VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 18.02.2008 - VG 19 A 255.07 - asyl.net: M12590
https://www.asyl.net/rsdb/M12590
Leitsatz:

Eine vorsätzliche Identitätstäuschung schließt nach der Berliner Erlasslage auch dann die Anwendung der Bleiberechtsregelung auf Grundlage des IMK-Beschlusses aus 2006 aus, wenn sie nicht ursächlich für die Verlängerung des Aufenthalts war.

 

Schlagwörter: D (A), Widerruf, Duldung, Aufenthaltserlaubnis, Bleiberechtsregelung 2006, IMK-Beschluss, Täuschung, Falschangaben, Identitätstäuschung, Ursächlichkeit, Erlasslage
Normen: AufenthG § 60a Abs. 5 S. 2; AufenthG § 23 Abs. 1; VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

Eine vorsätzliche Identitätstäuschung schließt nach der Berliner Erlasslage auch dann die Anwendung der Bleiberechtsregelung auf Grundlage des IMK-Beschlusses aus 2006 aus, wenn sie nicht ursächlich für die Verlängerung des Aufenthalts war.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der sinngemäße Antrag des iranischen Staatsangehörigen, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 9. August 2007 gegen den Widerrufsbescheid vom 31. Juli 2007 wiederherzustellen, ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.

Der angegriffene Bescheid erweist sich nach summarischer Prüfung als rechtmäßig. Verfahrensrechtliche Bedenken bestehen nicht. Der Widerrufsbescheid findet seine Rechtsgrundlage in § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG.

Vorliegend wurde dem Antragsteller, der seit dem rechtskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens am 12. August 2005 vollziehbar ausreisepflichtig ist, die Duldung lediglich deshalb erteilt, weil seine Abschiebung aufgrund fehlenden Passes tatsächlich unmöglich war. Nachdem ihm von der Botschaft der Islamischen Republik Iran am 2. Januar 2007 ein Pass ausgestellt worden ist, ist die Durchführung der Abschiebung nunmehr möglich. Da auch keine anderen Vollstreckungshindernisse im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG vorliegen, war die Duldung zu widerrufen.

Insbesondere war die Abschiebung nicht aufgrund der nach § 23 Abs. 1 AufenthG zur Umsetzung des Bleiberechtsbeschlusses der Innenministerkonferenz vom 17. November 2006 (im Folgenden nur Bleiberechtsbeschluss) ergangenen Anordnung der Senatsverwaltung für Inneres und Sport vom 4. Dezember 2006 unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen vorläufigen Anwendungshinweise des Antragsgegners vom 19. Dezember 2006 rechtlich unmöglich, denn dem Antragsteller stand ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht zu.

Nach II. Ziff. 3. des vorgenannten Bleiberechtsbeschlusses kann der weitere Aufenthalt von ausreisepflichtigen ausländischen Staatsangehörigen, die faktisch wirtschaftlich und sozial integriert sind, unter den dort näher bezeichneten Voraussetzungen zugelassen werden. Es kann dahinstehen, ob der Antragsteller diese Voraussetzungen erfüllt, denn jedenfalls ist er nach II. Ziff. 6.1 des Beschlusses von der Bleiberechtsregelung ausgeschossen. Danach sind Personen, die die Ausländerbehörde vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht haben, von der Regelung ausgenommen.

Der Antragsteller ist 1997 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hat unter Angabe der unzutreffenden Personalien ..., geb. 22. Mai 1972 in Teheran, einen Asylantrag gestellt. Unter diesen Personalien ist er auch noch nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens am 12. August 2005 der Ausländerbehörde gegenüber aufgetreten. Daher wurde ihm auch am 10. März 2006 die Duldung unter den vorgenannten Personalien erteilt. Erst mit Schreiben seines damaligen Bevollmächtigten vom 9. Mai 2006 ließ der Antragsteller der Ausländerbehörde seine wahren Personalien mitteilen und beantragte unter Vorlage einer Ablichtung seiner nationalen Identitätskarte nebst deutscher Übersetzung die Ausstellung einer berichtigten Duldung.

Danach hat der Antragsteller die Ausländerbehörde über seine Identität und somit über einen aufenthaltsrechtlich relevanten Umstand getäuscht. Insbesondere handelte der Antragsteller hierbei auch vorsätzlich, denn ihm waren sämtliche Umstände bekannt und er wollte die Ausländerbehörde über seine wahre Identität in Unkenntnis lassen. Zwar hat der Antragsteller mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 5. Januar 2007 an den Antragsgegner erklären lassen, die Angabe der falschen Personalien im Asylverfahren sei nicht erfolgt, um vorsätzlich aufenthaltsbeendende Maßnahmen hinauszuzögern, sondern sei in seiner Angst während des Asylverfahrens begründet gewesen. Unabhängig davon, ob ein entsprechender Vorsatz überhaupt erforderlich ist, kann diese Erklärung nicht überzeugen, denn es ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Täuschung dann noch nach Abschluss des Asylverfahrens gegenüber der Ausländerbehörde aufrechterhalten worden ist.

Es kann dahinstehen, ob die Täuschung des Antragstellers für die Dauer seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland kausal gewesen ist, denn entgegen der Auffassung des Antragstellers ist der Ausschlussgrund der vorsätzlichen Täuschung nicht nur dann gegeben, wenn die Identitätstäuschung für die Verzögerung der Abschiebung allein ursächlich gewesen ist (so auch VG Berlin, Urteil vom 6. Februar 2008 - VG 35 A 196.07 -).

Ein derartiges Kausalitätserfordernis kann weder dem Wortlaut der Ziff. 6.1 des Bleiberechtsbeschlusses entnommen noch im Wege der Auslegung angenommen werden. Dies ergibt sich bereits aus dem Vorhandensein des weiteren Ausschlussgrunds in Ziff. 6.2 des Bleiberechtsbeschlusses, wonach Personen von der Regelung ausgeschlossen sind, die behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich hinausgezögert oder behindert haben. Würde man bei Vorliegen einer vorsätzlichen Täuschung ein Ausschlussgrund nach Ziff. 6.1 nur dann annehmen, wenn diese zugleich zu einer Verzögerung der Abschiebung geführt hat, käme dem Ausschlussgrund nach Ziff. 6.1 keine eigenständige Bedeutung zu, denn dann läge zugleich auch immer ein Ausschlussgrund nach Ziff. 6.2 des Bleiberechtsbeschlusses vor.

Dieses Verständnis steht auch im Einklang mit der Intention der Bleiberechtsregelung, nämlich diejenigen zu begünstigen, die faktisch und wirtschaftlich im Bundesgebiet integriert sind und sich rechtstreu verhalten haben (vgl. BT-Drucks. 16/5065, Seite 202; zwar zur Einführung des § 104a AufenthG als gesetzliche Regelung des Bleiberechts, jedoch in Anlehnung an den Bleiberechtsbeschluss). Ein Ausländer, der die Ausländerbehörde über seine Identität täuscht, verhält sich jedoch nicht rechtstreu und muss sich dies vorhalten lassen, wenn die Täuschung in dem nach Ziff. 3.1 relevanten Zeitraum stattgefunden hat bzw. aufrechterhalten worden ist.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einem Vergleich mit der Regelung des § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG, wonach eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nur erteilt werden darf, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist und ein Verschulden des Ausländers insbesondere dann vorliegt, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen an die Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt. Zwar ist im Rahmen dieser Vorschrift eine Ursächlichkeit der Identitätstäuschung für die Unmöglichkeit der Ausreise erforderlich, um ein schuldhaftes Verhalten des Ausländers anzunehmen (Renner, AuslR, 8. Auflage, § 25, Rdnr. 36; Hailbronner, AuslR, Stand Dezember 2007, § 25, Rdnr. 113). Entsprechende Voraussetzungen sind in Ziff. 6.1 des Bleiberechtsbeschlusses sowie der gesetzlichen Regelung des § 104a Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nach deren Wortlaut gerade nicht aufgenommen worden, so dass das Verständnis aus § 25 AufenthG zu der Frage des Verschuldens nicht auf den Ausschlussgrund der vorsätzlichen Täuschung im Rahmen der Bleiberechtsregelungen übertragen werden kann. Dies ist auch vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Intentionen der beiden Regelungen sachgerecht, denn während § 25 AufenthG die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen regelt, will die Bleiberechtsregelung nur rechtstreuen und integrierten Ausländern zu einem Aufenthaltsrecht verhelfen.

Zwar enthalten die vorläufigen Bestimmungen einiger Bundesländer zur Umsetzung des Bleiberechtsbeschlusses vom 17. November 2006 zu Ziff. 6.1 ausdrückliche Regelungen, wonach auch die Täuschung dafür ursächlich gewesen sein muss, dass der Aufenthalt des Ausländers nicht beendet werden konnte (so z.B. die vorläufigen Bayerischen Bestimmungen zur Umsetzung des Bleiberechtsbeschlusses der IMK vom 17. November 2006 des Staatsministeriums des Innern vom 21. November 2006 und der Erlass Nr. 09/2006 des Landes Brandenburg, Ministerium des Innern vom 8. Dezember 2006). Hingegen findet sich eine entsprechende Regelung weder in den vorläufigen Anwendungshinweisen der Ausländerbehörde Berlin vom 19. Dezember 2006 noch in den aktuell geltenden vorläufigen Anwendungshinweisen der Ausländerbehörde Berlin vom 3. Dezember 2007 zu der nunmehrigen gesetzlichen Regelung des § 104a AufenthG. In den aktuellen Anwendungshinweisen ist - ebenso wie in den Hinweisen des Bundesministeriums des Inneren zu den wesentlichen Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 - lediglich für den Ausschlussgrund des vorsätzlichen Hinauszögerns oder Behinderns behördlicher Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung (§ 104a Abs. 1 Nr. 4 Alt. 2 AufenthG und Ziff. 6.2. des Bleiberechtsbeschlusses) bestimmt, dass dieses Verhalten für die Verzögerung oder Verhinderung der Abschiebung allein ursächlich gewesen sein muss. Im Umkehrschluss folgt hieraus, dass eine entsprechende Kausalität für den Ausschlussgrund der vorsätzlichen Täuschung gerade nicht erforderlich ist.