OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Urteil vom 20.02.2008 - 1 A 299/07 - asyl.net: M12607
https://www.asyl.net/rsdb/M12607
Leitsatz:

Asylanerkennung für aktives Mitglied des Nationalen Widerstandsrats Iran.

 

Schlagwörter: Iran, Volksmudjaheddin, Nationaler Widerstandsrat Iran, exilpolitische Betätigung, Mitglieder, subjektive Nachfluchtgründe, Überwachung im Aufnahmeland, Oppositionelle
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 1
Auszüge:

Asylanerkennung für aktives Mitglied des Nationalen Widerstandsrats Iran.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Berufung ist begründet. Dem Kläger steht auf der Grundlage des Art. 16 a Abs. 1 GG ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter zu. Ihm droht wegen seiner - auch für das Asylgrundrecht des Art. 16 a Abs. 1 GG beachtlichen - exilpolitischen Betätigung für die Volksmudjaheddin bei Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.

Sein Asylanspruch gründet sich auf das Vorliegen beachtlicher subjektiver Nachfluchtgründe.

Nach der aktuellen Auskunftslage (Bundesamt für Verfassungsschutz, Gutachten vom 22.3.2006 und vom 30.1.2003; Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 2.5.2005 (559 i/br) und vom 26.4.2004 (513 i/br) hat der iranische Nachrichtendienst Interesse an der Ausspähung aller regimefeindlichen, exilpolitischen Aktivitäten. Dabei ist davon auszugehen, dass nicht jede exilpolitische Aktivität geeignet ist, ein nachhaltiges Interesse der iranischen Sicherheitsdienste zu wecken und damit im Fall der Rückkehr eine Verfolgungsgefährdung auszulösen. So wird allgemein angenommen, dass den iranischen Beobachtern der exilpolitischen Szene durchaus bewusst ist, dass viele Asylbewerber allein aus asyltaktischen Gründen an Veranstaltungen und Demonstrationen regimekritischer Organisationen teilnehmen bzw. sonstige Aktivitäten niederen Profils entfalten. Bekannt ist aber auch, dass die Anhänger der Volksmudjaheddin mit gesteigerter Aufmerksamkeit beobachtet und überwacht werden. Nach Einschätzung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH, Gutachten vom 15.4.2004, Iran: Vorgehen iranischer Behörden und Rückkehrgefährdung für Mitglieder, Aktivisten und/oder Sympathisanten der Volksmudjaheddin, und vom 4.4.2006, Iran: Rückkehrgefährdung für Aktivistinnen und Mitglieder exilpolitischer Organisationen - Informationsgewinnung iranischer Behörden) sind bekannte oder verdächtigte Mitglieder, Aktivisten und/oder Sympathisanten der Volksmudjaheddin bei einer Rückkehr in den Iran gefährdet. Das Deutsche Orient-Institut geht davon aus, dass auch untergeordnete Aktivitäten für die Volksmudjaheddin eine äußerst erhebliche Verfolgungsgefährdung begründen, wenn diese sich aus einer organisatorisch-gruppenmäßigen Verbundenheit zu den Volksmudjaheddin ergibt, und nicht allein als außerhalb einer solchen gruppenmäßigen Verbundenheit "praktiziertes Mitläufertum" erscheint (Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 5.7.2006 (671 i/br) und vom 6.7.2006 (667 i/br). Das Kompetenzzentrum Orient Okzident Mainz vertritt die Auffassung, dass überzeugte Aktivisten der Volksmudjaheddin bei einer Rückkehr in den Iran gefährdet sind und dass auch Mitläufer, die an besonderen Aktionen teilgenommen haben, potentiell gefährdet sind (KOOM, Gutachten vom 24.11.2006 für OVG Hamburg). Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes findet in der Strafrechtspraxis der iranischen Justiz keine Unterscheidung statt zwischen einem Anhänger oder einem Mitglied der Volksmudjaheddin. Entscheidend sei der Charakter der Unterstützungshandlung beziehungsweise der oppositionellen Tätigkeit unter dem Banner der Volksmudjaheddin (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 8.2.2007 (508-516.80/44678)).

Bezogen auf den Fall des Klägers bleibt in tatsächlicher Hinsicht zusammenzufassen, dass nach den Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz davon auszugehen ist, dass der Kläger den iranischen Sicherheitsbehörden namentlich bekannt ist, dass er zwar selbst nicht zur Führungsriege des Nationalen Widerstandsrates Iran gehört, sich aber seinen glaubhaften Bekundungen zufolge mit großer Intensität und nicht als reiner Befehlsempfänger, sondern als Verantwortlicher einer kleinen Gruppe bundesweit für die Ziele der Volksmudjaheddin einsetzt und über persönliche Kontakte zu maßgeblichen Funktionären des Nationalen Widerstandsrates Iran verfügt. Vor dem Hintergrund der geschilderten Auskunftslage führt dies dazu, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden muss, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr das Interesse der staatlichen iranischen Sicherheitsbehörden wecken würde und demzufolge vor dem Hintergrund der Menschenrechtslage im Iran und insbesondere der rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht genügenden Verhörpraktiken (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4.7.2007) einer asylrelevanten Gefährdung ausgesetzt wäre.

Zwar hat der Kläger die nach alledem bestehende Gefahr politischer Verfolgung nach Verlassen seines Heimatlandes aus eigenem Entschluss gefasst, dieser entspricht indes im Sinne der in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des § 28 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. AsylVfG einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung.

Der Kläger hat bereits am 06.12.2002 anlässlich seiner Einreise in das Bundesgebiet bekundet, im Iran Plakate gegen die Regierung geschrieben und verbreitet zu haben (Bl. 13 der Verwaltungsakte der Beklagten). Anlässlich seiner am 08.12.2002 erfolgten Befragung durch den Bundesgrenzschutz hat er dies bekräftigt und geschildert, er habe den regimekritischen Aufsatz des Universitätsdozenten Hashem Aghajari, der wegen seiner in diesem Aufsatz vertretenen Meinung zum Tode verurteilt worden sei, im Auftrag einer regimekritischen Studentenorganisation zum Zweck der Verbreitung in Schönschrift gestaltet und sei in Bedrängnis geraten, nachdem die von ihm abgelieferte Druckvorlage von den iranischen Behörden sichergestellt worden sei. Im Rahmen seiner Anhörung durch die Beklagte vertiefte der Kläger sein Vorbringen und gab an, bereits 1994 seinen Arbeitsplatz auf behördliche Veranlassung verloren und seither als selbstständiger Kaligraph gearbeitet zu haben. Er habe bis zu seiner Ausreise regimekritische Studentenorganisationen unterstützt, indem er etwa von diesen benötigte Plakate mit regimekritischen Texten kostenlos angefertigt habe.

Damit hat der Kläger im Kern widerspruchsfrei und nach seinem persönlichen Auftreten überzeugend eine langjährige Protesthaltung gegen den iranischen Staat geschildert, die ihn seinen glaubhaften Darlegungen zufolge bereits in der Heimat zu regelmäßigen gegen das Regime gerichteten Aktivitäten veranlasst hat. Auch entspricht seine Schilderung der studentischen Unruhen infolge der Verurteilung des Universitätsprofessors Aghajari der Auskunftslage (FR vom 12.11.2002, vom 14.11.2002, vom 18.11.2002, vom 26.11.2002 und vom 9.12.2002; taz vom 19.11.2002; NZZ vom 29.6.2004; Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 28.4.2003 (470 i/br), vom 1.7.2003 (479 i/br) und vom 18.8.2003 (493 i/br); Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 11.6.2003 (508-516.80/41 407) und vom 19.7.2006 (508-516.80/43941) sowie Lagebericht vom 2.6.2003 (508-516.80/3 IRN).