SGB X (Rücknahme eines Verwaltungsakts) ist auch auf Ablehnungsbescheide nach dem AsylbLG anwendbar; bei der 48-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG zählen auch Zeiten mit, in denen der Ausländer nur wegen zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens keine Leistungen nach dem AsylbLG bezogen hat.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Rücknahme, Verwaltungsakt, Aufenthaltsdauer, 36-Monats-Frist, 48-Monats-Frist, Einkommen
Normen: SGB X § 44; AsylbLG § 9 Abs. 3; AsylbLG § 2 Abs. 1
Auszüge:

§ 44 SGB X (Rücknahme eines Verwaltungsakts) ist auch auf Ablehnungsbescheide nach dem AsylbLG anwendbar; bei der 48-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG zählen auch Zeiten mit, in denen der Ausländer nur wegen zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens keine Leistungen nach dem AsylbLG bezogen hat.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Beklagte hat zu Unrecht die Rücknahme des Bescheides vom 06.08.2007 gem. § 44 SGB X abgelehnt. Denn bei Erlass dieses Verwaltungsaktes ist das Recht unrichtig angewandt worden; dadurch sind der Klägerin zu geringe Sozialleistungen erbracht worden.

Die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 44 SGB X ergibt sich ausdrücklich aus § 9 Abs. 3 AsylbLG. Soweit das Verwaltungsgericht Münster unter Hinweis auf Strukturprinzipien des Sozialhilferechts ("keine Hilfe für die Vergangenheit") und die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 15.12.1983 - 5 C 65/82 = BVerwGE 68, 285 = FEVS 33, 133; Urteil vom 13.11.2003 - 5 C 26/02 = FEVS 55, 320) die entsprechende Anwendbarkeit des § 44 SGB X auf AsylbLG-Leistungen abgelehnt hat (VG Münster, Urteil vom 04.10.2005 - 5 K 1271/03), folgt die Kammer dieser Entscheidung nicht. Die vom VG Münster bemühte Entstehungsgeschichte stützt die Auffassung des VG nicht. Zwar heißt es in der Gesetzesbegründung, mit der entsprechenden Anwendung der aufgeführten Vorschriften des SGB X werde der zuständigen Behörde die Möglichkeit gegeben, einen Rückforderungsanspruch geltend zu machen, wenn z.B. zunächst nicht bekannt war, dass der Leistungsberechtigte über eigenes Einkommen verfügt und ihm daher zu Unrecht Leistungen erbracht worden sind, weshalb in solchen Fällen die Vorschriften über die Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten und die Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistung entsprechende Anwendung finden sollten (vgl. BT-Drucksache 13/2746, S. 17). Jedoch hat der Gesetzgeber eben nicht nur die §§ 45 bis 50 SGB X, die die Rücknahme, den Widerruf und die Aufhebung von Verwaltungsakten und die Erstattung von Leistungen zu Ungunsten von Leistungsempfängern regeln, sondern auch die Vorschrift des § 44 SGB X, der die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes zu Gunsten des Leistungsberechtigten regelt, für anwendbar erklärt. Trotz mehrfacher Änderungen des AsylbLG und zahlreicher Möglichkeiten zur Änderung dieses Gesetzes ist der Verweis auf § 44 SGB X in § 9 Abs. 3 AsylbLG nicht gestrichen worden. Daraus wird deutlich, dass eine Zugunstenentscheidung entsprechend § 44 SGB X im AsylbLG vom Gesetzgeber gewollt war und ist. Ohnehin ist fraglich, ob die frühere Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zur Nichtanwendbarkeit des § 44 SGB X im Sozialhilferecht noch Bestand hat.

Für den allein streitbefangenen Anspruch für August 2007 war noch § 2 Abs. 1 AsylbLG in der bis 27.08.2007 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) anzuwenden.

Für den Anspruch für August 2007 hat die Klägerin die noch maßgebliche 36-Monate-Frist erfüllt. Vom 07.07.2004 bis 31.07.2007 sind ihr für einen Teilmonat (Juli 2004) und für 36 volle Monate (August 2004 bis Juli 2007) Leistungen nach § 3 AsylbLG bewilligt worden. Der Beklagte hat für den gesamten Zeitraum den asylbewerberleistungsrechtlichen Bedarf der Klägerin und ihrer Kinder Monat für Monat berechnet und festgestellt. Lediglich in den 3 Monaten (Dezember 2005, Juli und August 2006), in denen das - unterschiedliche hohe - Einkommen des Lebensgefährten und Kindesvaters den Bedarf der Klägerin und ihrer Kinder überschritt, wurde keine Leistung an sie ausgezahlt. Nach dem Sinn und Zweck des § 2 Abs. 1 AsylbLG ist aber dessen Vorgabe "über einen Zeitraum von insgesamt 36 (48) Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben" auch dann als erfüllt anzusehen, wenn ein Leistungsberechtigter über einen Zeitraum vom mindestens 36 (48) Monaten Anspruch auf Leistungen nach § 3 AsylbLG hatte und diese Leistungen erhalten oder nur wegen zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht bezogen hat.