VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 23.01.2008 - 19 CS 07.2828 - asyl.net: M12652
https://www.asyl.net/rsdb/M12652
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Niederlassungserlaubnis, Fortgeltungsfiktion, Verlängerungsantrag, Aufenthaltserlaubnis, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Interessenabwägung
Normen: VwGO § 80 Abs. 2; AufenthG § 84 Abs. 1 Nr. 1; VwGO § 80 Abs. 5; AufenthG § 26 Abs. 4; AufenthG § 81 Abs. 4; GG Art. 19 Abs. 4
Auszüge:

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

1a) Die gegen die Versagung und auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gerichtete Klage des Antragstellers hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung. Allerdings hat der Antragsteller rechtzeitig vor Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis deren Verlängerung beantragt, sodass der Antrag die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG auslöste; danach gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Gegen den Verlust der mit der Antragsablehnung vom 2. August 2007 endenden verfahrensrechtlichen Fiktion kann der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO in Anspruch nehmen (vgl. Renner, AuslR, 8. Auflage 2005, RdNr. 33 zu § 81 AufenthG). Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist insoweit auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage und auf die Aussetzung der Vollziehung der Ausreisepflicht gerichtet.

2. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen, aber auch allein möglichen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage ist davon auszugehen, dass die Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers in der Hauptsache zumindest als offen zu bezeichnen sind und sein Interesse an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der angefochtenen Maßnahme deshalb deutlich überwiegt.

a) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts Ansbach im angefochtenen Beschluss vom 27. September 2007 ist die Rechtmäßigkeit der Versagung eines Aufenthaltstitels für den Antragsteller nach summarischer Prüfung derzeit zumindest ungeklärt. Der Antragsteller kann sich auf eine Entscheidung des OVG Bautzen vom 29. März 2007, ZAR 2007 Seite 246 berufen, in der es für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis nach § 46 Abs. 4 AufenthG als ausreichend angesehen wurde, wenn die befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend gilt. Auch Teile der Kommentarliteratur (vgl. Burr, in: GK-AufenthG, Stand Juni 2007, 26 AufenthG RdNr.17 m.w. N.) gehen mit der durchaus nachvollziehbar erscheinenden Erwägung, dass es die Ausländerbehörde ansonsten in der Hand hätte, durch den Zeitpunkt ihrer Entscheidung über die Abteilungsvoraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG zu disponieren, davon aus, dass die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG der Zeit des Besitzes der Aufenthaltserlaubnis gleichzustellen sei. Auch der Gesetzgeber ist im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens davon ausgegangen, dass der bisherige Aufenthaltstitel infolge der Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG mit allen sich daran anschließenden Rechtswirkungen als bis zur behördlichen Entscheidung fortbestehen anzusehen ist (vgl BT Drucksache 15/420, Seite 96). Zu Recht hat der Antragsteller auf den Inhalt der dem Willen des Gesetzgebers Rechnung tragenden vorläufigen Anwendungshinweise (vgl. Nr. 81.4.1) aufmerksam gemacht. Will ein Verwaltungsgericht angesichts einer solchen Erkenntnislage gleichwohl in der Sache abweichend entscheiden, so darf es sich nicht mit einem Verweis auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses (§ 117 Abs. 5 VwGO) zufrieden geben; es muss vielmehr auch um der Verwirklichung des verfassungsrechtlichen Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) willen berücksichtigen, dass es trotz des grundsätzlichen Vorrangs des Vollziehungsinteresses bei kraft Gesetzes angeordnetem Sofortvollzug (vgl. hierzu BVerwG, NVwZ 2004 Seite 93 und NVwZ 2007 Seite 1302 [1304] sehr wohl Fälle geben kann, in welchen das Suspensivinteresse des Betroffenen überwiegt. Ein solches überwiegendes Suspensivinteresse steht jedenfalls dann im Raum, wenn der Vollzug eines Verwaltungsakts vor einer Entscheidung in der Hauptsache deren Erfolgsaussichten mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit zunichte machen würde und die Rechtsfragen, welche bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des sofort vollziehbaren Verwaltungsakts zu beantworten sind, weder höchstrichterlich entschieden noch in Rechtsprechung und Literatur weitgehend einheitlich beantwortet worden sind (vgl. BVerwG, NVwZ 2007, 1302 [1304]). Liegt – wie hier – ein solcher Fall vor, bedarf es, soll der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung keinen Erfolg haben, eines besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (vgl. BVerwG NVwZ 2207, 1302 [1304]). Nur eine solche Abwägung des Suspensivinteresses gegen das Vollzugsinteresse vermag dem in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten Anspruch auf umfassenden Rechtsschutz gerade bei drohenden unabänderlichen und endgültigen Folgen gerecht zu werden (vgl. BVerwG NVwZ 2007, 1302 [1304]).

Ein solches besonderes öffentliches Interesse, das trotz der hier durchaus gegebenen Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache gleichwohl die Anordnung des Sofortvollzuges zu tragen im Stande wäre, legt das Verwaltungsgericht nicht dar. Es ist auch sonst nicht ersichtlich. Die auf aufschiebende Wirkung der Klage war daher anzuordnen.