OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.03.2008 - 18 B 191/08 - asyl.net: M12859
https://www.asyl.net/rsdb/M12859
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Verlängerungsantrag, Aufenthaltserlaubnis, Fiktionswirkung, Fortgeltungsfiktion, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Unionsbürger, deutsche Staatsangehörigkeit, Familienangehörige, Mehrstaatigkeit
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AufenthG § 81 Abs. 3; AufenthG § 81 Abs. 4; AufenthG § 84 Abs. 1; FreizügG/EU § 11 Abs. 1; RL 2004/38/EG Art. 3 Abs. 1
Auszüge:

Hinsichtlich der Versagung einer Aufenthaltserlaubnis hat das Verwaltungsgericht den von den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers gestellten Aussetzungsantrag zu Recht abgelehnt. Der nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellte Antrag ist - was das Verwaltungsgericht noch offen gelassen hat - bereits unzulässig. Als Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers nur auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ablehnende Verfügung vom 2. August 2007 gerichtet sein, soweit und sofern diese die Wirkungen eines belastenden Verwaltungsaktes hat, indem sie ein Bleiberecht des Antragstellers in Form einer auf Grund von § 81 Abs. 3 bzw. 4 entstandenen Duldungs-, Erlaubnis- oder Fortbestandsfiktion beendet.

Im Falle des Antragstellers ist die Ausreisepflicht jedoch nicht durch die angefochtene Versagungsverfügung eingetreten oder vollziehbar geworden. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat keine der Fiktionswirkungen begründet. Der zum Familiennachzug ohne das gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 (EG-Visa-VO) erforderliche Visum eingereiste türkische Antragsteller hielt sich zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf und hatte niemals einen Aufenthaltstitel (§ 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) inne, so dass weder § 81 Abs. 3 noch § 81 Abs. 4 AufenthG eingreift.

Dem Widerspruch kommt auch nicht gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung zu, die durch einen feststellenden Ausspruch festzustellen wäre. Eine aufschiebende Wirkung ist gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ausgeschlossen. Dessen Anwendung steht im Gegensatz zur Ansicht des Antragstellers nicht § 11 Abs. 1 FreizügG/EU entgegen, der die vorgenannte Norm für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörige nicht - wie erforderlich (vgl. §§ 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG, 1 FreizügG/EU) - für anwendbar erklärt. Denn der Antragsteller gehört nicht zu den freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers.

Der Antragsteller hat nicht - was hier allein in Betracht kommt - als Ehemann einer freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgerin ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben. Seine Ehefrau ist zwar italienische Staatsangehörige und lebt in Deutschland. Damit gehört sie zu den Personen, auf die das Freizügigkeitsgesetz/EU (vgl. dessen § 1) prinzipiell Anwendung findet. So verhält es sich hier aber nicht. Das Freizügigkeitsgesetz/EU ist auf die Ehefrau des Antragstellers nicht anzuwenden. Diese hält sich nicht - wie von § 1 FreizügG/EU verlangt - als Unionsbürgerin in einem anderen Mitgliedstaat, sondern als (zugleich) deutsche Staatsangehörige im Staat ihrer Staatsangehörigkeit auf.

Ein Unionsbürger, der - wie die Ehefrau des Antragstellers - die Staatsangehörigkeit zweier Mitgliedstaaten der Gemeinschaft besitzt und sich in einem Staat seiner durch Geburt erworbenen Staatsangehörigkeit aufhält, vermag seinem Ehegatten, der nicht Unionsbürger ist, kein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht zu vermitteln. Denn die Anwendung der nunmehr in der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 29. April 2004 - Unionsbürgerrichtlinie, im Folgenden: Richtlinie 2004/38/EG - (ABl. L 158 vom 30.4.2004, S. 35; ber. ABl. L 229 vom 29.6.2004, S. 35) zusammengefasst enthaltenen Regelungen über die allgemeine Freizügigkeit setzt ebenso wie die durch sie abgelösten Regelungen voraus, dass ein Unionsbürger die durch die Richtlinie gewährten Freiheiten wahrgenommen hat bzw. wahrnimmt. Entsprechendes hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu den durch die Richtlinie 2004/38/EU abgelösten Richtlinien wiederholt entschieden. Dabei hat er ausgeführt, dass die Gemeinschaftsregelungen über die Freizügigkeit nicht auf Situationen anwendbar seien, die keinerlei Anknüpfungspunkt zu irgendeiner der durch Gemeinschaftsrecht erfassten Situationen aufweisen. Folglich könnten diese Regelungen nicht auf Situationen von Personen angewandt werden, die von den Freiheiten nie Gebrauch gemacht haben (vgl. EuGH, Urteile vom 11 Juli 2002 - C-60/00 -(Carpenter), InfAuslR 2002, 373, vom 25. Juli 2002 - C-459/99 - (MRAX), InfAuslR 2002, 417, und vom 14. April 2005 - C-157/03 - (Kommission gg. Spanien), InfAuslR 2005, 229).

Diese Grundsätze haben unverändert Bestand. Die Richtlinie 2004/38/EU hat insoweit keine Änderungen gebracht. Verdeutlicht wird dies bereits durch die Erwägungsgründe der Richtlinie. Schon der dritte Erwägungsgrund greift in seinem ersten Satz die vorstehend zitierte Rechtsprechung des EuGH mit der Formulierung auf, dass die Unionsbürgerschaft der grundsätzliche Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten sein soll, wenn sie ihr Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt wahrnehmen (Hervorhebung durch den Senat). Daran anschließend wird im nächsten Satz sowie dem folgenden vierten Erwägungsgrund deutlich, dass die Richtlinie 2004/38/EU an die bestehende Rechtslage anknüpfen will. Mit jener sollen in einem einzigen Rechtsakt die bis dahin in verschiedenen Regelungen enthaltenen bereichsspezifischen und fragmentarischen Ansätze der Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechte überwunden und die Ausübung dieser Rechte erleichtert werden.

Schließlich und vor allem setzt die Richtlinie 2004/38/EU nach ihrem Wortlaut im Art. 3 Abs. 1 die Inanspruchnahme der gemeinschaftlichen Freiheiten voraus. Dort wird in dem hier interessierenden Teil bestimmt, dass die Richtlinie für jeden Unionsbürger gilt, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält.

Davon ausgehend beurteilt sich der Rechtsstatus der Ehefrau des Antragstellers und damit auch der seinige nicht nach dem Gemeinschaftsrecht, weil jene seit ihrer Geburt (auch) die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und sie deshalb zu keinem Zeitpunkt die Freizügigkeitsrechte für Unionsbürger beanspruchen musste, um nach Deutschland einzureisen, sich hier aufzuhalten und sich hier frei zu bewegen zu können. Dies alles ermöglichte ihr bereits die deutsche Staatsangehörigkeit.