OLG München

Merkliste
Zitieren als:
OLG München, Beschluss vom 30.01.2008 - 34 Wx 136/07 - asyl.net: M12641
https://www.asyl.net/rsdb/M12641
Leitsatz:

§ 14 Abs. 3 AsylVfG ist auch auf die Zurückschiebungshaft anwendbar.

Schlagwörter: Zurückschiebungshaft, Zurückschiebung, Einreise, unerlaubte Einreise, Grenzübertritt, Schengener Durchführungsübereinkommen, Luftweg, Asylantrag, Asylgesuch, Aufenthaltsgestattung, Weiterleitung, Ausländerbehörde, Polizei, Unverzüglichkeit, Entziehungsabsicht, Schlepper, Drittstaatenregelung, Griechenland (A)
Normen: AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5; AufenthG § 57; AufenthG § 13 Abs. 2; SDÜ Art. 1; SDÜ Art. 2 Abs. 1; AsylVfG § 55 Abs. 1; AsylVfG § 14 Abs. 2; AsylVfG § 19 Abs. 3; AsylVfG § 14 Abs. 3
Auszüge:

a) Das Landgericht ging in seiner Entscheidung zu Recht davon aus, dass der Betroffene in das Bundesgebiet eingereist war.

Nach § 13 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist ein Ausländer an einer zugelassenen Grenzübergangsstelle eingereist, wenn er die Grenze überschritten und die Grenzübergangsstelle passiert hat. Bei Schengen-Binnenflügen gilt der Flughafen als Binnengrenze (Art. 1 Schengener Durchführungsübereinkommen – SDÜ – vom 19.6.1990, BGBl 1993 II 1013). Laut Art. 2 Abs. 1 SDÜ dürfen die Binnengrenzen ohne Passkontrolle überschritten werden. Eine Einreise nach § 13 Abs. 2 AufenthG liegt bereits beim Überschreiten der Grenze vor (vgl. Fritz GK-AsylVfG Februar 2006, § 18a AsylVfG Rn. 8). In Fällen des Binnenfluges fallen daher Grenzübertritt und die Beendigung der Einreise zeitlich zusammen (vgl. Hailbronner Ausländerrecht August 2005 § 13 AufenthG Rn. 17). Ein Grenzübertritt hat spätestens beim Verlassen des Flugzeugs stattgefunden. Da der Betroffene sich bei der Kontrolle durch den Bundesgrenzschutz unstreitig bereits auf dem Flughafengelände aufhielt, war seine Einreise beendet und die Durchführung des sogenannten Flughafenverfahrens (§ 18a AsylVfG) daher ebenso ausgeschlossen (vgl. Fritz § 18a AsylVfG Rn. 10) wie eine Unterbringung auf dem Flughafen.

b) Die Einreise des Betroffenen war auch unerlaubt, da der Betroffene die Grenze ohne die gemäß § 14 AufenthG erforderlichen Papiere überschritten hat. Dass ein Reisender an der Grenze nicht mehr kontrolliert wird, bedeutet nicht, dass er auch von der Verpflichtung zum Besitz entsprechender Dokumente befreit ist (Hailbronner § 13 AufenthG Rn. 10).

c) Der Haftanordnung durch das Amtsgericht stand nicht entgegen, dass der Betroffene bei der Polizei äußerte, er wolle einen Asylantrag stellen.

Durch die gegenüber der Polizei erfolgte Berufung auf Asyl hat der Betroffene noch keine Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erworben. Da er aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a Abs. 2 AsylVfG) unerlaubt eingereist war, setzt die Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG einen förmlichen Asylantrag im Sinne des § 14 AsylVfG voraus (vgl. BGH NVwZ 2003, 893; auch BayObLG vom 17.10.1995, 3Z BR 282/95 bei juris). Die bereits an das Asylgesuch anknüpfende Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist der wirksamen Asylantragstellung zeitlich vorgelagert, um den durch die verfassungsrechtliche Asylgarantie geforderten Abschiebungs- und Verfolgungsschutz effektiv gewährleisten zu können (vgl. BGH NVwZ 2003, 893). Ein Ausländer, der, wie der Betroffene, aus einem sicheren Drittstaat unerlaubt einreist, genießt aber nach Art. 16a Abs. 2 GG kein Asylrecht, so dass in diesen Fällen für eine Vorverlagerung des Aufenthaltsrechts keine Veranlassung besteht. Mit dem Asylgesuch am Flughafen war daher gemäß § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG noch keine Aufenthaltsgestattung verbunden, selbst wenn es gegenüber einer Stelle geäußert wird, die zur Aufnahme und Weiterleitung des Gesuchs verpflichtet ist (Bodenbender GK-AsylVfG 2006, § 55 AsylVfG Rn. 61 ff.; BGH NVwZ 2003, 893).

d) Der Anordnung der Sicherungshaft steht auch § 19 Abs. 3 AsylVfG nicht entgegen.

e) Der Betroffene ist nicht deshalb wie eine Person zu behandeln, deren Asylantrag vor der am 30.10.2007 getroffenen Haftanordnung einging, weil dieser nicht unverzüglich im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG weitergeleitet worden wäre.

Denn das Asylverfahrensgesetz schreibt eine Weiterleitung nur für schriftliche Asylanträge vor, die bei der Ausländerbehörde eingereicht werden (§ 14 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG). Die Aufnahme eines mündlichen Antrags zur Niederschrift und dessen Weiterleitung, zumal durch die Polizei oder den Haftrichter, ist weder im Verwaltungsverfahrensgesetz noch im Asylverfahrensgesetz vorgesehen. Mündliche Anträge können nur beim Bundesamt gestellt werden (vgl. BGH NVwZ 2003, 893; Renner § 14 AsylVfG Rn. 14).

(2) Nur ein schriftlich eingereichter Asylantrag ist von der Ausländerbehörde nach § 14 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG unverzüglich an das Bundesamt weiterzuleiten. Unverzüglich bedeutet dabei, dass der Antrag ohne schuldhaftes Zögern (vgl. Palandt/Heinrichs/Ellenberger, BGB 67. Aufl. § 121 Rn. 3) durch die Verwaltungsbehörden im normalen Geschäftsgang weitergeleitet werden muss. Zu außerordentlichen oder Eilmaßnahmen ist die Behörde dabei nicht verpflichtet (BGH NJW 1987, 440; Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner VwGO 2007 § 70 Rn. 24). Insbesondere ist ein bestimmter Übermittlungsweg, etwa per Fax, nicht vorgeschrieben.

Der Zugang des schriftlichen Antrags beim Bundesamt in weniger als 48 Stunden lässt den Schluss auf eine unverzüglicheWeiterleitung zwanglos zu.

g) Bei dem Betroffenen liegt jedenfalls der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG vor. Es besteht nämlich der begründete Verdacht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will. Ein solcher Verdacht setzt konkrete Umstände voraus, insbesondere Äußerungen oder Verhaltensweisen des Ausländers, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten bzw. nahelegen, der Ausländer beabsichtige unterzutauchen oder die Abschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden kann (vgl. BGHZ 98, 109/112 ff.; BayObLGZ 1993, 150/153).

Der Betroffene ist nach den Feststellungen des Landgerichts mittels gefälschter Dokumente mit Hilfe von Schleusern in das Bundesgebiet gelangt. Dieses Verhalten begründet grundsätzlich den Verdacht, dass sich der Betroffene der Abschiebung durch Untertauchen entziehen werde.

h) Der Aufrechterhaltung von Zurückschiebungshaft stand auch nicht der schließlich am 31.10.2007 gestellte Asylantrag entgegen. Die Asylantragstellung führt zwar gemäß § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG zu einer Aufenthaltsgestattung, beendet die Ausreisepflicht und bedingt damit grundsätzlich auch die Beendigung der Abschiebungshaft (Renner Ausländerrecht 8. Aufl. § 14 AsylVfG Rn. 18). In den Fällen des § 14 Abs. 3 AsylVfG bleibt die Haft aber aufrechterhalten.

(1) § 14 AsylVfG findet auch auf die Zurückschiebungshaft Anwendung (OLG Brandenburg vom 15.11.2007, 11 Wx 55/07, und vom 8.11.2007, 11 Wx 50/07; OLG Schleswig vom 8.7.2005, 2 W 125/05; OLG Köln vom 20.7.2007, 16 Wx 150/07; offen gelassen von OLG Köln vom 11.6.2007, 16 Wx 130/07). Dem steht nicht entgegen, dass die Zurückschiebungshaft in § 14 AsylVfG nicht ausdrücklich erwähnt wird. Zwar handelt es sich bei der Zurückschiebungshaft um eine freiheitsentziehende Maßnahme, die gemäß Art. 104 Abs. 1 GG dem Vorbehalt des Gesetzes unterliegt; eine Analogie ist unzulässig (vgl. dazu ausführlich Gusy NJW 1992, 457/460 f, BVerfG vom 16.5.2007, 2 BvR 2106/05 = NVwZ 2007, 1296). Die Eingriffsvoraussetzungen müssen sich dabei unmittelbar und hinreichend bestimmt aus dem Gesetz selbst ergeben (vgl. BVerfG NVwZ 2007, 1296). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Freiheitsentziehung in einem einzigen, bestimmten Paragraphen geregelt werden muss. Vielmehr ist es ausreichend, wenn die Voraussetzungen der Freiheitsentziehung aus einer Zusammenschau mehrerer gesetzlicher Bestimmungen hergeleitet werden können (vgl. Gusy NJW 1992, 457/461).

Vorliegend ergibt sich aus § 57 Abs. 3 AufenthG hinreichend klar der gesetzliche Wille, dass für die Zurückschiebungshaft die Regeln über die Abschiebungshaft, nämlich § 62 AufenthG entsprechend anzuwenden sind. Diese finden in § 14 AsylVfG ihre weitere Ausgestaltung. § 14 AsylVfG ist daher auch auf die Zurückschiebungshaft anzuwenden. Dies ergibt sich schon aus § 14 AsylVfG selbst, dessen Absatz 3 Satz 3 (i.d.F. des Gesetzes vom 19.8.2007, BGBl I 1970) auf die Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft – zu denen auch das Dublin II-Abkommen (Verordnung – EG – Nr. 343/2003 vom 18.2.2003) gehört – Bezug nimmt. Darüber hinaus war es auch Zweck der jüngst erfolgten Änderung des § 14 AsylVfG, sicherzustellen, dass Ausländer, die im Rahmen des Dublin II-Verfahrens kurzfristig in den für das Asylverfahren zuständigen Staat verbracht werden sollen, nicht vorzeitig aus der Haft entlassen werden und untertauchen (vgl. BT-Drs. 16/5064 S. 215).

Darüber hinaus gilt § 14 AsylVfG schon allein nach seinem Wortlaut für alle Fälle der Asylantragstellung und ist nicht auf Abschiebungsfälle beschränkt. So sind unstreitig § 14 Abs. 1 und 2 AsylVfG auch dann einschlägig, wenn es sich um einen aus einem sicheren Drittstaat eingereisten Ausländer handelt (Renner § 55 AsylVfG Rn. 8). Ein Grund dafür, dass § 14 Abs. 3 AsylVfG, anders als die beiden vorhergehenden Absätze, die Zurückschiebungshaft aus seinem Anwendungsbereich ausnehmen will, ist nicht ersichtlich.

(2) Der Gesetzeszweck steht dieser Auslegung nicht entgegen. Mit der Regelung des § 14 Abs. 3 AsylVfG sollte insbesondere verhindert werden, dass ein Ausländer, der um Asyl nachsucht, während er sich bereits in öffentlichem Gewahrsam befindet, allein wegen seines Gesuchs deshalb wieder entlassen werden muss und untertauchen kann (dazu ausführlich OLG Brandenburg vom 8.11.2007, 11 Wx 50/07, Renner § 14 AsylVfG Rn. 16). Einen Grund, die Fälle der direkten Einreise und der Einreise aus einem sicheren Drittstaat unterschiedlich zu behandeln, gibt es nicht. Der Literaturmeinung (Renner § 14 AsylVfG Rn. 19; Melchior, Abschiebungshaft Online-Kommentar Nr. 417), Zurückschiebung und Abschiebung unterschieden sich derart, dass § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG keine Anwendung fände und der Betroffene deshalb nach Antragstellung unverzüglich entlassen werden müsse, kann nicht gefolgt werden. Denn Einreisende aus einem sicheren Drittstaat können sich nicht auf das Asylrecht berufen (vgl. Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG; § 26a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG; vgl. dazu auch BVerfG NVwZ 1996, 700). Auch § 55 AsylVfG belegt, dass Betroffene, die aus einem sicheren Drittstaat einreisen, einen geringeren Schutz genießen. So erlangen sie eine Aufenthaltsgestattung nicht bereits mit dem Asylgesuch, sondern erst mit der Stellung des Asylantrages im Sinne des § 14 Abs. 1 AsylVfG (Renner § 55 AsylVfG Rn. 8).

i) Zurückschiebungshindernisse standen der Anordnung der Haft nicht entgegen.