Die Versagung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG n.F. oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG nach § 9a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG setzt, wenn sie auf spezialpräventive Gründe gestützt wird, die Gefahr weiterer Straftaten oder Rechtsverstöße durch den Antragsteller voraus, wobei hinsichtlich des Grades der Wahrscheinlichkeit auf das bedrohte Rechtsgut und die schützenswerten Belange des Ausländers Rücksicht zu nehmen ist.
Wird die Ablehnung einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützt wird, setzt dies die Begehung oder Verurteilung wegen einer schwerwiegenden Tat voraus.
Die Versagung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG n.F. oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG nach § 9a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG setzt, wenn sie auf spezialpräventive Gründe gestützt wird, die Gefahr weiterer Straftaten oder Rechtsverstöße durch den Antragsteller voraus, wobei hinsichtlich des Grades der Wahrscheinlichkeit auf das bedrohte Rechtsgut und die schützenswerten Belange des Ausländers Rücksicht zu nehmen ist.
Wird die Ablehnung einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützt wird, setzt dies die Begehung oder Verurteilung wegen einer schwerwiegenden Tat voraus.
(Amtliche Leitsätze)
Die zulässige Klage ist begründet, da der Kläger einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis hat (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Streitig zwischen den Beteiligten ist allein, ob § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG der Erteilung der Niederlassungserlaubnis entgegensteht.
Nach dieser Bestimmung dürfen Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung unter Berücksichtigung der Schwere oder der Art des Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder der vom Ausländer ausgehenden Gefahr unter Berücksichtigung der Dauer des bisherigen Aufenthalts und dem Bestehen von Bindungen im Bundesgebiet nicht entgegenstehen. Dies ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht der Fall.
Bei der Auslegung der Bestimmung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG, die durch das EU-Aufenthalts- und Asylrechts-RL-Umsetzungsgesetz vom 19.08.2007 neu gefasst wurde, ist maßgebend auf Wortlaut, Systematik und Gesetzgebungsgeschichte abzustellen.
Im Gegensatz zur vorherigen Rechtslage, wonach eine Verurteilung in den letzten drei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder einer Geldstrafe von mindestens 180 Tagessätzen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG a.F.) und das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG – so jedenfalls ein Teil der Rechtsprechung (vgl. etwa: VG Karlsruhe, Urteil vom 19.10.2005 – 10 K 883/04 - ) – der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis entgegenstand, ist nunmehr eine Abwägung zwischen den Belangen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und den Interessen des Ausländers vorzunehmen und nicht mehr allein auf die Tatsache einer strafgerichtlichen Verurteilung oder eines Gesetzesverstoßes abzustellen.
Bei der Auslegung ist weiterhin der systematische Zusammenhang zu und der identische Wortlaut in § 9a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG n.F. in den Blick zu nehmen. Dies ist gesetzgeberisch gewollt, es soll hier eine Parallele zwischen der Niederlassungserlaubnis und der Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG bestehen (vgl. BR-Drs. 224/07 S. 266):
Der Text des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 wird an den Text des neuen § 9a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 angepasst. Dies dient zum einen der in § 9a Abs. 1 Satz 2 und 3 ausdrücklich geregelten Parallelität von Niederlassungserlaubnis und Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG, ….
Hierdurch wird auch vermieden, dass ein in dieser Hinsicht unnötiger Unterschied zwischen den Anforderungen entsteht, die für die Erteilung der jeweiligen dauerhaften Rechtsstellung nach § 9 einerseits und nach § 9a andererseits gestellt werden.
Inhaltlich hat sich die Auslegung an der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. Nr. L 16 S. 44) orientieren. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 dieser Richtlinie können die Mitgliedstaaten die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit versagen. Jedoch muss ein Mitgliedstaat, wenn er eine entsprechende Entscheidung trifft, nach Satz 2 die Schwere oder die Art des Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit oder die von der betreffenden Person ausgehende Gefahr berücksichtigen und dabei auch der Dauer des Aufenthalts und dem Bestehen von Bindungen im Aufenthaltsstaat angemessen Rechnung tragen. Nach der achten Erwägung zu dieser Richtlinie sollten Drittstaatsangehörige, die die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erlangen und behalten möchten, keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen. Der Begriff der öffentlichen Ordnung kann dabei die Verurteilung wegen der Begehung einer schwerwiegenden Straftat umfassen. Vor diesem Hintergrund setzt die Versagung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG n.F. oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG nach § 9a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG, wenn sie auf spezialpräventive Gründe gestützt wird, die Gefahr weiterer Straftaten oder Rechtsverstöße durch den Antragsteller voraus, wobei hinsichtlich des Grades der Wahrscheinlichkeit auf das bedrohte Rechtsgut und die schützenswerten Belange des Ausländers Rücksicht zu nehmen ist. Dementsprechend sehen die Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz und zum Freizügigkeitsgesetz/EU und ergänzenden Hinweise des Innenministeriums Baden-Württemberg (VAH) - und zwar letztere - zu Recht vor, dass eine Erfüllung der Voraussetzungen nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 im Regelfall anzunehmen ist, wenn der Ausländer in den letzten drei Jahren nicht wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Jugendstrafe, einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten oder einer Geldstrafe von mindestens 90 Tagessätzen verurteilt worden ist.
Soweit in der Gesetzesbegründung (a.a.O., S. 267) ausgeführt ist, durch die Streichung des bisherigen Satzes 1 in § 9 Abs. 4 AufenthG solle klargestellt werden, dass § 9 Absatz 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG keine ausschließende Wirkung gegenüber den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen in § 5 hat, ist dies inhaltlich nicht nachvollziehbar. Offenbar sollte über die Gesetzesbegründung dem Änderungsgesetz eine Intention unterschoben werden, die aus ihm so nicht ablesbar ist. Diese Intention kann - wenn sie überhaupt gesetzgeberischer Wille geworden ist - angesichts der europarechtlichen Vorgaben nicht dahin verstanden werden, damit sei auch die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG gemeint. Vielmehr ergibt sich aus dem nachfolgenden Hinweis in der amtlichen Begründung auf § 54 Nr. 5 und 5a AufenthG, dass die Ausweisungsgründe ein hinreichendes Gewicht haben müssen; die dort genannten Ausweisungsgründe betreffen die Mitgliedschaft in und Unterstützung terroristischer Vereinigungen, die Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland, die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele und den Aufruf zu Gewalt, also spezialpräventive Aspekte.
Wird schließlich die Ablehnung einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützt wird, setzt dies die Begehung oder Verurteilung wegen einer schwerwiegenden Tat voraus (vgl. achte Erwägung zur Richtlinie 2003/109/EG).
Soweit der Beklagte im Schriftsatz vom 20.11.2007 darauf abgehoben hat, es widerspräche der Gesetzessystematik und dem Stellenwert der Niederlassungserlaubnis, wenn an den Erwerb einer befristeten Aufenthaltserlaubnis höhere Anforderungen als an den Erwerb einer Niederlassungserlaubnis gestellt würden, weshalb nur eine vereinzelte Straftat unterhalb der Höhe von 90 Tagessätzen beziehungsweise drei Monaten für die Niederlassungserlaubnis bei der Abwägung nach § 9 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG unschädlich sein könne, wird außer acht gelassen, dass der Richtliniengeber auf europäischer Ebene sich nicht von der Systematik des nationalen Rechts leiten lässt und bei Übernahme europarechtlicher Vorgaben in das nationale Recht Brüche in der Systematik des nationalen Rechts entstehen können.