SG Dresden

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Zitieren als:
SG Dresden, Beschluss vom 31.01.2008 - S 19 AY 33/07 - asyl.net: M12560
https://www.asyl.net/rsdb/M12560
Leitsatz:

Einstweilige Anordnung auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG nach Erfüllung der 36-Monats-Frist nach § 2 Abs. 1 AsylVfG a.F.; Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind offen.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, 36-Monats-Frist, 48-Monats-Frist, Altfälle, Übergangsregelung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Eilbedürftigkeit
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2
Auszüge:

Einstweilige Anordnung auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG nach Erfüllung der 36-Monats-Frist nach § 2 Abs. 1 AsylVfG a.F.; Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind offen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist zulässig und begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund ausreichend glaubhaft gemacht, da der Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache als offen anzusehen ist und ihnen auf Grund einer Folgenabwägung der vorläufige Bezug von Leistungen nach § 2 AsylbLG zuzusprechen ist. Die erkennende Kammer folgt insoweit weitgehend der nachfolgend wiedergegebenen Begründung des Sozialgerichts Hildesheim in seinem Beschluss vom 30. Oktober 2007, Az.: S 40 AY 108/07 ER.

Der Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache ist als offen anzusehen, da der Gesetzgeber mit Einführung des § 2 Abs. 1 AsylbLG n.F. mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 28. August 2007 (Art. 6 Abs. 2 Nr. 2, BGBl I 1970 (2007) keine Übergangsregelung für die Behandlung derjenigen Ausländer vorgesehen hat, die bereits zuvor im Bezug von privilegierten Leistungen nach § 2 AsylbLG a.F. standen. Anders als bei Erlass des Ersten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG vom 26. Mai 1997 (Art. 1, BT-Drucksache 13/2746), bei der in § 2 Abs. 1 AsylbLG mit dem Wortlaut "frühestens beginnend am 1. Juni 1997" zweifelsfrei der Wille des Gesetzgebers zu erkennen war, dass alle leistungsberechtigten Ausländer zunächst auf den 36 Monate währenden Bezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG zu verweisen waren (vgl. SächsOVG, Beschluss vom 18. August 1997, Az.: 2 S 361/97, abgedruckt in GK-AsylbLG, VII - vor § 1 (OVG - NR. 3)), hat der Gesetzgeber nun entweder auf eine Klarstellung bewusst verzichtet oder eine solche - womöglich versehentlich - nicht vorgenommen.

Auch der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 16/5065, S. 232) lässt sich keine Vorgabe des Gesetzgebers entnehmen, wie solche Übergangsfälle zu beurteilen sind. Nach der Begründung steht die Anhebung der Frist von 36 auf 48 Monate in § 2 Abs. 1 AsylbLG im Zusammenhang mit der gesetzlichen Altfallregelung in § 104 a AufenthG und der Änderung des § 10 Beschäftigungsverfahrensverordnung, wonach Geduldete einen gleichrangigen Arbeitsmarktzugang erhalten, wenn sie sich seit vier Jahren im Bundesgebiet aufhalten. Mit der Neufassung des § 2 AsylbLG werde eine einheitliche Stufung nach vier Jahren eingeführt. In der weiteren Begründung des Gesetzgebers stellt er den Zusammenhang zwischen der Gewährung der höheren Leistungen nach dem SGB XII mit der Integration des Ausländers aufgrund der zeitlichen Verfestigung des Aufenthalts dar.

Da der Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung lediglich auf die Dauer des tatsächlichen Aufenthalts des Ausländers im Bundesgebiet abstellt (vier Jahre) und nicht auf den Leistungsbezug nach § 3 AsylbLG, könnte nunmehr mit Blick auf die Integrationskomponente des § 2 Abs. 1 AsylbLG angezeigt sein, durch eine ergänzende Auslegung der Norm diejenigen Ausländer, die bereits die 36-Monats-Frist im Sinne des § 2 AsylbLG a.F. erfüllt haben, nicht erneut auf den Ablauf der Frist im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG n.F. von 48 Monaten zu verweisen. Hat der Gesetzgeber die problematische Behandlung von langjährig in Deutschland lebenden Ausländern, die jedoch erst über einen Zeitraum von 36 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen haben, mit Einführung des § 2 Abs. 1 AsylbLG n.F. nicht erkannt und infolgedessen ohne Erlass einer Übergangsregelung unberücksichtigt gelassen, könnte eine planwidrige Regelungslücke zu bejahen sein, die gegebenenfalls durch Analogie zu füllen wäre.

So geht etwa das Sozialgericht Duisburg in seinem Beschluss vom 8. November 2007 unter dem Aktenzeichen S 2 AY 36/07 ER davon aus, dass alle Leistungsempfänger, die bereits zum 28. August 2007 Leistungen nach § 2 AsylbLG a.F. erhielten, hinsichtlich der erforderlichen Vorbezugsdauer von 36 Monaten Leistungsbezug nach § 3 AsylbLG Bestandsschutz genießen. Die erkennende Kammer schließt sich nach summarischer Prüfung vorläufig dieser Rechtsauffassung an.

Ist der Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache damit als offen anzusehen, spricht eine nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorzunehmende Folgenabwägung, die die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend berücksichtigt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, Az.: 1 BvR 569/05, NVwZ 2005, 927 ff.) für den Ausspruch der Verpflichtung des Antragsgegners, den Antragstellern vorläufig Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG zu gewähren.

Dabei misst das Gericht dem Umstand besonderes Gewicht bei, dass die Gewährung von existenzsichernden Leistungen der Gewährleistung eines menschenwürdigen Lebens dient. Gegenüber den Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII sind die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG deutlich herabgesenkt. Zudem ist es nach Ansicht des Gerichts nicht auszuschließen, dass möglicherweise bereits erzielte Integrationserfolge durch eine Rückstufung auf Grundleistungen nach § 3 AsylbLG gerade wieder gefährdet werden könnten. Das rein fiskalische Interesse des Antragsgegners, das zudem noch durch die ausgesprochene Rückzahlungsverpflichtung der Antragsteller bei einem Unterliegen in der Hauptsache abgesichert ist, muss demgegenüber zurückstehen.

Aus den in der Folgenabwägung dargelegten Gründen geht das erkennende Gericht auch vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes aus und berücksichtigt hierbei, dass nach vorläufiger Rechtsauffassung des Gerichts mehr für einen Anspruch der Antragsteller auf die von ihnen begehrten Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG spricht als dagegen.

Den Antragstellern ist auch ein Abwarten des Widerspruchsverfahrens bzw. der Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten, da die derzeit bewilligten Leistungen nach §§ 1,3 AsylbLG deutlich geringer sind als die Leistungen nach § 2 AsylbLG i.V.m. dem SGB XII. Insoweit schließt sich das Gericht der ganz herrschenden sozialgerichtlichen Rechtsprechung an, nach der bei einer Gewährung von Leistungen nach §§ 1,3 AsylbLG anstelle von Leistungen nach § 2 AsylbLG das Vorliegen eines Anordnungsgrundes bejaht wird (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. März 2007, Az.: L 7 AY 1386/07 ER-B m.w.N.). Die vorzunehmende Regelungsanordnung dient der Beseitigung einer existenziellen Notlage (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 8. Oktober 2007, Az.: L 11 AY 9/05 ER m.w.N.).