VG Mainz

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Zitieren als:
VG Mainz, Urteil vom 28.01.2008 - 6 K 649/07.MZ - asyl.net: M12545
https://www.asyl.net/rsdb/M12545
Leitsatz:

Keine nichtstaatliche Gruppenverfolgung von Angehörigen der Kikuyu in Kenia.

 

Schlagwörter: Kenia, Mungiki, Glaubwürdigkeit, interne Fluchtalternative, Gruppenverfolgung, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, Kikuyu, Luo, Verfolgungsdichte
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Keine nichtstaatliche Gruppenverfolgung von Angehörigen der Kikuyu in Kenia.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).

1.1. Der Kläger ist zur Überzeugung des Gerichts nicht aufgrund einer Verfolgung durch die Mungiki-Organisation wegen seiner Religion ausgereist und hat unter diesem Blickwinkel auch bei einer Rückkehr in seine Heimat keine Verfolgung zu befürchten.

Sein Vorbringen, ihm drohe eine religiöse Verfolgung durch die Mungiki, weil er aus Glaubensgründen kein Mitglied dieser Gruppierung werden wolle, ist nicht glaubhaft.

Zudem ist die angebliche Mitgliedschaft des 60jährigen Vaters bei der Mungiki-Miliz schon deshalb völlig fernliegend, weil diese sich aus jungen Männern im Alter zwischen 15 und 35 Jahren zusammensetzt (vgl. Information des Bundesamtes vom Juni 2007: Die Mungiki Sekte, S. 1). Sogar der Anführer John Maina Njenga alias John Kamuya ist heute - mehrere Jahre nach seiner Inhaftierung 2004 - noch keine 40 Jahre alt (vgl. nur Le Monde diplomatique v. 14. Januar 2005: "Kenias Jugend zwischen sozialem Protest und Mafioser Gewalt - Christus, Dreadlocks und Mau-Mau", "36jähriger Milizführer"). Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass die Gruppierung wohl gegen Ende der 1980er oder Anfang der 1990er Jahre als ursprünglich durchaus "religiös-kulturell inspirierte Selbstverteidigungsgruppe" entstand bevor sie zu der "kriminellen Mafia" wurde, die sie heute ist (vgl. Information des Bundesamtes a.a.O., S, 2; Immigration.and Refugee Board of Canada, Kenya: The Mungiki Sect 2006-Oct. 2007, KEN 102637, S. 1), muss der Vater des Klägers im Zeitpunkt der Entstehung dieser Organisation schon mindestens vierzig Jahre und damit erheblich älter als die Gründer selbst gewesen sein.

Auch eine automatische "Erbfolge" der Mitgliedschaft von Mungiki-Eltern auf ihre Kinder - von der angeblich sogar die Polizei ausgehen soll - ist angesichts des Charakters der Mungiki-Miliz als einer Art Jugendbewegung nicht plausibel. Der Beitritt zu den Mungiki ist nach dem Kenntnisstand des Gerichts grundsätzlich freiwillig. Lediglich im Slum von Mathare sind Ausnahmefälle erzwungenen Beitritts bekannt geworden (vgl. IRIN - Humanitarian news and analysis, UN Office für die Coordination of Humanitarian Affairs vom 7. Juni 2007, Umdruck S. 2).

Aber selbst wenn dem Kläger tatsächlich eine Verfolgung durch die Mungiki drohte, stünde ihm eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung, denn es wäre es ihm ohne weiteres möglich und zumutbar, sich dem Einzugsbereich dieser Gruppierung zu entziehen.

1.2. Ein objektiver Nachfluchtgrund aufgrund einer etwaigen regionalen Gruppenverfolgung der Kikuyu durch nichtstaatliche Akteure (namentlich durch Angehörige der Ethnie der Luo) seit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen am 27. Dezember 2007 scheidet ebenfalls aus.

Hierfür wäre zum einen eine gewisse "Verfolgungsdichte" erforderlich, d.h. eine relativ erhebliche Anzahl von Übergriffen im Verhältnis zur Größe der betroffenen Gruppe, zum zweiten darf kein staatlicher Schutz erhältlich sein, und zum dritten darf keine zumutbare inländische Fluchtalternative bestehen (vgl. zur Anwendung der für die staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Maßstäbe auf die private Verfolgung BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2006 - 1 C 15/05 - [juris], Rn. 24 = BVerwGE 126, 243 ff.).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Zur fehlenden Verfolgungsdichte ist zunächst festzuhalten, dass die Kikuyu die mit Abstand größte Volksgruppe Kenias darstellen (vgl. die Information des Bundesamtes vom Juni 1998, S. 5: 4,456 Millionen Kikuyu bei dem Zensus im Jahr 1989 = 20,8 % der Bevölkerung) und die Gewaltausbrüche seit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen am 27. Dezember 2007 bzw. der Verkündung der Wahlergebnisse Ende Dezember 2007 bislang insgesamt knapp 1.000 Menschenleben gefordert haben (vgl. FAZ v. 30. Januar 2008, S. 5). Über den Anteil unbeteiligter Zivilisten liegen dem Gericht keine aussagekräftigen Zahlen vor (vgl. etwa NZZ vom 27. Januar 2008: "... gingen die berüchtigten Mungiki-Milizen gegen Kampfgruppen der Kalenjin- und Luo Ethnie vor und umgekehrt. Dabei wurden nicht nur Kämpfer, sondern auch unzählige Unbeteiligte getötet"; ferner NZZ vom 29. Januar 2008: 19 getötete Luo-Zivilisten in einer Kirche; ein getöteter Lastwagenfahrer von der Ethnie der Kikuyu). Die Getöteten dürften jedoch zumindest überwiegend Angehörige der "Kampfgruppen" sein. Sicher ist jedenfalls, dass zu den Toten nicht nur die - zunächst von den Anhängern des unterlegenen Kandidaten Odinga angegangenen - Kikuyu zählen, sondern auch Luo und Kalenjin, welche ihrerseits in den letzten Tagen vor der mündlichen Verhandlung den Rachefeldzügen der Kikuyu-Milizen ausgesetzt waren (vgl. FAZ und NZZ a.a.O.).

Darüber hinaus besteht eine inländische, dem Kläger ohne weiteres zumutbare Fluchtalternative im Osten bzw. an der Küste des Landes (z.B. in Mombasa), denn die Gewaltausbrüche gegen die Kikuyu sind lokal auf das Rift Valley und Städte im Westen Kenias begrenzt (vgl. NZZ vom 29. Januar 2008: "Im Westen von Kenya herrscht Krieg"; ergänzend Spiegel online, "Krise in Kenia", Zugriff vom 29. Januar 2008: Nairobi, Nakuru, Naivasha, Kisumu sowie Kakamega). Wie bereits dargelegt, ist es dem Kläger als alleinstehendem jungem Mann zumutbar, dort Zuflucht zu suchen und eine ggf. einfache Arbeit zu seinem Lebensunterhalt aufzunehmen.