VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.01.2008 - 11 S 2765/07 - asyl.net: M12585
https://www.asyl.net/rsdb/M12585
Leitsatz:

1. Die Gestattung einer Erwerbstätigkeit unmittelbar durch eine Aufenthaltserlaubnis schließt eine über die Geltungsdauer dieses Aufenthaltsrechts hinausgehende eigenständige Rechtsposition auf dem Arbeitsmarkt aus. Deshalb liegt - unbeschadet eines Eingriffs in eine Rechtsstellung nach den Art. 6 und 7 ARB 1/80 - weder in der Ablehnung der Verlängerung noch in der sonstigen Beendigung des Aufenthaltsrechts eines türkischen Arbeitnehmers eine nach Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 unzulässige Diskriminierung.

2. Dies gilt auch, soweit dem Ausländer nach § 81 Abs. 4 AufenthG und § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG - zeitlich begrenzt - die Aufnahme oder Fortführung einer Erwerbstätigkeit weiterhin gestattet ist.

 

Schlagwörter: D (A), Türken, Arbeitnehmer, ordnungsgemäße Beschäftigung, Aufenthaltserlaubnis, Fortgeltungsfiktion, Diskriminierungsverbot, Erwerbstätigkeit, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: ARB Nr. 1/80 Art. 6 Abs. 1; AufenthG § 84 Abs. 4; ARB Nr. 1/80 Art. 10 Abs. 1; AufenthG § 4 Abs. 2; VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

1. Die Gestattung einer Erwerbstätigkeit unmittelbar durch eine Aufenthaltserlaubnis schließt eine über die Geltungsdauer dieses Aufenthaltsrechts hinausgehende eigenständige Rechtsposition auf dem Arbeitsmarkt aus. Deshalb liegt - unbeschadet eines Eingriffs in eine Rechtsstellung nach den Art. 6 und 7 ARB 1/80 - weder in der Ablehnung der Verlängerung noch in der sonstigen Beendigung des Aufenthaltsrechts eines türkischen Arbeitnehmers eine nach Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 unzulässige Diskriminierung.

2. Dies gilt auch, soweit dem Ausländer nach § 81 Abs. 4 AufenthG und § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG - zeitlich begrenzt - die Aufnahme oder Fortführung einer Erwerbstätigkeit weiterhin gestattet ist.

(Amtliche Leitsätze)

 

Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat der Antragsteller ein eigenständiges Aufenthaltsrecht auch nicht aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt erworben.

Insbesondere kann der Antragsteller ein solches Aufenthaltsrecht nicht aus Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB Nr. 1/80 herleiten. Denn eine ordnungsgemäße Beschäftigung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer im Besitz eines in seinem Bestand nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts ist (vgl. EuGH, Urteil vom 16.12.1992, a.a.O., Rn. 12, 22 und 49). Ein solches unbestrittenes Aufenthaltsrecht hatte der Antragsteller aber nur bis zum Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis am 30.08.2006 und nicht - wie in der Beschwerde vorgetragen - bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Verlängerungsantrags am 20.06.2007 inne. Denn die nach § 81 Abs. 4 AufenthG bei Stellung eines Verlängerungsantrags eintretende vorläufige Fortgeltung ist nicht mit der notwendigen gesicherten Erwartung verbunden, dass das zunächst fingierte Aufenthaltsrecht auch tatsächlich besteht (vgl. Senatsbeschluss vom 26.01.2006 - 11 S 1704/05 -; BayVGH vom 04.08.2005 - 10 CS 05.1658 - juris; Hess.VGH vom 26.07.2007 - 11 TG 1414/07 - juris; ebenso - zur Regelung des § 69 Abs. 3 Satz 1 AuslG 1990 - EuGH, Urteil vom 16.12.1992, a.a.O.; BVerwG vom 10.05.1995 - 1 B 72.95 - InfAuslR 1995, 312 = Buchholz 402.240 § 69 AuslG 1990 Nr. 1; Urteil des Senats vom 15.10.2003 - 11 S 910/03 -, FamRZ 2004, 1103).

Schließlich ist dem Antragsteller auch nicht deshalb ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet eingeräumt, weil er in Bezug auf die Ausübung einer Beschäftigung im Bundesgebiet im Besitz einer gegenüber der Aufenthaltserlaubnis weitergehenden Rechtsposition gewesen wäre und sich die Beschränkung des Aufenthaltsrechts deshalb als nach Art. 10 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 unzulässige Diskriminierung gegenüber den anderen Arbeitnehmern aus der Europäischen Union darstellen würde. Dabei kann offen gelassen werden, ob einer unbefristeten oder jedenfalls zeitlich in ihrer Geltung über das Aufenthaltsrecht hinausgehenden Arbeitserlaubnis eine auch aufenthaltsrechtlich relevante Rechtsposition zugesprochen werden kann (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 26.10.2006 - Rs. C-4/05 -, Slg. 2006, I-10279 - Güzeli = InfAuslR 2007, 1 und Urteil vom 14.12.2006 - C-97/05 -, Slg. 2006, I-11917 - Gattoussi = InfAuslR 2007, 89 sowie bejahend VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.09.2007 - 13 S 1059/07 -, juris und verneinend BVerwG, Urteil vom 01.07.2003 - 1 C 18/02 -, NVwZ 2004, 241 = InfAuslR 2004, 54 und OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.02.2007 - 18 B 108/07 -, juris; kritisch auch Hailbronner, NVwZ 2007, 415). Denn dem Antragsteller ist eine solche, zeitlich über das Aufenthaltsrecht hinausgehende eigenständige Rechtsposition auf dem Arbeitsmarkt allenfalls in einem letztlich unerheblichen Maße eingeräumt. Dies ergibt sich daraus, dass das Recht des Antragstellers zur Ausübung einer Beschäftigung nicht mehr - wie nach der bis zum Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes (vom 30.07.2004, BGBl. I S. 1950, 2001, ber. BGBl. 2005 I S. 725) geltenden Regelung des § 284 SGB III (i.d.F. des Art. 1 des Gesetzes vom 24.03.1997, BGBl. I 594, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.04.2003, BGBl. I S. 602) - auf einer eigenständigen Arbeitserlaubnis beruht. Vielmehr wurde dem Antragsteller die Erwerbstätigkeit nach § 4 Abs. 2 Satz 1, § 28 Abs. 5 AufenthG unmittelbar und ausschließlich durch die ihm am 30.08.2005 nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis gestattet. Dem Hinweis in der Aufenthaltserlaubnis auf diese Gestattung kommt gegenüber der hier allein maßgeblichen gesetzlichen Regelung nur die Bedeutung eines deklaratorischen Vermerks zu (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 AufenthG; BT-Drs. 15/420 S. 69). Dieser unmittelbaren Bindung der Gestattung einer Erwerbstätigkeit an die Erteilung eines Aufenthaltstitels entspricht es, wenn diese Gestattung auch in ihrer Gültigkeitsdauer an den Fortbestand des entsprechenden Aufenthaltsrechts gekoppelt ist und somit auch grundsätzlich mit dem Ablauf der Geltungsdauer einer Aufenthalterlaubnis erlischt (so auch Armbruster, HTK-AuslR/ARB 1/80/ Art. 10 05/2007).

Durch die Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis wird der Antragsteller auch nicht deshalb im Sinne des Art. 10 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 in unzulässiger Weise gegenüber den anderen Arbeitnehmern aus der Europäischen Union diskriminiert, weil die mit dem Aufenthaltserlaubnisantrag verbundene Gestattung der Erwerbstätigkeit nach § 81 Abs. 4 AufenthG und § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG über die Geltungsdauer der ursprünglichen Aufenthaltserlaubnis hinaus noch während des gerichtlichen Verfahrens auf vorläufigen Rechtsschutz fortdauerte. Denn mit der hiermit gegebenen Gestattung der Erwerbstätigkeit wird dem Ausländer keine eigenständige Rechtsposition auf dem Arbeitsmarkt eingeräumt, die - wie bei den Arbeitnehmern aus der Europäischen Union - vom Bestehen eines Aufenthaltsrechts unabhängig wäre und deren Entzug durch die Beendigung des Aufenthaltsrechts sich deshalb gegenüber diesen Arbeitnehmern als nach Art. 10 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 unzulässige Diskriminierung darstellen könnte. Vielmehr hat das vorläufige Beschäftigungsrecht des Antragstellers seinen Grund allein in der gesetzlichen Vermutung, dass das Fehlen eines Anspruchs auf Verlängerung des bisherigen Aufenthaltsrechts bis zu einer Entscheidung der Ausländerbehörde und dem Abschluss eines Verfahrens auf vorläufigen Rechtsschutz noch unsicher ist, so dass es unverhältnismäßig wäre, dem Ausländer die Möglichkeit der Aufnahme oder Fortführung einer Erwerbstätigkeit bereits vor einer entsprechenden ablehnenden Entscheidung der Ausländerbehörde und der Verwaltungsgerichte zu nehmen. Ebenso wie in den sonstigen Fällen des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG bleibt das Beschäftigungsrecht des Ausländers insoweit allein auf das - in seinem Bestand allerdings streitige - Aufenthaltsrecht bezogen, als es unmittelbar mit dem Eintritt der Bestandskraft der ausländerrechtlichen Entscheidung oder des Wegfalls der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs gegen diese wieder entfällt.