BSG

Merkliste
Zitieren als:
BSG, Urteil vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 28/06 R - asyl.net: M12583
https://www.asyl.net/rsdb/M12583
Leitsatz:

Zum Bezug von Leistungen nach dem SGB II für Auszubildende bei besonderer Härte.

 

Schlagwörter: D (A), Grundsicherung für Arbeitssuchende, Ausbildung, BAFöG, Auszubildende, Berufsfachschule, Verfassungsmäßigkeit, besonderer Härtefall, unbegleitete Minderjährige
Normen: SGB II § 7 Abs. 5; SGB II § 7 Abs. 6
Auszüge:

Zum Bezug von Leistungen nach dem SGB II für Auszubildende bei besonderer Härte.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGGgt;).

Das LSG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes hat - weder als Zuschuss, noch als Darlehen -, weil sie sich in einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung befindet (§ 7 Abs 5 Satz 1 SGB II).

3 a) Danach haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die Klägerin befindet sich in einer solchen dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung.

Dass ihre Ausbildung tatsächlich nicht gefördert wird, ist im Rahmen des § 7 Abs 5 Satz 1 SGB II ebenso ohne Belang wie die Frage, aus welchen individuellen Gründen keine Förderung erfolgt. Die Vorschrift stellt allein auf die Förderungsfähigkeit der Ausbildung ab (vgl Entscheidung des erkennenden Senats vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 36/06 R, zur Veröffentlichung vorgesehen; Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/Asylbewerberleistungsgesetz, Stand April 2007, § 7 SGB II RdNr 108; Brühl/Schoch in Münder, SGB II, 2. Aufl, 2007, § 7 RdNr 95 ff; Hänlein in Gagel, SGB III mit SGB II, Stand 1. Mai 2007, § 7 SGB II RdNr 85 ff; Hackethal in Juris PraxisKommentar SGB II, 2. Aufl 2007, § 7 RdNr 62; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 7 RdNr 43, 21 ff; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, Stand Februar 2007, § 7 RdNr 87).

(aa) Das zeigt bereits der Wortlaut "deren Ausbildung ... dem Grunde nach förderungsfähig ist".

(cc) Dies steht im Einklang mit der Systematik des Gesetzes und seiner Zielrichtung. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll nach § 1 Abs 1 SGB II dazu beitragen, dass erwerbsfähige Hilfebedürftige ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können (Satz 1). Hilfebedürftige sollen bei der Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit unterstützt und ihr Lebensunterhalt gesichert werden, soweit sie ihn nicht auf andere Weise bestreiten können (Satz 2). Der Katalog des § 1 Abs 1 Satz 4 SGB II macht deutlich, dass Ziel des Gesetzes die Förderung der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ist, die den Lebensunterhalt des Hilfebedürftigen sichert (vgl Spellbrink aaO § 1 RdNr 13). Grundlegender Ausgangsgedanke ist, dass der Sozialleistungsempfänger aktiv dabei unterstützt werden soll, vom passiven Objekt staatlicher Hilfe zum aktiven Subjekt und Gesellschaftsmitglied zu werden (vgl Spellbrink aaO § 1 RdNr 1), woraus sich das Gebot ergibt, den Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern.

Dass der Abschluss einer Berufsausbildung sich regelmäßig auf die Chancen im Erwerbsleben positiv auswirken dürfte, mag eine Förderung grundsätzlich wünschenswert erscheinen lassen, führt aber nicht notwendig zur Inpflichtnahme des SGB II-Leistungsträgers. Für die Ausbildungsförderung hat der Gesetzgeber ein spezialgesetzliches Leistungssystem etabliert.

Leistungen nach dem SGB II kommen neben dem System der Ausbildungsförderung nur in Betracht, wenn entweder eine besondere, nicht ausbildungsbedingte Bedarfslage entstanden ist (vgl hierzu Entscheidung des erkennenden Senats vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 36/06 R, zur Veröffentlichung vorgesehen; BVerwGE 94, 224 ff; vgl auch Fachliche Hinweise der BA Stand 31. Mai 2007, § 7 SGB II RdNr 7.90), zB durch Mehrbedarfe, für die Leistungen nach § 21 Abs 2, 3 und 5 SGB II zu gewähren sind oder wenn Leistungen außerhalb des Abschnitts 2 des 3. Kapitels des SGB II beansprucht werden können, also Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach Abschnitt 1 des 3. Kapitels des SGB II.

Der Leistungsausschluss begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar führt der Ausschluss sowohl im SGB II als auch im SGB XII dazu, dass im Einzelfall für Ausbildungszeiten überhaupt keine staatliche Sozialleistung zur Verfügung gestellt wird (vgl Spellbrink, aaO § 7 RdNr 40). Der Gesetzgeber stellt aber grundsätzlich ein besonderes System der Ausbildungsförderung zur Verfügung, mit dem er den Lebensunterhalt während einer Ausbildung sichert. Er ist verfassungsrechtlich nicht gehalten, darüber hinaus Ausbildungszeiten auch außerhalb dieses Systems zu fördern. Soweit jemand eine Ausbildung betreiben möchte, obwohl er die Anspruchsvoraussetzungen des zur Förderung einer Ausbildung vorgesehenen Sozialleistungssystems nicht erfüllt, handelt es sich um eine vom Auszubildenden selbst zu verantwortende Entscheidung. Sie kann zumindest nicht die Konsequenz haben, den Gesetzgeber zu verpflichten, auch während dieser Ausbildung Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts nach einem System (SGB II) zu gewähren, das der Existenzsicherung von Personen dient, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Einkommen erzielen wollen und nur wegen des Fehlens einer Erwerbsmöglichkeit (vorübergehend) der Unterstützung bedürfen.

5. Die Klägerin hat auch nicht deshalb einen Leistungsanspruch, weil ein besonderer Härtefall iS des § 7 Abs 5 Satz 2 SGB II vorliegt.

Bei dem Tatbestandsmerkmal "besonderer Härtefall" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl für die "besondere Härte" iS des § 121 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II BSG, Urteil vom 16. Mai 2007 - B 11b AS 37/06 R - RdNr 34; für die "besondere Härte" iS des § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Kraftfahrzeughilfe-Verordnung BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 - B 7a AL 34/06 R = SGb 2007, 224, 225).

(aa) Aus dem Wortlaut von § 7 Abs 5 SGB II lässt sich ein Regel-Ausnahmeverhältnis entnehmen. Nach § 7 Abs 5 Satz 1 SGB II werden bei Vorliegen einer dem Grunde nach dem BAföG oder §§ 60 bis 62 SGB III förderungsfähigen Ausbildung keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährt. Nur ausnahmsweise können im Einzelfall gleichwohl Leistungen bewilligt werden, wenn trotz des generellen Leistungsausschlusses im Hinblick auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die Gewährung derartiger Leistungen geboten erscheint.

(bb) Das Recht der Grundsicherung soll in aller Regel ebenso wenig wie die Leistungen nach dem SGB XII dazu dienen, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen.

Allerdings betrifft der Ausschluss nur den ausbildungsbedingten Bedarf. Ein Mehrbedarf, unabhängig von der Ausbildung, ist daher gleichwohl nach § 21 SGB II oder § 23 SGB XII zu erbringen. Auf Grund des Regel-Ausnahmeverhältnisses von § 7 Abs 5 Satz 1 und 2 SGB II muss dieses auch für die Leistungserbringung im "besonderen Härtefall" gelten. Die Fallgruppen, die Leistungen für Mehrbedarfe prägen, lösen demnach keinen "besonderen Härtefall" iS des § 7 Abs 5 Satz 2 SGB II aus (zT aA OVG Lüneburg Urteil vom 26. Juni 2002 - 4 LB 35/02, NDV-RD 2003, 30). Aus dem Gesetzeszweck, die Grundsicherung für Arbeitsuchende von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, folgt auch, dass nicht bereits allein der Umstand, dass eine Ausbildung wegen fehlender Förderung nicht fortgeführt werden kann, einen Härtefall zu begründen vermag. Das hat der Gesetzgeber mit der dargestellten Konzeption des gegliederten Sozialleistungssystems bewusst in Kauf genommen. Erforderlich sind vielmehr besondere Umstände des Einzelfalls, die es darüber hinaus gehend als unzumutbar erscheinen lassen, dem Hilfebedürftigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu verweigern (vgl LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. April 2007 - L 28 B 376/07 AS ER - RdNr 11, Juris; Hessisches LSG, Beschluss vom 7. November 2006 - L 7 AS 200/06 ER - ZfSH/SGB 2007, 274 ff; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15. April 2005 - L 2 B 7/05 AS ER - NZS 2006, 161 f.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14. April 2005 - L 8 AS 36/05 ER - FEVS 56, 511 ff). Dabei ist zu berücksichtigen, dass das SGB II, anders als das SGB XII, neben dem Grundsatz des Forderns (§ 2 SGB II), auch geprägt ist durch den des Förderns (§ 14 SGB II). Demnach soll nach § 1 Abs 1 SGB II die Grundsicherung für Arbeitsuchende die Eigenverantwortlichkeit von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen stärken und dazu beitragen, dass sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können. Sie soll den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ua bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit unterstützen. Die Leistungen der Grundsicherung sind daher insbesondere darauf auszurichten, durch eine Erwerbstätigkeit Hilfebedürftigkeit zu vermeiden oder zu beseitigen. Hieraus folgt, dass ein besonderer Härtefall iS des § 7 Abs 5 Satz 2 SGB II etwa auch dann anzunehmen ist, wenn wegen einer Ausbildungssituation Hilfebedarf (Bedarf an Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts) entstanden ist, der nicht durch BAföG oder Ausbildungsbeihilfe gedeckt werden kann und deswegen begründeter Anlass für die Annahme besteht, die vor dem Abschluss stehende Ausbildung werde nicht beendet und damit drohe das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit, verbunden mit weiter bestehender Hilfebedürftigkeit. Dies trägt zweierlei Rechnung: Zum einen entspricht sie dem gesetzgeberischen Willen, neben den gesetzlich vorgesehenen "Ausbildungshilfen" über das SGB II kein weiteres Hilfesystem zu installieren. Die Hilfe zum Lebensunterhalt muss die Ausnahme bleiben. Zum anderen gewährleistet sie den Grundsatz des "Forderns".

Ob ein besonderer Härtefall vorliegt, ist im Lichte dieser Zweckrichtungen unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Das LSG hat zu Recht die Möglichkeit einer besonderen Härte für den Fall gesehen, dass ein wesentlicher Teil der Ausbildung bereits absolviert ist und der bevorstehende Abschluss unverschuldet an Mittellosigkeit zu scheitern droht (vgl auch Hessisches LSG, Beschluss vom 7. November 2006 - L 7 AS 200/06 ER = ZfSH/SGB 2007, 274 ff; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15. April 2005 - L 2 B 7/05 AS ER - = NZS 2006, 161 f für den Fall "unmittelbar bevorstehende Abschlussprüfung und bereits begonnene Diplomarbeit"). Es muss dabei eine durch objektive Umstände belegbare Aussicht bestehen, nachweisbar beispielsweise durch Meldung zur Prüfung, wenn alle Prüfungsvoraussetzungen bereits erfüllt sind, die Ausbildung werde mit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in absehbarer Zeit durch einen Abschluss zum Ende gebracht. Unter diesen Voraussetzungen kann von einem besonderen Härtefall ausgegangen werden, wenn der Lebensunterhalt während der Ausbildung durch Förderung auf Grund von BAföG/SGB III-Leistungen oder anderen finanziellen Mittel - sei es Elternunterhalt, Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit oder möglicherweise bisher zu Unrecht gewährte Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts (Vertrauensschutz) - gesichert war, die kurz vor Abschluss der Ausbildung entfallen. Gleiches gilt für den Fall der Unterbrechung der bereits weit fortgeschrittenen und bisher kontinuierlich betriebenen Ausbildung auf Grund der konkreten Umstände des Einzelfalls wegen einer Behinderung oder Erkrankung.

Soweit die Klägerin argumentiert, dass ihre besondere Situation als unbegleitet minderjährig eingereister Flüchtling im Rahmen des BAföG nicht berücksichtigt werden könne und daher einen Härtefall iS des § 7 Abs 5 Satz 2 SGB II begründe, überzeugt dies nicht. Gerade der Umstand, dass der Gesetzgeber Fallkonstellationen wie die der Klägerin nicht in § 8 BAföG berücksichtigt hat, zeigt, dass dieser Personenkreis grundsätzlich keine Leistungen zur Förderung einer Ausbildung erhalten soll. Diese gesetzgeberische Bewertung erlaubt es nicht, den Ausschluss nach § 8 BAföG als besondere Härte im Rahmen des SGB II anzusehen. Eine besondere Härte kann regelmäßig nicht daraus hergeleitet werden, dass die Voraussetzungen für die Förderung nach dem BAföG nicht erfüllt werden. Eine Ausweitung des anspruchsberechtigten Personenkreises mag integrations- und bildungspolitisch wünschenswert sein und zukünftig erfolgen (vgl Entwurf eines Zweiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des BAföG vom 27. April 2007, BT-Drucks 16/5172), rechtlich geboten ist sie nicht.