VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 07.11.2007 - 10 A 1055/06 - asyl.net: M12527
https://www.asyl.net/rsdb/M12527
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit, Antragstellung als Asylgrund, Monarchisten, exilpolitische Betätigung, Oppositionelle, Änderung der Sachlage
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO auch begründet. Der angefochtene Widerruf vom 06.11.2006 ist objektiv rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen subjektiven Rechten. Die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Widerruf der Asylanerkennung nach § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG liegen im gemäß § 77 Abs. 1 S. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt nicht vor.

Es ist allgemein bekannt, dass in der Islamischen Republik Iran seit der Asylanerkennung des Klägers durch Bescheid vom 05.04.1988 kein Systemwechsel stattgefunden hat. Auch ist nicht ersichtlich, dass die drei vom Gericht im Verpflichtungsurteil vom 09.11.1987 als asylerheblich erachteten Gründe ungeachtet des Fortbestandes des Mullahregimes nachträglich entfallen sind. An die eine Versagung von Asyl rechtfertigende Veränderung der politischen Verhältnisse sind dabei strenge Maßstäbe anzulegen (vgl. BayVGH, Urteil vom 07.06.1979 - 72 XII 77 -, DÖV 1980, 51).

1. Im Urteil vom 09.11.1987 nahm das Gericht an, die Asylantragstellung im westlichen Ausland im Jahr 1985 stelle in den Augen des iranischen Regimes einen Loyalitätsbruch dar und könne die Furcht vor politischer Verfolgung (mit)begründen. An diese Bewertung wäre das hier zur Entscheidung berufene Gericht nur dann nicht gebunden, wenn die Bewertung damals zugetroffen hätte und heute mit hinreichender Sicherheit nicht mehr zuträfe. Dabei kommt es nicht darauf an, ob ein zum jetzigen Zeitpunkt im westlichen Ausland gestellter Asylantrag asylrelevant wäre. Vorausgesetzt ist vielmehr, dass ein zum damaligen Zeitpunkt gestellter Asylantrag zunächst asylrelevant war und es heute aufgrund eines politischen Kurswechsels des iranischen Regimes nicht mehr ist. Über eine solche "Amnestie" zunächst als Regimegegner eingestufter Asylbewerber liegen dem Gericht keine Erkenntnisse vor. Unabhängig davon wäre im Falle des Klägers zu berücksichtigen, dass er nicht wie viele andere lediglich einen erfolglosen Asylantrag gestellt, sondern seit 19 Jahren als Asylberechtigter anerkannt im westlichen Ausland gelebt hat.

2. Mit dem Urteil vom 09.11.1987 ist davon auszugehen, dass der Kläger eine auf monarchistischer Gesinnung beruhende Lebenshaltung zeigt. Er ist in diesem Sinne weiterhin – auf niedrigem Niveau – exilpolitisch aktiv. Es ist auch nicht mit hinreichender Sicherheit ein dahingehender Kurswechsel in der iranischen Politik ersichtlich, dass eine monarchistische Lebenshaltung und öffentlich vertretene politische Auffassung nunmehr geduldet werde. Monarchistische Bestrebungen richten sich im Iran nach wie vor notwendig gegen die islamische Revolution und Republik sowie die Herrschaft der Geistlichen als solche. Aus der von der Beklagten in Bezug genommenen Auskunft des Deutschen Orient-Institutes an das Verwaltungsgericht Sigmaringen vom 07.02.2006 geht lediglich hervor, dass die Monarchisten im Jahre 2006 im Gegensatz zum Jahr 2003 über keine Möglichkeit zur Einflussnahme im Iran verfügten und es keine Referenzfälle zurückgekehrter Monarchisten gäbe. Dem Gericht liegen hingegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass sich der Umgang des dortigen Regimes mit Systemoppositionellen grundsätzlich gewandelt habe. Dies gilt auch für Monarchisten. Eine Stabilisierung der Verhältnisse ist allenfalls in dem Sinne eingetreten, dass infolge der jahrzehntelang erfolgreich geübten Unterdrückung eine schlagkräftige Opposition jedweder politischer Couleur im Iran selbst nicht mehr besteht. Dies lässt gerade darauf schließen, dass die Wachsamkeit der totalitären theokratischen Exekutive der Mullahs gegenüber möglicher Opposition im Volke bis heute nicht nachgelassen hat. Das iranische Regime sieht sich nach wie vor bedroht durch äußere und innere Feinde, die tatsächlich oder vermeintlich einen Regimewechsel anstreben. Zu verweisen ist nur auf das iranische Atomprogramm, auf das terroristische Engagement gegen Israel, die rigide Internetzensur und die Präsenz amerikanischer Truppen an den östlichen und westlichen Landesgrenzen. Die Wahl Ahmadinedschads, die mit einer weiteren Anspannung der innenpolitischen Lage einher ging, zeigt, dass grundsätzliche Änderungen im politischen System in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sind.