OVG Sachsen-Anhalt

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Zitieren als:
OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 06.12.2007 - 2 M 303/07 - asyl.net: M12715
https://www.asyl.net/rsdb/M12715
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Rücknahme, Einbürgerung, deutsche Staatsangehörigkeit, Entziehung, Täuschung, Anspruchseinbürgerung, Aufenthaltserlaubnis, Ehegattennachzug, Scheinehe, Doppelehe, religiöse Eheschließung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Sofortvollzug, Begründung
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 4; VwGO § 80 Abs. 3; VwVfG § 48 Abs. 1; AuslG § 23; AuslG § 17; GG Art. 16 Abs. 1; AuslG § 85 Abs. 1
Auszüge:

Die gemäß § 146 Abs. 4 VwGO zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den beantragten einstweiligen Rechtsschutz zu Unrecht abgelehnt.

Bezieht sich aber die Vollzugsanordnung des Landkreises S. vom 06.11.2006 demnach auch auf die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis und der Einbürgerung in dem angefochtenen Bescheid vom 04.10.2006 (Nr. 1 und 2 des Bescheidtenors), ist die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers insoweit schon deshalb wiederherzustellen, weil es hinsichtlich dieser Verwaltungsakte an den Anforderungen fehlt, die nach § 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 VwGO an die schriftliche Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung zu stellen sind.

Die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides vom 04.10.2006 ist darüber hinaus auch deshalb geboten, weil das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt (§ 80 Abs. 5 VwGO); denn der Bescheid erweist sich nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig.

Die Rücknahme der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis im Bescheid des Landkreises S. vom 04.10.2006 (Nr. 1 des Bescheidtenors) ist nach summarischer Prüfung rechtswidrig, weil sich aufgrund der Aktenlage nicht feststellen lässt, ob die Rücknahmevoraussetzungen des § 48 VwVfG LSA vorliegen. Erforderlich ist danach insbesondere, dass der zurückgenommene Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Der Antragsgegner hat das mit der Begründung bejaht, es habe an den ausländerrechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 23 i.V.m. § 17 AuslG gefehlt, weil es sich bei der von dem Antragsteller im Jahre 1994 mit einer Deutschen geschlossenen Ehe nicht um eine tatsächlich gelebte eheliche Lebensgemeinschaft, sondern lediglich um eine Scheinehe gehandelt habe. Diese Annahme ist jedoch nach Aktenlage keineswegs offensichtlich. Dem Antragsgegner ist zwar zuzugestehen, dass durchaus beachtliche Indizien dafür sprechen, der Antragsteller sei die Ehe mit der 34 Jahre älteren Deutschen im Jahre 1994 nur deshalb eingegangen, um dadurch ein Aufenthaltsrecht zu erlangen. Dafür spricht insbesondere der große Altersunterschied zwischen den Eheleuten sowie der Umstand, dass er bereits 1997 und damit lediglich drei Jahre nach seiner Eheschließung in seinem Heimatland nach religiösem Ritus eine andere Frau heiratete, mit dieser zwei Kinder zeugte, die solchermaßen entstandene familiäre Verbindung durch eine standesamtliche Heirat im Jahre 2004 rechtlich verfestigen ließ und nunmehr die Familienzusammenführung betreibt. All das deutet zwar darauf hin, dass der Antragsteller über Jahre hinweg eine Art Doppelleben führte, gibt aber keinen hinreichenden Aufschluss darüber, ob die vom Antragsteller im Jahre 1994 in der Bundesrepublik eingegangene Ehe, die immerhin erst im Jahre 2002 geschieden wurde, tatsächlich als eheliche Lebensgemeinschaft geführt wurde. Zur Klärung dieser Frage ist es erforderlich, Erkundigungen über das vom Antragsteller in der Bundesrepublik geführte Leben einzuziehen und insbesondere auch die geschiedene Ehefrau selbst anzuhören. Dass dies geschehen ist, ist indessen weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Rücknahme der Einbürgerung des Antragstellers (Nr. 2 des Bescheides des Landkreises S. vom 04.10.2006) ist nach summarischer Prüfung voraussichtlich ebenfalls rechtswidrig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil v. 24.05.2006 - 2 BvR 669/04 BVerfGE 116, 24), des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil v. 03.06.2003 - 1 C 19/02 BVerwGE 118, 216) sowie verschiedener Obergerichte (HessVGH, Urt. v. 18.05.1998 - 12 UE 1542/98 NVwZ-RR 1999, 274; HambOVG, Beschl. v. 28.08.2001 - 3 Bs 102/01 NVwZ 2002, 885; VGHBW, Urt. v. 29.11.2002 - 13 S 2039/01 InfAuslR 2003, 205; NdsOVG, Urt. v. 13.07.2007 - 13 LC 468/03 JURIS; a.A. OVG Berlin, Beschl. v. 20.02.2003 - 5 S 23.02, InfAuslR 2003, 211) schließt das in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG geregelte Verbot der Entziehung der Staatsangehörigkeit die Rücknahme einer Einbürgerung zwar nicht grundsätzlich aus, schränkt sie aber dahingehend ein, dass hierfür nicht allein die Rechtswidrigkeit der Einbürgerung ausreicht, sondern der Eingebürgerte darüber hinaus seine Einbürgerung erschlichen, d.h. über die Voraussetzungen oder ermessensrelevanten Gesichtspunkte der in seinem Fall angewandten Einbürgerungsvorschrift bewusst getäuscht hat. Eine solche unmittelbar auf die einschlägige Einbürgerungsnorm bezogene Täuschung ist aber im Falle des Antragstellers nicht ersichtlich. Ihm wird als täuschungsrelevantes Verhalten vom Antragsgegner und der Widerspruchsbehörde lediglich vorgehalten, er habe im Rahmen seines Einbürgerungsantrages seine im Jahre 1997 in Indien kirchlich geschlossene Ehe und die daraus hervorgegangenen zwei Kinder verschwiegen. Beides sind jedoch Umstände, welche die einschlägige Einbürgerungsnorm weder in ihren Tatbestandsmerkmalen noch auf ihrer Rechtsfolgenseite berühren.