OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.02.2008 - 2 B 16.07 - asyl.net: M12627
https://www.asyl.net/rsdb/M12627
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungskosten, Arbeitgeber, geringfügige Beschäftigung, Abschiebungshaft, Auswahlermessen, Verhältnismäßigkeit, Haftdauer
Normen: AuslG § 66 Abs. 4; AGG § 1; AufenthG § 67 Abs. 1 Nr. 2; AufenthG § 62 Abs. 3
Auszüge:

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Rechtsgrundlage der angegriffenen Verfügung in der Gestalt des Widerspruchsbescheids ist § 66 Abs. 4 Satz 1 des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950). Danach haftet für die Kosten der Abschiebung, wer den Ausländer als Arbeitnehmer beschäftigt hat. Die Vorschrift ist mit höherrangigem Recht vereinbar, wie das Bundesverwaltungsgericht zu der inhaltsgleichen Regelung des § 24 Abs. 6 a AuslG (eingefügt durch Gesetz vom 7. August 1972, BGBl. I S. 1393), entschieden hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 1979, BVerwGE 59, 13, 20 ff. und Urteil vom 3. November 1987, BVerwGE 78, 231 = NVwZ 1988, 256; Beschluss vom 22. Juli 1987, NVwZ 1987, 1086). Da die Kosten für die Abschiebung – wie auch vorliegend – von dem Ausländer regelmäßig nicht zu erlangen sind, ist es entgegen der vom Kläger geäußerten Auffassung auch nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber in Ausübung des ihm zukommenden Ermessens den Arbeitgeber zu dem primären Kostenschuldner bestimmt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 1979, a.a.O. S.15, 21).

1. Der Kläger hat den T. im Sinne des § 66 Abs. 4 Satz 1 AufenthG als Arbeitnehmer beschäftigt. Dieses Merkmal muss unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Norm weit ausgelegt werden. Durch das mit dem Haftungstatbestand verbundene Kostenrisiko verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, abschreckend zu wirken und dadurch der unerlaubten Beschäftigung ausreisepflichtiger Ausländer vorzubeugen. In diesem arbeitsmarktpolitischen Zweck erschöpft sich die Regelung allerdings nicht.

Die Regelung zielt auch auf die Sicherung des gegenüber dem Ausländer zumeist nicht zu realisierenden Kostenersatzes. Das Gesetz will verhindern, dass die Abschiebungskosten der Allgemeinheit zur Last fallen. Indem die Vorschrift schließlich der Bekämpfung der mit illegaler Beschäftigung häufig verbundenen sozialen Missstände dient, verfolgt sie neben arbeitsmarktpolitischen Zielen und ihrem Finanzierungszweck auch allgemeine ordnungspolitische und soziale Zwecke (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 1987, a.a.O).

Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben genügt für die Erfüllung des Haftungstatbestands auch eine nur geringfügige und kurzfristige Beschäftigung. Sinn und Zweck der Norm entspricht es, die illegale Beschäftigung von ausreisepflichtigen Ausländern nicht erst ab einer bestimmten Dauer und Dauerhaftigkeit oder einem nennenswerten Gewinn des Arbeitgebers mit dem Kostenrisiko der Abschiebung zu belasten. Denn auch bei kurzzeitigen Beschäftigungen, die dem Arbeitgeber naturgemäß keinen hohen Gewinn verschaffen, entstehen die arbeitsmarktpolitischen, finanziellen und ordnungsrechtlichen Probleme, vor denen § 66 Abs. 4 AufenthG schützen soll (OVG Nds., Urteil vom 7. Dezember 1990, InfAuslR 1991, 191). Es bedarf daher weder eines wirksamen Arbeitsvertrags noch eines faktischen Arbeitsverhältnisses (BVerwG, Beschluss vom 3. November 1987, a.a.O; OVG NW, Beschluss vom 3. Juli 2006 - 18 A 148/05 - juris; BayVGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - 24 ZB 05.1293 - juris; OVG RP, Beschluss vom 26. Februar 1999 - 11 A 10147/99 - juris). Entscheidend ist, dass es sich um eine abhängige (fremdbestimmte), entgeltliche Arbeitsleistung handelt, wobei es regelmäßig für die rechtliche Einordnung einer Tätigkeit als Arbeitnehmerbeschäftigung nicht maßgeblich auf einzelne Tatumstände, sondern auf das Gesamtbild der Tätigkeit ankommt (OVG Münster, Beschluss vom 22. Mai 2003 - 17 A 2600/02 - juris).

a) Der T. war im Haus des Klägers als abhängig Beschäftigter und nicht, wie der Kläger geltend macht, als selbständiger Kleingewerbetreibender tätig.

b) Der T. hat die Beschäftigung auch aufgenommen. Denn jedenfalls war T. am 10. Juni 2003 um die vereinbarte Uhrzeit mit den vereinbarten Fensterputzarbeiten beschäftigt. Damit hat er die Beschäftigung aufgenommen, die bereits mit der Einweisung in die zu erledigenden Arbeiten beginnt (vgl. BayVGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - 24 ZB 05.1293 - juris).

2. Der Kläger hat auch schuldhaft gehandelt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt ein Arbeitgeber bei der Beschäftigung eines Ausländers die im Verkehr erforderliche Sorgfalt bereits dann außer Acht, wenn er vor dessen Einstellung sich nicht über das Vorhandensein einer Aufenthaltserlaubnis durch Einholung zumutbarer Erkundigungen vergewissert. Dabei stellt es auch einen Sorgfaltspflichtverstoß dar, wenn der Arbeitgeber sich vorläufig (kurzfristig) auf die bloße Behauptung des Ausländers verlässt, eine Arbeitserlaubnis zu besitzen und sich im Bundesgebiet aufhalten zu dürfen. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitnehmer eine Lohnsteuerkarte vorlegt (BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 1987, a.a.O.).

Der Kläger hat sich keine Papiere vorlegen lassen, obwohl er – wie insbesondere aus seinem von ihm selbst verfassten Schreiben im Anhörungsverfahren hervorgeht und wie auch in der mündlichen Verhandlung unstreitig war – davon ausging, dass es sich um einen Ausländer handelte. Auch die behauptete Studenteneigenschaft hat er sich nicht nachweisen lassen. Dass es ihm unangenehm gewesen sein mag, einen Ausländer vor der Aufnahme einer Beschäftigung nach dessen Papieren zu fragen, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung noch einmal betont hat, vermag nachvollziehbar sein, kann aber an der Verletzung der Sorgfaltspflicht nichts ändern.

Schließlich liegt in der Nachfrage nach der Staatsangehörigkeit keine Diskriminierung im Sinne des § 1 AGG, da zu dem von dieser Norm erfassten Merkmal der ethnischen Herkunft einer Person nicht die Staatsangehörigkeit gehört (vgl. Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, 2. Aufl. 2008, § 1 Rn. 18).

3. Die Höhe der Abschiebungskosten ist nicht zu beanstanden.

§ 66 Abs. 4 AufenthG enthält keine Obergrenze, bis zu der eine Heranziehung des Arbeitgebers zu den Abschiebungskosten zulässig ist. Der Arbeitgeber kann daher regelmäßig mit den gesamten Kosten, die durch die Abschiebung entstehen, belastet werden. Welche Kosten dies im Einzelnen sind, ist durch § 67 Abs. 1 Nr. 1–3 AufenthG festgelegt. Danach zählen zu den Abschiebungskosten insbesondere die Beförderungs- und Reisekosten für den Ausländer (Nr.1) und die bei der Vorbereitung und Durchführung der Maßnahme entstehenden Verwaltungskosten einschließlich der Kosten für die Abschiebungshaft (Nr. 2).Wenn und soweit allerdings die Kostenlast im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände ausnahmsweise eine unverhältnismäßige Folge des Verhaltens des Arbeitgebers darstellen sollte, besteht die Möglichkeit, von der Erhebung der Kosten abzusehen (BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 1979, BVerwGE 59, 13, 22).

a) Soweit der Kläger geltend macht, die Kosten, die durch die Inhaftierung des T. während der Bemühungen des Beklagten um die Beschaffung von Passersatzpapieren entstanden seien, könnten ihm nicht in Rechnung gestellt werden, ist ihm nicht zu folgen. § 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG enthält keine zeitliche oder sonstige Einschränkung hinsichtlich der bei der Kostenerstattung berücksichtigungsfähigen Abschiebungshaft. Eine Begrenzung ergibt sich damit allein aus § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wonach die Sicherungshaft bis zu sechs Monaten angeordnet werden kann. In Fällen, in denen der Ausländer seine Abschiebung verhindert, kann sie um höchstens zwölf Monate verlängert werden, § 62 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Demgegenüber ist eine Begrenzung der Haft vorgesehen, wenn absehbar ist, dass die Abschiebung aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, nicht innerhalb von drei Monaten erfolgen kann.

Es ist nichts dafür erkennbar, dass der Beklagte die Abschiebung nicht so schnell wie möglich durchgeführt hat, um die Kosten so gering wie möglich zu halten. Die Bemühungen des Beklagten, den Kläger abzuschieben, sind von Anfang an dadurch erschwert worden, dass T. widersprüchliche, unzutreffende und unvollständige Angaben gemacht hat.

c) Es liegen keine besonderen Umstände vor, die die Heranziehung des Klägers zu den Kosten von 8.555, 82 EUR unverhältnismäßig erscheinen lassen. Wann sich die Inanspruchnahme des Arbeitgebers für die Kosten der Abschiebung ausnahmsweise als unverhältnismäßige Folge seines Verhaltens darstellt, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht abschließend geklärt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 1987, NVwZ 1987, 1086). Der Senat geht von folgenden Überlegungen aus.

aa) Der Umstand, dass die Beschäftigung nur relativ kurz gedauert hat, begründet für sich noch keine Unverhältnismäßigkeit. Wie bereits erwähnt, spielen die Dauer der Beschäftigung und der mit der Beschäftigung erzielte Gewinn des Arbeitgebers für den Haftungstatbestand keine Rolle. Mit Blick auf die mit dem Haftungstatbestand verfolgten Ziele, insbesondere die beabsichtigte generalpräventive Wirkung, ist auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit selbst bei einer nur sehr kurzen Beschäftigung eine Heranziehung zu den (gesamten) Kosten der Abschiebung nicht zu beanstanden (BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 1986, InfAuslR 1986, 273; OVG NW, Urteil vom 28. Oktober 1982, DÖV 83, 426 (427); VGH BW, Urteil vom 14. November 1985, VBlBW 86, 429 (430); Nds.OVG, Urteil vom 7. Dezember 1990, InfAuslR 1991, 191; OVG RP, Beschluss vom 26. Februar 1999 - 11 A 1014/99 - juris; BayVGH, Beschluss vom 16. Mai 2002 - 24 C 02.411 - juris; OVG NW, 3. Juli 2006 - 18 A 148/05 - juris).

Da im Übrigen bei Fällen der Ausländerbeschäftigung der Einwand, der Ausländer habe seine Beschäftigung erst gerade oder nur zur Probe aufgenommen, zu den typischen (Schutz) Behauptungen zählt (vgl. etwa BayVGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - 24 ZB 05.1293 - juris: "Arbeitsversuch" und BayVGH, Beschluss vom 16. Mai 2002 - 24 C 02.411 - juris: "Freundschaftsdienst"), würde bei einer Differenzierung nach der Dauer der Beschäftigung zusätzlichen Schutzbehauptungen Tür und Tor geöffnet. Schließlich würde gerade in Fällen, in denen die Beschäftigung durch ein Einschreiten der Ordnungsbehörde nach kurzer Zeit beendet wird, der Arbeitgeber ungerechtfertigt bevorzugt und die abschreckende Wirkung zumindest teilweise leer laufen. Unerheblich ist daher auch, ob die Beschäftigung des Ausländers dessen illegalen Aufenthalt nennenswert verlängert hat oder nicht (zu dieser Problematik vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 1987, InfAuslR 1987, 1086, 1087).

bb) Nicht geeignet für die Feststellung einer außergewöhnlichen Belastung sind ferner Überlegungen, die auf eine Relation von Gewinn und entstandene Kosten abstellen, wie sie der Kläger unter Hinweis auf Ausführungen in einem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14. Januar 1992, NVwZ - 7 UE 2546/84 - juris) anstellt. Diese Überlegungen verkennen, dass die Haftungsregelung nicht der Abschöpfung des aus der illegalen Tätigkeit erzielten Gewinns dient, sondern den bereits genannten Zielen. Ein Abstellen auf den tatsächlich erzielten Gewinn würde im Übrigen wiederum zu erheblichen Nachweisschwierigkeiten und hypothetischen Gewinnberechnungen führen.

cc) Auch eine finanziell erhebliche, z.B. die durchschnittlichen Abschiebungskosten übersteigende Kostenbelastung führt – wiederum unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks, die Allgemeinheit von Abschiebungskosten zu entlasten, den legalen Arbeitsmarkt zu schützen, soziale und ordnungsrechtliche Missstände zu verhindern und generalpräventiv zu wirken – für sich genommen noch nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung. Eine unverhältnismäßige Belastung kann vielmehr nur dann angenommen werden, wenn entweder besonders hohe Kosten der Abschiebung durch atypische, vom Ausländer nicht zu vertretende Umstände entstanden sind oder die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und persönlichen Situation des Arbeitgebers für diesen zu einer außergewöhnlichen, nicht mehr vertretbaren Belastung führt.

Besondere (atypische) von T. nicht zu vertretende Umstände des Einzelfalls liegen hier auch mit Blick darauf, dass die Abschiebungshaft mit insgesamt 128 Tagen nach den von dem Beklagten für die Jahre 2002 bis 2004 vorgelegten Zahlen die durchschnittlichen Haftzeiten bei Abschiebungen (2002: 23 Tage, 2003: 28 Tage, 2004: 58 Tage) überschritt, nicht vor. Die zu der langen Abschiebungshaft führende Passlosigkeit des T. stellt sich vielmehr als ein typischer Umstand dar, mit dem der auf eine Kontrolle des Aufenthaltsstatus verzichtende Arbeitgeber rechnen muss.

Die absolute Höhe der Abschiebungskosten führt ebenfalls nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Kostenanforderung. Die Kosten sind zwar hoch und betragen etwa das Viereinhalbfache der durchschnittlichen Abschiebungskosten im Jahr 2003. Dass sie nicht außergewöhnlich hoch sind, zeigen jedoch schon entsprechende Vergleichsfälle aus der Rechtsprechung. So waren in einem vom niedersächsischen Oberverwaltungsgericht entschiedenen Fall bei 116 Tagen Abschiebungshaft 8.031, 88 EUR angefallen (Beschluss vom 5. Juni 2007 - 11 LC 88/06 - juris). In dem vom Verwaltungsgericht Hamburg entschiedenen Fall sind für 87 Hafttage 10.885,44 DM angefallen (Urteil vom 14. November 2001 - 22 VG 0702/98 - juris). Die Abschiebungskosten erreichen nach Überzeugung des Senats auch noch keine Höhe, die schon bei typisierender Betrachtungsweise schlechthin unzumutbar wären.