OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.10.2001 - 11 A 4279/99.A - asyl.net: M1259
https://www.asyl.net/rsdb/M1259
Leitsatz:

Keine Gruppenverfolgung der Yeziden in Armenien.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Armenien, Kurden, Jesiden, Mitglieder, Verfolgung durch Dritte, Mittelbare Verfolgung, Fedajin, Glaubwürdigkeit, Gesteigertes Vorbringen, Wehrdienstentziehung, Einberufung, Strafverfolgung, Politmalus, Haftbedingungen, Schikanen im Wehrdienst, Religiös motivierte Verfolgung, Familienangehörige, Sippenhaft, Gruppenverfolgung
Normen: AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Es bestehen keine zureichenden Anhaltspunkte, dass die Beigeladenen bei ihrer Ausreise gefährdet waren, weil sich der Beigeladene zu 1. nach seinen Angaben für die Organisation Yekbun engagiert hat.

Eine Partei "Yekbun" oder "Jakbun" ist nicht in Armenien registriert.

Nach den Feststellungen Konrads handelt es sich um die "Partei für die Freiheit und den Fortschritt Kurdistans". Von ihrem Anspruch her habe es sich zumindest früher nicht um eine yezidische Partei, sondern um eine pankurdische Partei gehandelt, die mit allen kurdischen Parteien aus allen Teilen Kurdistans habe zusammenarbeiten wollen.

Er meint, eine etwaige Verfolgung der Partei hätte in Armenien wenigstens in interessierten Kreisen bekannt werden müssen, was nicht der Fall sei.

Es ist auch nichts für eine Gefährdung der Beigeladenen ersichtlich, weil der Beigeladene nach seinen Angaben für die Organisation "Ro" gearbeitet hat. Eine derartige Organisation gibt es nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes nicht. Im Jahre 1990 gab es zwar Bestrebungen, eine Organisation mit diesem Namen zu gründen. Das Ziel war die Erhaltung der kurdischen Nationalität als anerkannte und gleichberechtigte Minderheit in Armenien und die Pflege von Kontakten mit anderen kurdischen Organisationen innerhalb und außerhalb Armeniens. Die Gründung unterblieb, weil sich nicht in ausreichender Zahl Mitglieder fanden. Mit einer Unterstützung der "Ro" lässt sich damit eine Verfolgungsgefahr nicht begründen.

Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG können die Beigeladenen nicht deshalb beanspruchen, weil der Beigeladene zu 1. nach seinen Angaben wiederholten Einberufungen zum Wehrdienst keine Folge geleistet hat.

Anhaltspunkte dafür, dass durch das armenische Strafrecht die Wehrdienstverweigerer in asylerheblichen Merkmalen getroffen werden sollen, bestehen nicht. Wer den Wehrdienst verweigert, muss mit administrativen Sanktionen und einer Gefängnisstrafe von einem Jahr bis zu drei Jahren, unter erschwerenden Umständen (z.B. Betrug, vorgetäuschte Krankheit) von bis zu fünf Jahren, rechnen. Ein Politmalus besteht nicht.

Berichte über eine Bestrafung wegen einer religiös begründeten Verweigerung des Wehrdienstes beschränken sich auf Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas, die gerade wegen der Haltung zum Wehrdienst bisher nicht registriert worden ist.

Nach den dem Senat zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln bestehen zwar in der armenischen Armee und im armenischen Strafvollzug Missstände. Unter diesen Missständen leiden aber nicht nur Angehörige religiöser Minderheiten. Sie erreichen auch kein Ausmaß, das Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG rechtfertigen könnte. Schikanen und Misshandlungen von Wehrdienstleistenden durch Kameraden oder Ausbilder bilden in allen Staaten der ehemaligen Sowjetunion ein ernsthaftes Problem. In Armenien verbindet sich die Unsitte der "Rekrutenschinderei" mit weit verbreiteter Bestechlichkeit im öffentlichen Dienst. Die Verhältnisse haben sich in den letzten Jahren jedoch allmählich gebessert.

Dass sich gelegentlich vorkommende Übergriffe vor allem gegen Angehörige der religiösen Minderheiten richten, ist nicht ersichtlich. Repräsentanten der Yeziden beklagen zwar, yezidische Wehrpflichtige seien in einem ungewöhnlich hohen Maß von Schlägen betroffen. Anhaltspunkte dafür, dass es sich um Ereignisse handelt, die das erforderliche asylrechtliche Gewicht besitzen, liegen jedoch nicht vor.

Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG können die Beigeladenen zu 2. und 3. nicht deshalb beanspruchen, weil sie unter den Folgen einer Wehrdienstentziehung durch den Beigeladenen zu 1. zu leiden hätten. Soweit das Bundesamt einer Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 13. Juni 1994 entnommen hat, dass Familienangehörige unter einer Wehrdienstentziehung leiden müssten, weil die Nahrungsmittel gekürzt oder gestrichen werden, bieten aktuellere Erkenntnismittel - etwa der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 9. April 2001 - keinen Anhalt für eine solche Praxis. Allerdings wird berichtet, dass flüchtige Wehrdienstpflichtige dadurch unter Druck gesetzt worden seien, dass man Familienangehörige wegen der Wehrdienstentziehung inhaftiert habe. Es handelt sich dabei jedoch um Einzelfälle. Die nichtstaatliche Organisation "Soldatenmütter" hat bekräftigt, dass eine solche Praxis, die 1992 und 1993 bestanden habe, aufgegeben worden sei.

Somit sind die Beigeladenen zu 2. und 3. bei einer Rückkehr nach Armenien und einer weiteren Wehrdienstentziehung durch den Beigeladenen zu 1. vor der Gefahr der Sippenhaft sicher.

Eine beachtliche Gefahr individueller Verfolgung rührt nicht daher, dass die Beigeladenen zur Minderheit der Yeziden in Armenien gehören und sich insbesondere als Kurden verstehen. Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Yeziden in Armenien keiner (unmittelbaren oder mittelbaren) staatlichen Gruppenverfolgung ausgesetzt sind.