VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 06.03.2008 - 8 UZ 2554/07.A - asyl.net: M12738
https://www.asyl.net/rsdb/M12738
Leitsatz:
Schlagwörter: Afghanistan, Kabul, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, Epilepsie, Situation bei Rückkehr, medizinische Versorgung, Versorgungslage, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, alleinstehende Personen, Berufungszulassungsantrag, grundsätzliche Bedeutung
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AufenthG § 60 Abs. 7; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c
Auszüge:

Der noch innerhalb der Monatsfrist gemäß § 78 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AsylVfG n. F. am 29. November 2007 per Telefax beim Verwaltungsgericht eingegangene Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das seinem Verfahrensbevollmächtigten am 30. Oktober 2007 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 20. September 2007 hat Erfolg. Der vom Kläger in der Zulassungsantragsschrift seines Verfahrensbevollmächtigten vom 29. November 2007 ab Seite 27 unter N. geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG ist gegeben.

Der Senat hat zwar in seinem Grundsatzurteil vom 7. Februar 2008 - 8 UE 1913/06.A - geklärt, dass auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie subsidiärer Schutz nach der Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die Art. 15 c) QRL umsetzt, wegen § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG n.F. in erster Linie durch Anordnungen der obersten Landesbehörden nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. zu gewährleisten und nur im Falle einer von diesen Behörden "sehenden Auges" ignorierten Extremgefahr im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch Einzelentscheidungen des Bundesamtes oder der Verwaltungsgerichte zu ersetzen ist.

Der Senat hat in diesem Urteil weiter geklärt, dass junge, alleinstehende Männer aus Afghanistan ohne schwer wiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen nach der gegenwärtigen Sach- und Rechtslage ausweislich der herangezogenen Erkenntnisquellen über die Wirtschafts-, Versorgungs- und Sicherheitslage Afghanistans im Falle einer erzwungenen Rückkehr ohne abgeschlossene Berufsausbildung, ohne nennenswertes Vermögen und ohne staatliche, soziale oder familiäre Unterstützung zwar einer nicht unerheblichen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt sind, wie sie der überwiegende Teil der afghanischen Bevölkerung derzeit allgemein erleidet. Da sie aber wahrscheinlich in der Lage wären, durch Gelegenheitsarbeiten in Kabul oder auch in ihrer Heimatregion wenigstens ein kümmerliches Einkommen zu erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren, also gerade für junge, arbeitsfähige Männer Überlebenschancen bestehen, droht ihnen die Verwirklichung dieser Gefahren jedoch nicht mit jenem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad, nämlich dass sie "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert" würden, den das Bundesverwaltungsgericht für eine verfassungskonforme Überwindung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 (früher: Satz 2) AufenthG voraussetzt.

Damit hat der Senat aber gerade die hier vom Kläger angesprochene Frage nicht geklärt, ob dies angesichts der besonders im Gesundheitswesen desolaten Versorgungslage Afghanistans auch für solche Angehörigen der beschriebenen Risikogruppe gilt, die aufgrund einer behandlungsbedürftigen Erkrankung zusätzlichen (finanziellen) Belastungen ausgesetzt und in ihrer Erwerbsfähigkeit beschränkt sind.

Ob eine solche behandlungsbedürftige Epilepsieerkrankung eine schwer wiegende gesundheitliche Beeinträchtigung eines allein stehenden Rückkehrers darstellt, die diesen einem deutlich erhöhten Existenzrisiko aussetzen würde, ist hier entscheidungserheblich, weil nach den verwaltungsgerichtlichen Feststellungen individuelle Anknüpfungen des Klägers in Afghanistan dunkel verbleiben und er jedenfalls angesichts der dortigen desolaten Gesundheitsversorgung nicht lapidar "auf die Möglichkeit der Unterstützung durch im Ausland lebende Angehörige", also wohl allein durch seinen in Deutschland lebenden Bruder, verwiesen werden kann.